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       # taz.de -- Neuer Roman von Lola Randl: Novizen in der Provinz
       
       > Der Traum vom Rückzugsort auf dem Land: In ihrem Roman „Angsttier“ lehrt
       > Lola Randl zwei Wessis im Osten das Gruseln.
       
   IMG Bild: Rapsfeld in der Uckermark
       
       Schon bevor [1][Juli Zeh] in die brandenburgische Provinz zog
       („Unterleuten“), hatte die jüngere deutschsprachige Literatur das Sujet für
       sich entdeckt: 1999 schickte [2][Karen Duve] in ihrem grandiosen Debüt
       „Regenroman“ ein unbedarftes westdeutsches Pärchen zum umfassenden
       Scheitern in ein total dunkles Ostdeutschland, das weniger ein Abbild der
       Wirklichkeit als eine Spiegelung westlicher Dekadenz und Anmaßung war. Als
       wäre er als Update dieses Motivs gedacht, verfährt Lola Randls neuer Roman
       „Angsttier“ erstaunlich parallel.
       
       Jakob, der Schriftsteller sein will, über eine Materialsammlung in seinem
       PC aber nicht hinauskommt, und seine Partnerin Friedel, die in Berlin damit
       befasst ist, irgendwelche PDFs zu „erstellen, um Gelder von Bauträgern und
       Kommunen zu erhalten“, erfüllen sich den Traum vom idyllischen Rückzugsort
       auf dem Land, wo sie ihr Kind zur Welt bringen und sich ein nachhaltiges
       Leben als zeitgemäße Kleinfamilie aufbauen wollen.
       
       Friedels reicher Vater schenkt der Tochter das kleine Häuschen, das sie
       sich in einem abgelegenen Dorf ausgeguckt hat. Dass dieser Grunderwerb nur
       möglich ist, weil „Paps“ dem naturgemäß „windigen“ Makler mehr Geld bietet
       als der alteingesessene Nachbar, dem das Haus eigentlich fest versprochen
       war, trägt nicht dazu bei, dass die Neuen im Dorf gut angesehen werden.
       
       Dass sie Fremdkörper sind und bleiben, liegt an ihrer Ignoranz, daran, dass
       sie neudeutsch gesagt nicht ansatzweise „authentisch“ sind. Im Gegensatz zu
       den Dörflern, deren Echtheit Randl allerdings mitten im schönsten Klischee
       ansiedelt.
       
       ## Gelegenheitsprostituierte in Plastikclogs
       
       Die geprellten Nachbarn heißen Denny und Ramona, Letztere trägt
       „Plastikclogs“, schafft als freiberufliche Gelegenheitsprostituierte an
       und uriniert umstandslos in Nachbars Garten, Ersterer grillt und werkelt
       gern, und generell ist man „von Natur aus eher redefaul, um nicht zu sagen
       abweisend“.
       
       Wer aus Berlin-Mitte kommt, kann solch urwüchsige Gestalten nicht
       verstehen. [3][Lola Randl, 1980 in München geborene Filmemacherin und
       Autorin] zweier auf dem brandenburgischen Land angesiedelten Romane, muss
       es wissen: Sie lebt seit 13 Jahren in der Uckermark.
       
       Doch möglicherweise ist die satirische Überzeichnung ja Sinn und Zweck des
       neuen Romans. Jakob zumindest ist eine einzige Karikatur: Nie löst er ein,
       was er ankündigt, widerstandslos lässt er sich vom rüden Denny ebenso
       vorführen, wie er sich vom arroganten Schwiegervater demütigen lässt, ein
       Feigling und veritables Weichei.
       
       Das Problem des Romans besteht darin, dass er aus dem lächerlichen
       Charakter seiner Hauptfigur, aus deren Perspektive personal erzählt wird,
       nie einen Hehl macht. Sehr bald haben wir nicht nur erkannt, mit wem wir es
       da zu tun haben, sondern auch, dass die ganze Sache nicht gut ausgehen
       wird.
       
       So vermag uns denn auch das titelgebende „Angsttier“, das gelegentlich
       auftaucht und Jakob in Panikschübe versetzt, nicht wirklich zu gruseln,
       begreifen wir doch zügig, dass hier in guter freudscher Tradition das
       Unbewusste des Menschen Werwolf ist.
       
       Für Horrortrash ist das Ganze viel zu harmlos, für Gesellschaftskritik zu
       oberflächlich. Und leider ist es auch in einer verstörend unbeholfenen, zur
       Stilblüte neigenden Sprache erzählt: Da hat ein Kumpel des Helden „eine
       recht angesagte Brillenmarke gegründet, wo die Gestelle mit 3D gedruckt
       wurden“, die böse Bestie ist „ein Tier, aber größer als ein Tier“, und als
       Jakob im Krankenhaus landet, „ließ er sich sogar noch die Reste seines
       Zimmernachbarn schmecken“. Es gibt Momente, da ist der Roman tatsächlich
       ein bisschen schaurig.
       
       3 May 2022
       
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