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       # taz.de -- Neuer S-Bahnvertrag wird unterzeichnet: Die Berliner Politik dreht sich im Kreis
       
       > Senator Geisel unterzeichnet am Mittwoch den Ringbahn- Vertrag – es soll
       > ein Schlussstrich sein unter sieben Jahre S-Bahn-Chaos. Tatsächlich zeigt
       > es das Versagen der Politik.
       
   IMG Bild: Und auf in eine neue Runde: die pannengeplagte Berliner S-Bahn.
       
       Am Anfang stand das Chaos. Am Ende steht die vage Hoffnung, dass es nicht
       wiederkommt. Das ist Landespolitik in Berlin unter wesentlichem Einfluss
       der SPD.
       
       Wenn am heutigen Mittwochnachmittag Verkehrssenator Andreas Geisel (SPD)
       mit seiner Kollegin aus Brandenburg den Vertrag mit der Berliner S-Bahn
       GmbH unterschreibt, schließt sich damit ein Kreis, der nicht unähnlich der
       Ringbahn ist – um die es im Vertrag auch geht. Man hat unweigerlich das
       Gefühl, als drehe sich die hiesige Politik im Kreis, als wisse sie keinen
       Ausweg aus einem Dilemma, oder, schlimmer noch, sie weigere sich, diesen zu
       suchen.
       
       Zur Erinnerung: Die Bezeichnung Berliner S-Bahn-Chaos ist inzwischen ein
       fester Begriff der jüngeren Stadtgeschichte, wie der Bausumpf in den 1980er
       Jahren und der Fluchhafen BER seit 2012. Es begann mit einem Radbruch,
       ausgerechnet an einem1. Mai, dem Tag der Arbeiterklasse, den die SPD – aus
       welchen Gründen auch immer – noch so gerne mitfeiert. 2009 war das, an
       einem Wagen der Baureihe 481. Das zuständige Eisenbahn-Bundesamt verordnete
       schärfere Kontrollen, zu denen die S-Bahn aber wegen Sparmaßnahmen nicht
       mehr in der Lage war, zu denen sie die Konzernmutter, die Deutsche Bahn,
       verdonnert hatte – denn die Bahn sollte ja börsenreif gemacht werden.
       
       Daraufhin zog das Eisenbahnbundesamt im Sommer 2009 die sprichwörtliche
       Notbremse und die Wagen aus dem Verkehr. Die Folge: Von eigentlich 632
       sogenannten Viertelzügen – vier Viertel ergeben eigentlich einen
       vollständigen Zug, eine Rechnung, die bei der S-Bahn fortan nicht mehr
       aufging – waren teilweise weniger als 200 im Einsatz. Einige S-Bahn-Linien
       fielen deshalb wochenlang komplett aus; auf vielen anderen fuhren Züge nach
       dem Zufallsprinzip. Im Herbst wurden dann Schäden an den Bremsen
       festgestellt; erneut wurde ein Notfallfahrplan fällig. Leichter Frost im
       Winter und recht warme Tage führten regelmäßig zu weiteren Zugausfällen.
       Die damalige Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) prägte das Wort
       von den „vier Feinden der S-Bahn: Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter“.
       
       Mit dem S-Bahn-Chaos wurde Berlin zur Pannenhauptstadt, belächelt von
       Münchnern wie Hamburgern, verspottet auch von der internationalen Presse.
       Hier wurde der Grundstein für das Image Berlins gelegt, das Klaus Wowereit
       als Regierender Bürgermeister und Aufsichtsratschef der Flughafen GmbH mit
       mehrfachen Absagen der BER-Eröffnung konsequent ausbaute.
       
       Weil mehrere Werkstätten dem Sparkurs der Deutschen Bahn in den Jahren
       zuvor zum Opfer gefallen waren, zog sich das Chaos über Jahre hin.
       Regelmäßig kürzte das Land wegen den Ausfällen die Gelder an die S-Bahn –
       die Züge fahren schließlich im Auftrag von Berlin und zu deutlich
       geringerem Teil von Brandenburg.
       
       Die Deutsche Bahn reagierte langsam, tauschte Personal in der Führung aus,
       reaktivierte alte Wagen, kümmerte sich ein wenig um Instandhaltung,
       schenkte ihren Abonnenten eine Monat Umsonstfahren.
       
       Deutlich schneller standen die politischen Forderungen im Raum, mit denen
       Druck auf die Bahn gemacht werden sollte: Der aktuelle S-Bahn-Vertrag lief
       2017 aus, es gab also tatsächlich die Möglichkeit, der Bahn einen Teil des
       Netzes, in diesem Fall die Ringbahn, zu entziehen.
       
       Anders als der Name suggeriert, fährt die S-Bahn im Ring nicht immer im
       Kreis, es gibt Ausfahrten Richtung Südosten und Norden. Nun sollte auch der
       Kreis der Anbieter erweitert werden, andere Betreiber, so der Vorschlag der
       Opposition, sollten die Deutsche Bahn auf Trab bringen. Wettbewerb auf der
       Ringbahn hieß das Motto, organisiert durch eine Ausschreibung, die nach
       vielen Debatten 2013 vom damaligen Stadtentwicklungssenator und heutigen
       Regierenden Bürgermeister Michael Müller (natürlich auch SPD) auf die
       Schiene gebracht wurde.
       
       Der Haken: Die Berliner S-Bahn ist eine hiesige Besonderheit, die Wagen
       brauchen spezielle Stromabnehmer am Boden. Solche Wagen in der
       erforderlichen Menge schnell zu beschaffen, würde schwierig werden, was
       allen Beteiligten von Anfang an klar war. Doch alternative Modelle, etwa
       ein Fuhrpark im Besitz des Landes, der von den Betreibern gemietet werden
       würde, wurden rasch wieder verworfen.
       
       Wohl auch, weil die SPD stets wenig Interesse gezeigt hat, dem Monopolisten
       und Staatskonzern Deutsche Bahn wirklich Konsequenzen aus dem Chaos
       aufzuerlegen. Vor allem der 2012 erstmals gewählt Parteichef Jan Stöß hat
       sich, wie es sich für einen SPD-Linken gehört, vehement gegen eine mögliche
       Privatisierung der S-Bahn ins Zeug gelegt. Klaus Wowereit setzte
       schließlich zwar die im Koalitionsvertrag mit der CDU vereinbarte
       Teilausschreibung durch. Doch dass daraus letztlich die Deutsche Bahn als
       einziger Bewerber übrig bleiben würde, war von Anfang an mehr als
       wahrscheinlich.
       
       Die Opposition sprach und spricht von einer „Scheinausschreibung“, so etwa
       Stefan Gelbhaar, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion. Und von
       einer anfangs noch groß angekündigten Beteiligung des Parlament, ohne
       dessen Okay nichts laufen sollte, ist nichts geblieben als die Zusage, sich
       demnächst vertraulich den Vertrag anschauen zu dürfen
       
       Und so dreht die S-Bahn auch ab 2021 weiter ihre Runden. Mindestens 15
       Jahre, so lange läuft der Vertrag.
       
       Zwar soll darin festgehalten sei, dass schlechte Leistungen der S-Bahn
       konsequenter sanktioniert werden können, sagt Verkehrssenator Geisel. Auch
       soll es bald neue S-Bahn-Wagen geben, verspricht Geschäftsführer Peter
       Buchner. Doch kann das alles sein, nach einem Desaster dieser
       Größenordnung? Und reicht das als Druckmittel aus, wenn wieder mal jemand
       der S-Bahn Sparrunden verordnet?
       
       Am Ende bleibt dem Berliner Senat nur die Hoffnung – ein reichlich
       unpolitisches Prinzip. Und da dieses Prinzip offenbar auch die
       Herangehensweise der Noch-Regierungskoalition an den Pannenflughafen in
       Schönefeld ist, muss man Schlimmstes erwarten. Denn die S-Bahn ist
       zumindest mal gefahren. Der BER war noch nie in Betrieb.
       
       Am Dienstagmorgen meldete die S-Bahn übrigens eine Signalstörung in
       Tempelhof, die bei vier Linien im beginnenden Berufsverkehr zu Verspätungen
       und Ausfällen geführt hat.
       
       27 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bert Schulz
   DIR Stefan Alberti
       
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