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       # taz.de -- Neil Young in Berlin: Forever Young
       
       > Delirierende Gitarren und Huldigungen an die in Bedrängnis geratene
       > Mutter Natur: Drei Stunden spielt Neil Young in der Waldbühne.
       
   IMG Bild: Knorrig und forever young: Neil Young
       
       Der Rock, das war beim Rundumblick am Donnerstagabend in der voll besetzten
       Waldbühne schon zu sehen, ist mittlerweile auch ein Bindeglied im
       Generationenvertrag. Natürlich waren zu dem Konzert von einem Künstler, der
       immerhin 1966 erstmals auf einer Patte zu hören war, mehrheitlich die über
       50-Jährigen gekommen. Und die wenigen Jungen waren tendenziell
       mitgeschleppte Töchter und Söhne.
       
       Neil Young, ein Fall für family values.
       
       Der Sänger setzte sich dann, nur wenige Minuten nach dem angekündigten
       Konzertbeginn ohne weiteres Showgetue einfach ans Klavier und spielte mit
       „After the Gold Rush“ gleich einen Hit. Mit mother nature war darin schon
       ein erstes Stichwort zu hören, worum es auch im weiteren Verlauf des
       Konzertes gehen sollte.
       
       Youngs Stimme wurde dabei vom Mischpult kräftig unterstützt. In der oberen
       Lage kippelte sie ein wenig, was allerdings bei dem begnadeten
       Nichtschönsinger gänzlich egal ist. Bestenfalls machte es die Stimme noch
       ein Stück anrührender.
       
       Das zweite Lied: tatsächlich „Heart of Gold“. Erinnerungsselige
       Lagerfeuerstimmung huschte durch die Waldbühne. Hier war es wohl die
       Textzeile „I’m getting old“. Die man aber gar nicht glauben will bei dem
       70-Jährigen, der doch Young heißt und sich wohl Forever als Vornamen
       gönnen dürfte.
       
       Nummer drei: „The Needle and the Damage Done“ an der Wanderklampfe. Also –
       eins, zwei, drei – gleich mal eine Runde Greatest-Young-Hits als Entree.
       
       ## Willie-Nelson-Söhne als Begleiter
       
       Im Anschluss durfte auch Youngs Begleitband mitmachen: Promise of the Real
       mit zwei Söhnen der Countrylegende Willie Nelson, Lukas und Micah, die den
       sämigen Folkrock Youngs tadelfrei und sauber auf die Bühne brachten. Und
       sonst wohl gar nicht mehr machen sollten, zuerst.
       
       Nach fast einer Stunde wandte sich Young erstmals an das Publikum und
       begrüßte es mit einem knappen: „How you’re doing?“ Wenig später wechselte
       er endlich und allseits bejubelt zur elektrischen Gitarre, wegen der man ja
       auch gekommen war – in seinen Händen so ein Wimpel des Fähnleins
       Fieselschweif der Rockgläubigen. Erratisch, delirierend, insistierend. Sie
       weist die Richtung, sie kennt den Weg.
       
       Was man auch in der Waldbühne hören durfte, als sich Young und seine jungen
       Gesellen an dieses Monster unter den „Drunten am Fluss erschoss ich mein
       Mädchen“-Liedern machten, diesen stampfenden, wankenden, unerbittlichen
       Song, bei dem mit der Band auch das Publikum mächtig Fahrt aufnahm und
       mitschrie: „Down by the river, I shot my Baby.“
       
       Da kam man schon ziemlich weit auf dem Weg zwischen Erinnerung und
       Entgrenzung bei diesem Konzert, das als eine ausgiebige journey through the
       past angelegt war, mit reichlich erinnerungswürdigen Liedern, „Are You
       Ready for the Country“, „Alabama“. Zusehends durfte die Begleitband bei den
       nun länger ausgespielten Liedern auch den kompetenten Widerpart zu Neil
       Young geben. Was manchmal gar zu einem prägnanten Stellungsspiel – einander
       zugewandt im musikalischen Jam – wie bei Crazy Horse führte.
       
       ## The Monsanto Years
       
       Ziemlich spät im Verlauf des Konzertes schien sich Neil Young zu erinnern,
       dass er gar nicht im Rahmen der „Great Hits“-Tour in der Waldbühne
       gastierte, sondern eigentlich mit der „Rebel Content“-Tour unterwegs ist
       zur Beförderung seines im vergangenen Jahr erschienenen, mit Promise of the
       Real eingespielten Albums „The Monsanto Years“. Darauf zieht Young zur
       Rettung der arg bedrängten mother nature mit seinen Liedern gegen Monsato
       ins Feld – den umstrittenen Gentechkonzern, den ja gerade der Leverkusener
       Chemiegigant Bayer gern übernehmen würde. Das Angebot liegt bei 58
       Milliarden Euro.
       
       Letztlich aber geht es auf dem „Monsanto“-Album auch darum, dass da so viel
       scheiße läuft im Ausbeutungskapitalismus. Und dass man das alles nur
       ohnmächtig anglotzend erleidet und dabei, wie Young singt, lieber
       Liebeslieder hören will und keine über Pestizide oder patentiertes Saatgut.
       
       Diese zornigen „Monsanto“-Lieder mit ihren milden countrygeschulten
       Folkrockmelodien hätten sich bestens auf den Neil-Young-Alben der
       Frühsiebziger eingefügt. Und fielen deswegen, als doch noch ein paar Titel
       vom „Monsanto Years“-Album gespielt wurden, auch beim Konzert überhaupt
       nicht aus dem Rahmen. Mit „Wolf Moon“ war sogar eine echte Feuerzeugballade
       dabei. Ein paar Traditionalisten knipsten dazu tatsächlich ein Feuerzeug
       und nicht das Handylicht an.
       
       Geht ja beides. Gepflegte Traditionen im Spiegel ihrer Erneuerung.
       
       Als family values bei Neil Young hatte man dann zuletzt viele
       Wegmarkenlieder und ein paar aktuelle Anmerkungen, die Erstere wieder
       bestätigten, ein sich rundender Kreis in einem dramaturgisch ganz
       unaufgeregten, geschickt gemachten Wechsel von zurückgelehnten Stimmungen
       und drängenden Passagen. Das trug über ein immerhin dreistündiges Konzert.
       Am Schluss wurde laut und scheppernd, wie es sein soll, „Rockin’ in the
       Free World“ gepielt.
       
       Eine Zugabe gab es nicht. Dafür durfte man ein paar Sterne sehen am Himmel
       über der Waldbühne.
       
       22 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Mauch
       
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