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       # taz.de -- Neues Album von Chemnitzer Trio Blond: Lassen sie mich durch, ich bin Blond
       
       > Das Chemnitzer Trio Blond wagt sich mit und doppelbödigen Sommerhits aus
       > der Komfortzone. „Ich träum doch nur von Liebe“ heißt das neue Album.
       
   IMG Bild: Blond sind auch optisch voller Zitate. Hier als eine Art DIY-Hommage an Madonnas ikonische Jean-Paul-Gaultier-Ära
       
       Berlin taz | Im „Europäischen Kulturhauptstadtjahr“ präsentiert sich
       Chemnitz als „Stadt der Macher:innen“. Ein zentraler Bestandteil der
       Bewerbung um diesen Titel war bereits 2019 der Fokus auf die lokale
       Bastler- und DIY-Subkultur. Zwar stand [1][Chemnitz] lange – zu Unrecht –
       im Schatten der beiden größeren sächsischen Metropolen Leipzig und Dresden,
       doch bereits in den zehner Jahren bewies neben der Band Kraftklub vor allem
       das Chemnitzer Trio Blond, dass man einen eigenständigen Popsound der
       Industriestadt auf dem Zettel haben sollte.
       
       Die Masterminds von Blond sind Nina und Lotta Kummer, die beiden jüngeren
       Schwestern von Kraftklub-Sänger (und Rapper) Felix Kummer. Gemeinsam mit
       Johann Bonitz, einem Freund aus Kindheitstagen, gründeten sie Blond bereits
       2011. Mit seinen ersten beiden EPs „Blond“ und „Trendy“ sorgte das Trio mit
       seinem angriffslustigen Sound für frischen Wind.
       
       Indierock versehen Blond mit lupenreinem Pop und
       Neue-Deutsche-Welle-Signaturen, das sorgte lange für hochgezogene
       Augenbrauen. Es folgten Tourneen mit Deutschpop-Bands wie den Kieler
       Leoniden und den Berlinern Von Wegen Lisbeth und die Veröffentlichung der
       beiden Studioalben „Martini Sprite“ (2020) und „Perlen“ (2023), beide
       hochgelobt von der Kritik und kommerziell durchaus erfolgreich.
       
       Mit ihrem dritten Album, „Ich träum doch nur von Liebe“, kehren die
       Chemnitzer:innen nun also unter veränderten Vorzeichen in die Logik der
       Aufmerksamkeitsökonomie zurück.
       
       Ausgetüftelt in Handarbeit 
       
       Und doch bleiben Blond lieber beim Bewährten: Schon die Vorabsingle „Girl
       Boss“ – wohl bewusst am 7. März, unmittelbar vor dem Internationalen
       Frauentag veröffentlicht – machte deutlich, dass Blond weiterhin am
       liebsten in Handarbeit tüfteln: Uptempo-Pop und ostdeutsche Frauenpower
       trifft auf beißende Satire.
       
       Sie unterstreicht einmal mehr, dass Ironisierung und klare Haltung
       wunderbar miteinander harmonieren. „Komm, fick das Patriarchat / Kauf dir
       ‚Girl Power‘-Schals / Titten-Tassen und ‚Viva la vulva‘-Wein / Aktivismus
       kann so einfach sein“, singen die drei darin im Angesicht eines
       Pop-Feminismus, der vor allem auf Bekenntnisse setzt.
       
       Das männliche Pendant zum „Girl Boss“ markiert der von Bassist und
       Keyboarder Bonitz gesungene Song „Bare Minimum“. „Ich stell’ mein Geschirr
       schon mal in die Spüle rein / Wie kann man nur so ein feminist icon sein“,
       intoniert er da durchaus selbstbewusst und überzieht zugleich jene
       Geschlechtsgenossen mit beißendem Spott, die sich im feministischen Diskurs
       betont sensibel geben, dabei aber übersehen, dass sie letztlich selbst
       machistisches Statusdenken reproduzieren.
       
       Angeschoben ist der Song von einem funky Bass und [2][dem präzisen Offbeat
       von Drummerin Lotta Kummer], bevor er sich im Refrain zur sphärisch
       funkelnden Dreampop-Nummer entwickelt. Es bleibt nicht nur bei diesen
       beiden Songs. Auf dem Album wird vielfach auf Problemlagen und
       Gewaltpotenziale zwischen den Geschlechtern abgezielt.
       
       Neue Single „So Hot“ 
       
       In „So Hot“ etwa wird das Verhältnis zwischen Begehren und Angst vor
       Missbrauch thematisiert. „Die Redflags wehen im Wind / Ghostet er oder
       stalked er mich mal?“, heißt es, bevor der Songtext im bedauernden Ausruf
       „Wär ich bloß nicht so hetero“ gipfelt. Durch ihre provokanten Texte, ihren
       Humor und eine explizit linke, dabei nie selbstzufriedene Haltung nehmen
       Blond im zeitgenössischen deutschsprachigen Pop eine ähnliche Sonderrolle
       ein wie früher Die Ärzte: Wie diese inszenieren sich auch Blond als Stachel
       im popkulturellen Fleische des konservativen Mainstreams.
       
       Obwohl Blond bis jetzt noch nicht die ganz großen Hallen und Stadien füllen
       wie das Berliner Trio um Sänger Farin Urlaub, erreichen auch die drei
       Ausrufezeichen aus Chemnitz mittlerweile ein beachtliches, linksliberales
       Publikum – zuletzt etwa durch einen Auftritt im ZDF-Magazin „Royale“ bei
       Jan Böhmermann.
       
       Auch ihr Hang zur ironisch gebrochenen Selbststilisierung erinnert an die
       „beste Band der Welt“: Gleich im „Intro“ auf dem neuen Album singt das Trio
       im Kanon: „Blond-Fans auf der ganzen Welt / Betet zur sächsischen Prominenz
       / Blond sind unsere Götter!“
       
       Jenseits der Ironie 
       
       Doch während Songs jenseits der Ironie für Die Ärzte über Jahrzehnte kaum
       vorstellbar waren, wagen sich Blond auf „Ich träum doch nur von Liebe“
       bereits jetzt auf neues Terrain. Etwa im Song „16 Jahr, blondes Haar“, der
       die problematische Sexualisierung junger Mädchen thematisiert („16 Jahr,
       blondes Haar / Unterm Make-up noch ein Kind“) und dabei – dem Thema
       angemessen – auf witzige Pointen verzichtet. Genauso wie in „Fliederbusch“,
       das auf rührende Weise einen gebrochenen Treueschwur zweier Freundinnen
       thematisiert.
       
       Die meisten der zehn Stücke (das obligatorische „Intro“ und „Outro“
       ausgenommen) auf „Ich träum doch nur von Liebe“ folgen dabei jenem
       Baukasten-Prinzip, das auch in der Vergangenheit für Blond nützlich war:
       Beats mit Schmackes treffen auf hymnische Refrains.
       
       Der Sound mag nicht revolutionär sein, überzeugt jedoch in der Umsetzung.
       Die Kummer-Schwestern erweisen sich einmal mehr als großartige
       Songschreiberinnen mit einem beneidenswerten Händchen für genialische
       Pop-Momente.
       
       Einzig im Song „SB-Kassen-Lover“ verlässt das Trio für wenige Augenblicke
       die klangliche Komfortzone und präsentiert einen wild puckernden Hybrid aus
       technoidem Wumms und Elektro-Punk-Klassenkeile gemischt mit jeder Menge
       poppy Einsprengseln. Das klingt durchaus gewagt, aber willkommen: ein
       Scooter-Sandwich mit Toast aus [3][Atari Teenage Riot] und Frittenbude.
       
       Am Ende bildet dieses Stück die Ausnahme, gewisse Ermüdungserscheinungen
       auf Albumlänge sind nicht zu überhören. Macht aber nix, live sind Blond eh
       eine Bank, und das eine oder andere Stück von „Ich träum doch nur von
       Liebe“ wird sich ganz sicher in den Playlisten dieses Sommers finden.
       Außerdem führen Blond demnächst die Songs des neuen Albums mit einem
       Orchester live in Chemnitz auf. Ihre Musik könnte also ein neues Level
       erreichen.
       
       2 Jun 2025
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Luca Glenzer
       
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