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       # taz.de -- Nahostkonflikt an Schulen: „Mehr Mut zur Kontroverse“
       
       > Der Nahostkonflikt stellt Lehrkräfte vor Herausforderungen.
       > Bildungsinitiativen geben Tipps für den Umgang mit palästinensischen
       > Symbolen.
       
   IMG Bild: Jugendliche bei einer pro-palästinensischen Demo in Frankfurt/Main am 14. Oktober
       
       Berlin taz | Der Angriff der Hamas auf Israel und die israelischen
       Bombardements im Gazastreifen führen auch zu Konflikten an Schulen in
       Deutschland. In der vergangenen Woche etwa [1][war es an einem Berliner
       Gymnasium zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen einem Lehrer und
       einem Schüler gekommen], nachdem ein anderer Schüler auf dem Schulhof eine
       Palästina-Flagge gezeigt hatte.
       
       Götz Nordbruch, der bei der Bildungsinitative Ufuq Projekte zu
       islamistischem Extremismus koordiniert, sieht derzeit eine große
       Verunsicherung unter Lehrkräften. Um kurzfristig Abhilfe zu schaffen,
       veröffentlichte Ufuq am Freitag eine Handreichung, die Lehrer*innen bei
       Gesprächen über den Nahostkonflikt unterstützen soll.
       
       Darin geht es weniger um die Hintergründe des Konflikts, sondern darum, wie
       Lehrer*innen mit den schnell aufbrodelnden Emotionen umgehen können. Die
       Initiative empfiehlt darin, gegenseitiges Verständnis zu fördern, indem
       sich die Schüler*innen mit verschiedenen Standpunkten und Stellungnahmen
       auseinandersetzen.
       
       ## „Es gibt einen Andrang“
       
       Auch die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA) hat schnell auf
       die Eskalation in Nahost reagiert und organisiert nun Veranstaltungen, bei
       denen sich Lehrkräfte informieren und austauschen können. „Es gibt in der
       Tat einen Andrang“, sagt der KIgA-Vorsitzende Derviş Hızarcı. Für eine
       Onlineveranstaltung, die normalerweise maximal 20 Teilnehmer*innen
       anzieht, habe es bereits am Montag mehr als 60 Anmeldungen gegeben.
       
       Dabei gehen Schulen in Deutschland offenbar sehr unterschiedlich mit der
       Krise um. Sanem Kleff, Direktorin der Initiative „Schule ohne Rassismus –
       Schule mit Courage“, berichtet von zahlreichen Rückmeldungen von
       Schüler*innen und Lehrkräften aus verschiedenen Einrichtungen: Während
       an manchen Schulen intensiv über die Gewalt in Israel gesprochen worden
       sei, habe es anderswo keinen Raum zum Austausch gegeben.
       
       Wie also Lehrkräften helfen? Oft äußerten sie den Wunsch nach einer
       Checkliste oder einem Leitfaden, meint Nordbruch von Ufuq. „Aber das
       funktioniert in einer solchen Situation nicht.“ Die Schwierigkeit liege
       darin, dass an den Schulen unterschiedliche Erfahrungswelten
       aufeinanderprallen. [2][Jüdische Kinder und Jugendliche] hätten Angst, sich
       im Schulkontext als jüdisch zu outen. Vergangenen Freitag blieben viele von
       ihnen in Berlin dem Unterricht fern – aus Angst vor antisemitischen
       Übergriffen.
       
       ## Bedürfnis nach Anerkennung
       
       Andererseits fühlten sich Schüler*innen palästinensischer Abstammung mit
       ihren Erfahrungen zu wenig beachtet, meint Nordbruch. „Das hören wir oft:
       ‚Wir können unsere Perspektive nicht ansprechen, weil das gleich als
       antisemitisch gilt.‘“ Die Berliner Bildungssenatorin Katharina
       Günther-Wünsch (CDU) hat jüngst in einem Schreiben deutlich gemacht, dass
       [3][Schulen das Tragen der Kufiya, des sogenannten Palästinensertuchs,
       verbieten können]. Untersagt werden können auch der Ausruf „Free Palestine“
       sowie Landkarten Israels in den Farben der palästinensischen Flagge.
       
       Derviş Hizarci von der KigA sieht darin eine „Law-and-Order-Mentalität“ der
       Politik. Es sei grundsätzlich falsch, in der Schule mit Verboten zu
       arbeiten. „Wie stellt man sich die Umsetzung vor? Jetzt habe ich mein Tuch
       zu Hause gelassen, aber bin ich deswegen meinen Israelhass oder
       Antisemitismus los?“ Stattdessen brauche es pädagogische Arbeit.
       
       Dieser Forderung schließt sich Sanem Kleff an. In dem Themenfeld sei an
       Schulen zu wenig gemacht, besonders das Thema Islamismus sei in der
       Vergangenheit vernachlässigt worden: „Jetzt wird klar, dass es nicht klug
       ist, spannungsgeladene Themen nicht anzufassen.“
       
       Wenn Jugendliche mit muslimischem oder arabischem Hintergrund mit Sprüchen
       provozieren, steckt Nordbruch zufolge dahinter auch der Wunsch nach
       Anerkennung. Solche Provokationen zu verbieten, sei deshalb
       kontraproduktiv: „Wo, wenn nicht in der Schule, sollen Jugendliche denn
       auch mit Widerspruch konfrontiert werden? Die Schule ist einer der wenigen
       Räume, wo das möglich ist.“ Sein Appell: „Es braucht mehr Mut zur
       Kontroverse.“
       
       ## Krieg emotionalisiert auch Lehrer*innen
       
       Es ist die Aufgabe der Lehrkräfte, diese Auseinandersetzungen zu
       moderieren. Doch oft werden sie selbst zur Konfliktpartei. Das liegt auch
       daran, dass der Nahostkonflikt nicht nur unmittelbar Betroffene
       emotionalisiert, sondern auch die deutsche Mehrheitsgesellschaft. „Die
       Debatte um den Konflikt ist durch die deutsche Geschichte geprägt“, sagt
       Nordbruch. „Es gibt niemanden, der unbeteiligt ist.“
       
       Seiner Einschätzung nach mangelt es Lehrer*innen an Zeit und Mitteln, um
       den Unterricht vorzubereiten oder an Fortbildungen teilzunehmen. „Wir
       können Angebote machen. Aber wenn die Lehrkräfte nicht die Ressourcen und
       die Schulen nicht die Kapazitäten haben, ist das aussichtslos.“
       
       19 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Leon Holly
       
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