URI: 
       # taz.de -- Neues Bergbaugesetz in der Türkei: Wo Landraub zum Gesetz wird
       
       > Der türkische Präsident Erdogan hat ein neues Bergbaugesetz
       > durchgepeitscht. Das soll Einnahmen generieren, wird aber die Umwelt
       > zerstören.
       
   IMG Bild: Bergbau im Naturschutzgebiet? Na aber klar, sagt das neue Bergbaugesetz der Türkei
       
       Istanbul taz | „Die Regierung von Präsident Erdogan hat das größte
       Landraub-Gesetz der türkischen Geschichte beschlossen. Wir werden uns alle
       dagegen zur Wehr setzen.“ Deniz Gümüsel, eine der Sprecherinnen der
       Akbelen-AktivistInnen, die lange durch ein mehrere Jahre bestehendes
       Protestcamp den Braunkohleabbau in der Provinz Mugla verhindern konnten,
       bringt es in einem vielfach geteilten Video auf den Punkt.
       
       In der Nacht von Freitag auf Samstag haben die Regierungsparteien im
       Parlament in Ankara ein Gesetz beschlossen, das für den Abbau von Kohle,
       Gold und allen anderen Mineralien freie Bahn schafft, an denen ein
       staatliches Interesse besteht.
       
       Bisher bestehende Regelungen wie Umweltprüfungen, Sicherheitsvorkehrungen
       und ein Gesetz zum Schutz von Olivenhainen [1][werden aufgehoben oder
       abgeschafft], Genehmigungen für Bergbaufirmen, die nach bisherigen Gesetzen
       durch Umweltverbände oft verzögert oder ganz verhindert werden konnten,
       sollen nun im Schnellverfahren durchgezogen werden.
       
       Seit Jahrzehnten hat es in der [2][Türkei] immer wieder große
       Auseinandersetzungen um den Abbau von Gold oder anderen Mineralien
       insbesondere in der Ägäis-Region im Westen des Landes gegeben.
       
       ## Die Opposition ist vereint
       
       Angefangen vom Kazdag-Gebirge, einem großen Wald- und Naturschutzgebiet in
       der Nord-Ägäis, wo es Anwohnern und Naturschutzverbänden gelungen war,
       einen großräumigen Goldabbau durch einen kanadischen Minenkonzern zu
       verhindern, bis zu den Braunkohleabbaugebieten in der Süd-Ägäis, wo durch
       ein jahrelang aufrechterhaltenes Protestcamp die Rodung von Waldgebieten
       lange verhindert werden konnte, soll den Konzernen mit dem neuen Gesetz
       jetzt der Weg frei gemacht werden.
       
       Umweltverbände, linke Parteien und Bauernverbände hatten in den letzten
       zwei Wochen vor dem Parlament in Ankara eine Dauermahnwache errichtet. Alle
       Oppositionsparteien von links bis rechts versuchten, das Gesetz zu
       verhindern.
       
       Doch am Ende wurde es in einer Nachtsitzung durchgepeitscht. Mit 255 gegen
       199 Stimmen setzte die Regierung sich durch, um mit ihrem
       „Landplünderung-Gesetz“, wie Deniz Gümüsel es nennt, die klammen Kassen von
       Präsident [3][Recep Tayyip Erdogan] aufzufüllen.
       
       Besonders umstritten bei dem Gesetz ist die Aufhebung des Schutzes von
       Olivenhainen. Olivenbäume sind in der Türkei ein Kulturgut, das seit 1938
       besonders gesetzlich geschützt ist. Olivenhaine durften bislang weder
       gefällt noch für Bergbauaktivitäten enteignet werden. Das ist mit dem neuen
       Gesetz nun vorbei.
       
       ## Gold zu fördern vergiftet die Flüsse
       
       Gerade die türkische Ägäis-Küste ist neben Spanien, Griechenland und
       Italien eines der größten Olivenanbaugebiete der Welt. In dem Gesetz wird
       zwar empfohlen, Olivenbäume möglichst nicht zu fällen, sondern
       umzupflanzen, doch wer einmal jahrhundertealte Olivenplantagen gesehen hat,
       weiß sofort, dass das unmöglich ist.
       
       Dazu kommen die Gefahren des Mineralienabbaus und die enormen Verwüstungen,
       die der Obertagebergbau beim Abbau von Braunkohle hinterlässt. Beim
       Goldabbau wird Zyankali eingesetzt, um das Gold aus dem Gestein
       herauszuwaschen. Das giftige Zyankaligemisch wird anschließend in
       Rückhaltebecken geleitet, die bei dem nächsten kräftigen Regen überlaufen
       und das Gift in die Flüsse spülen.
       
       Statt diesen drohenden Gefahren durch bessere Sicherheitsvorkehrungen
       entgegenzuarbeiten, werden nun durch das neue Gesetz alle Einschränkungen
       für Bergbaufirmen aufgehoben.
       
       ## Aktivisten sehen auch das Positive
       
       Für die türkischen Naturschutzverbände ist das eine Kampfansage, die sie
       nicht unbeantwortet lassen wollen. „Das einzig Gute an der Geschichte der
       letzten Wochen ist, dass die ganzen Aktivisten aus der Türkei sich während
       der Proteste in Ankara besser kennengelernt und vernetzt haben“, sagte
       Aydin N., ein Sprecher der Akbelen-Kampagne, gegenüber der taz. „Wir
       bereiten uns jetzt auf neue Protestaktionen vor.“
       
       Nach geologischen Untersuchungen könnten allein im Hinterland der Provinz
       Mugla, zu der an der Küste die Touristenhochburgen Bodrum und Marmaris
       gehören, 43 Dörfer gefährdet sein, weil unter den Olivenhainen dieser
       Dörfer weitere Braunkohlevorkommen vermutet werden.
       
       Ebenfalls im Südwesten des Landes, im Latmos-Gebirge am Bafa-See, werden
       Goldvorkommen vermutet. Das Latmos-Gebirge ist ein archäologisches und
       landschaftlich besonders geschütztes Gebiet, in dem Bergbauaktivitäten
       bislang verboten waren. Das soll sich jetzt ändern.
       
       ## Enteignungen könnten Erdogan noch zum Problem werden
       
       Um die Genehmigungsverfahren schnell durchziehen zu können, soll nun statt
       den bislang verschiedenen Behörden allein eine neue „Generaldirektion für
       Minen und Ölvorkommen“ alle Projekte zentral steuern.
       
       Türkische wie auch internationale Konzerne sollen bei dieser neuen Behörde
       ihre Anträge stellen können, die dann in wenigen Monaten bearbeitet würden.
       Diese Generaldirektion soll dann auch die Landenteignungsverfahren
       vorantreiben.
       
       „Ich hoffe, dass dieses Gesetz für die Regierung ein Schuss ins eigene Knie
       wird“, sagte Aydin N. der taz. „Die Bauern sind empört und Enteignungen
       haben immer das Potenzial, großen Widerstand zu entfachen. Wir werden
       dieses Landraub-Gesetz nicht hinnehmen.“
       
       23 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Umweltzerstoerung-in-der-Tuerkei/!6098154
   DIR [2] /Tuerkei/!t5404167
   DIR [3] /Recep-Tayyip-Erdoan/!t5008296
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Wolf Wittenfeld
       
       ## TAGS
       
   DIR Bergbau
   DIR Naturschutz
   DIR Goldabbau
   DIR Ölförderung
   DIR Schwerpunkt Türkei unter Erdoğan 
   DIR Social-Auswahl
   DIR Türkei
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Türkei
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Schwerpunkt Türkei unter Erdoğan 
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Journalistin Hazal Ocak über Verfolgung: „In der Türkei gibt es einen großen Kampf um die Freiheit“
       
       In der Türkei wurde Ocak mit Strafverfahren überzogen, um sie zum Schweigen
       zu bringen. Die Stiftung für politisch Verfolgte holte sie nach Hamburg.
       
   DIR Internationaler Gerichtshof: Wer das Klima schädigt, muss laut Völkerrecht haften
       
       Der Internationale Gerichtshof hat ein weitreichendes Gutachten
       veröffentlicht. Laut Völkerrecht müssen Klimasünder haften. Verbindlich ist
       das nicht.
       
   DIR Femizide in der Türkei: Wie Polizisten den Mord an einer Studentin vertuschten
       
       In Istanbul wird eine 22-Jährige getötet, tatverdächtig ist der Ex-Freund.
       Ermittlungen bleiben aber zunächst aus – denn der Mann war einmal Polizist.
       
   DIR Umweltzerstörung in der Türkei: Im Namen des Profits
       
       Bergbauprojekte und Waldbrände zerstören in der Türkei wertvolle
       Ökosysteme. Ein Gesetzentwurf bedroht weitere Wälder und Olivenhaine.
       
   DIR Türkische Justiz: Wie Erdoğan die Opposition kaltstellen will
       
       Ekrem İmamoğlu ist der Hauptkonkurrent des Präsidenten. Jetzt hat ein
       Gericht den Istanbuler Bürgermeister verurteilt – wegen angeblicher
       Beleidigung.