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       # taz.de -- Neues Album von Aldous Harding: Der Himmel ist so leer
       
       > Grandiose Maskeraden: Das Album der neuseeländischen Singer-Songwriterin
       > Aldous Harding ist erstaunlich harmonisch und fast zu harmlos.
       
   IMG Bild: Was geht in Aldous Harding vor?
       
       Wer Aldous Harding beim Singen zuschaut, sieht eine Künstlerin, die alles
       tut, um ein fürchterliches Missverständnis auszuräumen: es könne sich bei
       ihrer Musik um den authentischen Ausdruck ihrer Person handeln. Früher
       konnte man das auch hören – die Neuseeländerin hat gerne mit verstellter
       Stimme gesungen und dabei ein beeindruckendes Repertoire an Stimmlagen
       angesammelt. Auf ihrem neuen Album „Designer“ scheint die 29-Jährige mit
       dem natürlichen Klang ihrer Stimme Frieden geschlossen zu haben, zumindest
       in einigen Songs.
       
       [1][Im großartigen Video zu „The Barrel“] kann man wieder sehr schön sehen,
       wie sie ihre eigene Musik parodiert. Ist das überhaupt eine Parodie?
       Jedenfalls wirkt es irritierend, Aldous Harding bei ihrer
       Selbstinszenierung zuzuschauen, und gleichzeitig unterhaltsam bis brüllend
       komisch. Auch weil das, was die Neuseeländerin dabei macht, so wenig nach
       Inszenierung aussieht. Wenn sie auf Plateausohlen in einem weiß verhängten
       Raum mit absurd hohem Strohhut zu ihrer Musik tanzt, hat man eher das
       Gefühl, einer Frau zuzuschauen, die sich selbstvergessen vor dem
       Badezimmerspiegel ausprobiert – als würde sie den alten Ratschlag befolgen
       „Tanze so, als würde dir niemand dabei zuschauen“.
       
       Zu sagen, dass ihr dabei inzwischen die Welt zuschaut, wäre übertrieben,
       aber das Video zu „The Barrel“ von ihrem aktuellen Album hat bereits mehr
       als 700.000 Klicks bei YouTube generiert. Die Kurzfilme, bei denen Harding
       meist selbst Regie führt, hätten aber nicht unbedingt etwas mit der Musik
       zu tun, erklärt die Künstlerin der taz: „Ich sehe die Clips als eine Art
       Erweiterung. Sie herzustellen macht mir einfach Spaß. Einen Hut wie im
       Video zu ‚The Barrel‘ würde ich doch privat niemals tragen.“
       
       Ach, man könnte sich schon vorstellen, dass jemand wie Aldous Harding auch
       zu Hause einen überdimensionierten weißen Strohhut trägt. Aber alle
       Rückschlüsse auf ihr Privatleben weist sie zurück: „Ich stehe nicht
       darüber, ob die Leute mich mögen und verstehen, das fühlt sich auch für
       mich gut an. Aber ich werde mich nicht erklären. Meine HörerInnen können
       viel mehr aus meiner Musik ziehen als ich selbst.“ Aldous Harding ist eine
       Performerin, und gerade darum ist es erstaunlich, wie wenig man diese, im
       positivsten Sinne, irre Performance den neun Songs auf ihrem neuen Album
       „Designer“ anhört. Sie sind, wie die Stücke des Vorgängeralbums „Party“,
       durch die Hände des britischen Produzenten John Parish gegangen.
       
       ## Weißer Strohhut
       
       Das Ergebnis ist erstaunlich harmonisch, unaufreibend, beinahe etwas zu
       harmlos. Die Songs ihres selbstbetitelten Debütalbums (2014) waren, so
       erzählt Harding, entstanden, um mit einer Angststörung fertig zu werden.
       Hatten die Stücke auf dem Nachfolger „Party“ noch etwas faszinierend
       Passiv-Aggressives, etwas Düsteres und bisweilen Selbstzerstörerisches,
       habe Harding nun ihre Haltung als Musikerin geändert: „Ich weine nicht mehr
       in meinen Songs. Ich erzähle weniger. Ich halte meine Fans bei der Hand und
       schaue mit ihnen gemeinsam die Dinge an. Das ist der schönere Weg. Ich
       möchte zeigen, dass wir keine Extreme brauchen, um etwas zu fühlen. You
       don’t have to be serious to be serious.“ Und sie schiebt hinterher: „Ich
       bin ein Gewohnheitstier, ich bin noch nicht geheilt.“ Was immer das heißen
       mag, mehr möchte sie nicht sagen.
       
       Vielleicht ist „Designer“ ein erstes Ankommen, ein Aufatmen dieser noch
       jungen Künstlerin, der man so gern auf die Schliche käme. Doch was wäre
       dadurch gewonnen? Eine größere Nähe als damit, sich ihrer Musik zu öffnen,
       wird man zu Aldous Harding kaum finden. Sie gebe auf „Designer“ viel mehr
       von sich preis als früher, sagt sie. Worin sich das zeigt, ist schwer zu
       sagen, aber im tieftraurigen Klagesong „Heaven Is Empty“ bekommt man eine
       Ahnung davon („I don’t want entry. That place is empty“), aber auch im
       Schlussstück „Pilot“, das mit dem Satz beginnt „I don’t know how to
       behave“.
       
       ## Nonsens-Text
       
       Die Mitte des Albums bildet das großartig arrangierte „The Barrel“ mit
       seinem Nonsens-Text („ It’s already dead / I know you have the dove / Looks
       like a date is set / Show the ferret to the egg“), tollen Klaviereinsätzen
       und männlichem Backgroundgesang, der fast schon ein Markenzeichen von
       Harding ist. Danach wird es recht karg, mit wenig Klavier, sparsamen
       Gitarrenakkorden und etwas Hall, und man fragt sich, wie wohl die Arbeit
       mit Produzent John Parish gelaufen ist.
       
       Harding: „Genau wie an den Prozess der Komposition kann ich mich an die
       Arbeit mit John kaum erinnern: Ich bin vollkommen darin versunken. Ich
       vertraue ihm, er vertraut mir. Manchmal sind wir uns dabei nicht einig,
       dann schweigen wir 20 Minuten. Am Ende finden wir immer eine Antwort.“
       Ansonsten ginge es ihr mit den Songs wie einer Mutter mit einem Baby: Wie
       diese wisse, wenn das Kind friert oder Hunger hat, wisse Harding, was ihre
       Songs brauchen.
       
       Es scheint fast, als wolle die Neuseeländerin auch selbst nicht mehr über
       ihre Songs wissen als das. Und auch wir könnten uns mit ihren Popsongs
       zufriedengeben und ihren tollen Videos, gerade auch den frühen, wie zu
       „Stop Your Tears“ oder „Blend“. Oder ihren Auftritt mit dem Song „Horizon“
       in der BBC-Fernsehshow „Later … with Jools Holland“ anschauen. In diesem
       Mainstream-Fernsehzusammenhang wird überhaupt erst deutlich, wie konsequent
       Aldous Harding mit ihrer Kunst umgeht – und was für eine enorme Portion Mut
       ein solcher Auftritt erfordert.
       
       Diese Frau hat uns schon so viel gegeben. Das letzte Wort gehört darum der
       Künstlerin: „Wenn wir etwas finden, das wir mögen, stopfen wir uns damit
       voll, bis uns schlecht ist. Das mache ich nicht. Die Beziehung zwischen mir
       und dem Rest der Welt ist noch jung. Wir haben ja noch viel Zeit vor uns.“
       
       12 May 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.youtube.com/watch?v=QyZeJr5ppm8&feature=youtu.be
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dirk Schneider
       
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