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       # taz.de -- Neukölln will Häuser vor Verkauf retten: Vorkaufsrecht reloaded
       
       > Der Bezirk hat eine Möglichkeit gefunden, das Vorkaufsrecht
       > wiederzubeleben. Zwei sanieurungsbedürftige Gebäude sollen geschützt
       > werden.
       
   IMG Bild: Für viele Mieter:innen die letzte Rettung: das Vorkaufsrecht
       
       Berlin taz | Das Vorkaufsrecht ist zurück. Mehr als anderthalb Jahre
       nachdem das [1][Bundesverwaltungsgericht das Instrument, mit dem Kommunen
       Häuser vor Privatverkäufen retten konnten, zu Fall brachte], will Neukölln
       es nun in zwei Fällen erstmals wieder zur Anwendung bringen.
       
       Sowohl für ein Gebäude in der Weichselstraße 52 in Neukölln mit 21
       Mietparteien als auch für ein Haus mit acht Wohnungen in der Hermannstraße
       123 hat der Bezirk sein Vorkaufsinteresse bekundet, wie Stadtrat Jochen
       Biedermann (Grüne) der taz sagte. Dass der Bezirk nun wieder handlungsfähig
       ist, sei das Ergebnis „langer, harter Arbeit“, so der Stadtrat.
       
       Das Gericht hatte Ende 2021 entschieden, dass die Annahme, dass durch einen
       Verkauf Mieter:innen verdrängt werden könnten, keine ausreichende
       Grundlage für die Ausübung des Vorkaufsrechts sei. Eine Lücke aber blieb:
       Kommunen können es zur Anwendung bringen und für gemeinwohlorientierte
       Drittkäufer einsetzen, wenn die Häuser in einem schlechten baulichen
       Zustand sind. Eine Verdrängungsgefahr ergibt sich in diesen Fällen ganz
       besonders, denn teure Sanierungen werden gern dafür genutzt,
       Alt-Mieter:innen los zu werden.
       
       Bei den beiden Häusern seien „erhebliche bauliche Mängel“ dokumentiert
       worden, so Biedermann. Eine Mieterin der Weichselstraße berichtet der taz
       von undichten Rohren, auch gebe es in einigen Wohnungen noch Kohleöfen. Sie
       sagt: „Unsere Mieten sind so gestaltet, dass man ohne Modernisierung keinen
       Profit machen kann.“ Die Hausgemeinschaft fürchte um ihre „langfristige
       Wohnperspektive“.
       
       ## Die Frist läuft
       
       Den beabsichtigten Käufern bleiben nun drei Monate Zeit zu entscheiden, ob
       sie einen Vorkauf durch Unterzeichnung einer Abwendungsvereinbarung
       verhindern. Dann müssten sie sich zur „Beseitigung der baulichen Missstände
       und zu Kappungsgrenzen für Modernisierungsumlagen“ verpflichten, so
       Biedermann.
       
       Die sichere Variante für die Mieter:innen wäre jedoch die Ziehung des
       Vorkaufsrechts. Dafür müsste sich innerhalb jener Frist ein Drittkäufer
       finden, also eine städtische Wohnungsbaugesellschaft oder Genossenschaft.
       Zwar seien die Kaufpreise verhältnismäßig moderat, doch die notwendigen
       Investitionen stellen für gemeinwohlorientierte Käufer ein erhebliches
       Risiko der Wirtschaftlichkeit dar.
       
       „Ohne Unterstützung des Landes wird es nicht gehen“, sagt Biedermann und
       hat auch eine Idee, woher die Gelder kommen könnten: „Der Klimafonds des
       Senats würde sich dafür gut eignen.“ Seine Argumentation: Die Häuser sind
       in einem schlechtem energetischen Zustand und könnten als zukünftige
       öffentliche Gebäude „ertüchtigt werden, ohne die Mieter:innen einseitig
       zu belasten“.
       
       ## Schlechtes Beispiel: Rigaer Straße
       
       Wie das Geschäftsmodell, sanierungsbedürftige Häuser zu kaufen und damit
       maximale Rendite zu erwirtschaften, aussehen kann, zeigt derzeit ein
       [2][Fall dreier Häuser] an der Ecke [3][Rigaer Straße/Liebigstraße] – die
       exakt jener Eigentümergruppe gehören, die auch das Haus in der
       Weichselstraße erwerben will. Dazu gehören zwei Geschäftsführer der
       Hamburger Immobilienfirma Hansereal, deren einstiger Gründer eine Stiftung
       gegründet hat, [4][die im Verdacht steht, eine Tarnorganisation der AfD zu
       sein]. Kurz nach dem Erwerb vor zehn Jahren hatten die Eigentümer die
       Häuser in Eigentumswohnungen aufgeteilt.
       
       Am Dienstag waren die ersten Kaufinteressenten im Haus. Laut Inserat werden
       diesen Balkone versprochen, dabei sind Bauanträge dafür vom Bezirksamt
       zweimal abgelehnt worden. Mit dem drohenden Verkauf einzelner Wohnungen
       sehen die Mieter.innen die Chancen schwinden, doch noch einen
       gemeinwohlorientierten Käufer für die Häuser zu finden. Bei einem Kaufpreis
       von 11 Millionen Euro und hohem Sanierungsbedarf ohnehin ein schwieriges
       Unterfangen.
       
       25 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Urteil-des-Bundesverwaltungsgericht/!5814508
   DIR [2] /Rigaer-Strasse-Ecke-Liebigstrasse/!5938825
   DIR [3] https://rigaer-lieb-ich.de/
   DIR [4] /Stiftung-in-Hamburg/!5378080
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erik Peter
       
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