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       # taz.de -- Neues Zentrum in Hamburg: Theater in der Waffenschmiede
       
       > In Hamburg-Barmbek eröffnet das bundesweit erste genossenschaftliche
       > Probenzentrum für Schauspiel und Tanz. Es wertet die Kulturmeile auf.
       
   IMG Bild: Günstig und günstig gelegen: Das Gebädue der „WIESE e.G.“ in Hamburg-Barmbek
       
       Hamburg taz | Es ist eine lebendige, luftige Kulturmeile geworden: Hier, am
       Wiesendamm in Hamburg-Barmbek, produzierte von 1917 bis 1972 die Firma
       Heidenreich & Harbeck, und noch bis 2007 war hier ein Standort des
       japanischen Teilhabers makino untergebracht. Während des Zweiten Weltkriegs
       hatte Heidenreich & Harbeck Waffen hergestellt und mehr als 300
       [1][ZwangsarbeiterInnen] eingesetzt. Für die Rüstungsproduktion war die
       Firma so wichtig, dass sie einen Eisenbahnanschluss bekam.
       
       Bise heute nehmen die inzwischen der Stadt gehörenden Gebäude einen halben
       Straßenzug ein, die Nutzung aber hat sich gewandelt: Kürzlich hat die
       städtischen Immobiliengesellschaft Sprinkenhof die Sanierung beendet, und
       nun residieren hier im einstigen Arbeiterviertel das Junge Schauspielhaus,
       eine Außenstelle der Hochschule für Musik und Theater (HFMT) sowie die
       „Wiese e. G.“ ein „Theatrales Bildungs- und Produktionszentrum“.
       
       „Es ist die bundesweit erste Genossenschaft, die Proberäume vermietet“,
       sagt der Dramaturg [2][Andreas Lübbers], Gründer des freien
       „Sprechwerk“-Theaters, und nun Mitinitiator der Wiese. „Probenräume für die
       freie Theaterszene fehlen schon lange“, sagt er, und da habe er sich mit
       einigen MitstreiterInnen eben zur Gründung einer Genossenschaft
       entschlossen. „Das ist das demokratischste Modell. Unser Ziel ist nicht
       Gewinnmaximierung, sondern die Ermöglichung günstiger Probenräume.“
       
       Neben dem Ort fanden sich bereits 90 GenossInnen. Auch der Bezirk Nord
       wollte eine kulturelle Nutzung am Wiesendamm – und erwarb sogar selbst
       Genossenschaftsanteile. Die Stadt gab Geld, die Sprinkenhof investierte,
       und die Genossenschaft nahm ein durch die Kulturbehörde abgesichertes
       Darlehen auf, damit saniert werden konnte.
       
       ## Lockdown verzögerte Eröffnungsfeier
       
       Am 15. Juni 2020 wurde ein 20 Jahre laufender Mitvertrag geschossen, und
       die ersten Monate liefen gut, sogar trotz Corona: Mieten für freie
       SchauspielerInnen und RegisseurInnen waren dank eines Rabattsystems
       günstig, die Nachfrage entsprechend groß. Dann kam im November der zweite
       Lockdown. Zwar glich der Rettungsschirm der Kulturbehörde die Verluste aus.
       Aber eine Eröffnungsfeier habe es nicht gegeben, so Lübbers: „Per Zoom
       macht das keinen Spaß.“
       
       Also wurde die offizielle Inbesitznahme des Gebäudes jetzt nachgeholt. Das
       Gebäude ist nicht so schick saniert wie nebenan die HFMT, vielleicht also
       einer Genossenschaft angemessen: Dezent gekalkt das Mauerwerk, gut sichtbar
       die Industriearchitektur mit Gängen, Podesten, Eisentreppen. Der schwarz
       getünchte große Bühnenraum erinnert an Kampnagel, eine gleichfalls für die
       Kultur geöffnete alte Industriestätte.
       
       Wenn man an einem beliebigen Vormittag hereinschlendert, erklingt im
       Obergeschoss Klavier, SchülerInnen tanzen, winken kurz, der Regisseur macht
       sich Notizen. Quer über den Gang, gut schallgedämmt: eine Kita. Weitere
       Räume haben längerfristig ein Schauspielstudio und die Elbe-Werkstätten
       bezogen. „Solche festen Mieteinnahmen brauchen wir für unsere Kalkulation“,
       sagt Lübbers. Außerdem solle dies ein Haus „über alle Grenzen hinweg“ sein.
       Er träumt sogar von einem Kinderhotel – falls die Eltern mal auf Tournee
       sind.
       
       Der Großteil der Räume wird aber kurzfristig vermietet, jeweils für halbe
       Tage. Gern hätte Lübbers auch zahlungskräftige KundInnen, Werbeagenturen
       etwa, um günstige Räume querzufinanzieren – aber sie seien bislang selten,
       sagt er.
       
       ## Kreativgesellschaft sieht keine Konkurrenz
       
       Vielleicht sind das eher die Kontakte der städtischen
       [3][Kreativgesellschaft], die Immobilien zur Zwischennutzung vermittelt und
       dafür auch höhere Preise nimmt? „Es ist nicht unser Ziel und auch nicht
       unsere Aufgabe, mit Immobilien Gewinne zu machen“, sagt Sprecher Jean
       Rehder. „Wir ermöglichen Räume, versuchen in unseren Aushandlungen mit
       städtischen und privaten PartnerInnen immer den bestmöglichen Preis
       auszuhandeln, um Kreativen Räume unterhalb der Marktpreise anzubieten.“
       
       Viele freie KünstlerInnen sagen aber, sie könnten die Preise der
       Kreativgesellschaft nicht zahlen. Neben Games-EntwicklerInnen, einer
       Videoproduktion und ModedesignerInnen nennt Rehder allerdings auch freie
       KünstlerInnen. Eine Konkurrenz sei die Wiese jedenfalls nicht: „Wir sind
       froh, wenn es für Kreativschaffende so viele Räume gibt wie möglich.“
       
       Das findet auch Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard: „Dieses neue
       Proben- und Aufführungszentrum ist eine enorme Bereicherung für die freie
       Szene und bedeutet einen weiteren Aufschwung für unseren Kiez, der sich
       allmählich zu einem echten Kulturquartier entwickelt.“ Und wenn in ein,
       zwei Jahren erst ihre eigene, also die Kampnagel-Sanierung beginne, werde
       sie sicher in der Wiese Räume für Proben und Aufführungen mieten. Andreas
       Lübbers wird es recht sein – wobei die WIESE ausdrücklich keine weiere
       Spielstätte sein will, um den bestehenden nicht Konkurrenz zu machen.
       
       Auch die Geschichte des Ortes, die Schicksale der ZwangsarbeiterInnen und
       den NS-Widerstand im einst „roten“ Barmbek will er – gemeinsam mit dem
       Jungem Schauspielhaus und der HfMT – zum Thema machen. Am liebsten als
       Dauerausstellung im Foyer.
       
       4 Oct 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Debatte-ueber-einstiges-NS-Haeftlingslager/!5768236
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   DIR [3] /Kreativwirtschaft/!5097943
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Petra Schellen
       
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