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       # taz.de -- Neues Album von „Die Heiterkeit“: Strophe, Refrain, dazwischen zerrissen
       
       > Beeindrucken lässt sich Die Heiterkeit keineswegs – auch nicht vom Hype
       > um sie. Auf „Pop & Tod I+II“ pflegt die Band größere Gesten.
       
   IMG Bild: Heitere Drinks mit stoischer Miene: Die Heiterkeit in neuer Vier-Personen-Besetzung
       
       Entschleunigung und Gelassenheit, letztlich also das Gegenteil von
       Hysterie, dafür steht Die Heiterkeit. Einen Hype erzeugte die Hamburger
       Band 2011 dennoch, bevor ihre Debüt-EP überhaupt erschienen war.
       
       Aller Aufregung zum Trotz begleitet die Band ihre Musik mit stoischer
       Miene. Dem Drama, zu dem Pop fähig ist, stellt sie hanseatische Coolness
       gegenüber. Entweder man liebt die gleichgültig dreinblickenden Musikerinnen
       oder man empfindet all die Vergleiche mit Größen wie Christiane Rösinger,
       Nico und Pavement als Blasphemie. Ihre an die DIY-Attitüde von Punk
       erinnernde Haltung wurde den drei Frauen seinerzeit als Dilettantismus
       ausgelegt.
       
       Wenn eine Band so sehr spaltet, hat sie alles richtig gemacht. Und das tut
       Die Heiterkeit noch immer. Vor allem weil sie sich nicht beeindrucken
       lässt. Das Trio ist nun für das neue Doppelalbum „Pop & Tod I und II“ zum
       Quartett geworden. Neben Sängerin und Gitarristin Stella Sommer spielt nun
       Sonja Deffner Keyboard, Hanitra Wagner (von den Band Oracles) Bass und
       Philipp Wulf (von der Band Messer) Schlagzeug.
       
       Wo einige von Supergroup sprechen, ist es für Die Heiterkeit
       selbstverständlich, mit anderen zu kollaborieren. Hamburg sei dörflich,
       auch in Berlin hänge man am Ende wieder mit den gleichen Leuten rum. Die
       Schublade der Hamburger Schule sind sie spätestens jetzt los: „Wir sind
       ständig unterwegs, es ist egal, wo wir Musik machen. Die meisten der Songs
       habe ich in Berlin komponiert“, sagt Songwriterin Sommer.
       
       ## Zwei Spannungsbögen, zwei Schlussnummern
       
       In Berlin ist auch das Aufnahmestudio von Moses Schneider, der die neuen
       Alben produziert hat. Plural, denn „Pop & Tod I+II“ besteht in Wahrheit aus
       zwei Alben. Auf 20 Songs gibt es zwei Spannungsbögen, zwei Auftaktsongs und
       zwei Schlussnummern. Sechs Jahre nach Bandgründung werden die Gesten
       größer. Im Musikalischen ist mehr Raum, den es zu füllen gilt. Mit
       Effektperkussion („Komm mich besuchen“) und Synths („Halt mich zurück“),
       die von der singenden Keyboarderin Sonja Deffner abwechslungsreich in den
       Vordergrund gespielt werden. Die Gitarre erlaubt sich, auch mal zaghaft zu
       sein, setzt das Umgreifen der Saiten als Klanggeber ein („Dunkelheit wird
       niemals“).
       
       Solche Details machen „Pop & Tod I+II“ bemerkenswert. Der Gesang von Stella
       Sommer bleibt Markenzeichen, nach wie vor ist er eine Spur dunkler als die
       Norm. Viele Schichten aus Instrumenten, Gesang und Chören betten ihn ein,
       was wunderbare Theatralik erzeugt.
       
       Schlagzeuger Wulf wählt dafür den Begriff Drastik: „Musik ist
       interessanter, wenn sie etwas von einem will. In dem Fall muss man sich zu
       ihr verhalten.“ Mit der Band Messer spielt Wulf Postpunk, bei Die
       Heiterkeit muss er sich zurücknehmen. Dass es eine Songwriterin gibt, die
       Kompositionen mitbringt, sei für ihn eine Umstellung. Sie führt zu
       kreativen Synergien: Sommer singt auch auf dem im August erscheinenden
       neuen Messer-Album.
       
       Obwohl auf „Pop & Tod I+II“ große Themen angesprochen werden, schafft es
       Sommer, die Worte so vage zu halten, dass sie neugierig machen: „Ich mag
       Texte, die nicht alles vorgeben. In denen Raum bleibt, um sie mit
       verschiedenen Bedeutungen aufladen zu können.“ Alltägliches interessiert
       Die Heiterkeit nicht. Im Video zu „The End“ sind Kinder mit Theaterschminke
       zu sehen, gerahmt von Nebelmaschine und unnatürlicher Beleuchtung. Sie
       dürfen in die Kamera schauen. So wie dieses Video auf die Schere zwischen
       Kunst und Authentizität verweist, stellt Die Heiterkeit mit „Pop & Tod
       I+II“ das Drama von Pop als solches heraus. „Wenn es so weit ist, werden
       wir es wissen / Es wird in Ordnung sein.“ Aus dem Kleinen wird Großes:
       „Strophe, Refrain, dazwischen zerrissen“, heißt es im Titelsong.
       
       ## Düsteres und Heiteres
       
       Um die Spannungsbögen der beiden Alben wird eine stimmungsvolle Klammer aus
       Zitat und Neudeutung, Düsterem und Heiterem gebogen. Vom Auftaktsong „Die
       Kälte“, der klingt wie in einer winterlichen Dorfkirche aufgenommen, bis
       zum vorletzten Song „Komm mich besuchen“, in dem die Band sich für einen
       Tempoanstieg sechs Minuten Zeit nimmt.
       
       Eigentlich ein guter Schlusspunkt. Doch kulminiert das unaufdringlich
       Einprägsame erst im Finale. Wehmütig zitiert Sonja Deffner die Geschichte
       des Synthesizers, ihre Gesangszeilen sind eine Art Resümee des Werks: „Es
       ist großartig / Sind wir nicht alle zufrieden?“ Überraschenderweise
       antwortet ein Chor aus Musikern, die die hiesige Indieszene geprägt haben
       (Kristof Schreuf, Nagel, Maurice Summen u. v. a.).
       
       Die Heiterkeit kümmert sich weder um Kategorien der Popkritik noch um das
       kalkulierte Spiel von Inszenierung. Auf „Pop & Tod I+II“ behält die Band
       ihre entschleunigte Gelassenheit, fügt ihrem Sound aber eine Menge
       musikalischer Drastik hinzu – ein Kontrast, der ihr ziemlich gut steht.
       
       3 Jun 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Diviam Hoffmann
       
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