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       # taz.de -- Norddeutsche Kolonialgeschichte: Altona, gebaut aus Sklaven-Gold
       
       > Das im 18. Jahrhundert dänisch verwaltete Altona war ein Zentrum des
       > transatlantischen Dreieckshandels. Doch auch Hamburger profitierten.
       
   IMG Bild: 1803: eine dänische Sklavenhändlerbarke vor Kopenhagen. Sie belieferte die Westindischen Inseln
       
       HAMBURG taz | Da ist ein Mythos zu brechen. Patina zu wischen von der
       Legende des „Goldenen Altonaer Zeitalters“ im 18. Jahrhundert. Dabei kommt
       es so adrett daher mit seinen klassizistischen Elbhang-Villen und Parks,
       mit Gemälden von Paaren, die hinunter auf die Elbe schauen. Oder im
       Herrenhaus am Fenster sitzen, und draußen gleitet sacht ein Großsegler
       vorbei.
       
       Der sieht ganz harmlos aus, er soll nach Afrika, und wenige wissen, dass er
       auf hoher See für den Sklaventransport umgerüstet wird. Ein Zimmermann wird
       massive Holzverschläge aufs Deck bauen, um die Schiffsmannschaft vor
       Attacken zu schützen. Er wird Netze an die Reling montieren, damit sich
       keiner ins Meer stürzt. Er wird auch die flachen, für Afrikas Küsten
       gebauten Schaluppen instand setzen. Sie werden Menschen aufnehmen, die man
       gegen Gewehre, Branntwein und Stoffe auf lokalen Sklavenmärkten ersteht.
       
       Zweistöckig sind diese Schiffe gebaut, mit Ketten und Fesseln unter Deck;
       die beteiligten Altonaer und Hamburger Reeder und Kaufleute heißen van der
       Smissen und Baur, Lawaetz und Voght. Die Schaluppen haben unter anderem die
       Altonaer Werften Lührs und Holzt gebaut.
       
       All diese Leute wissen, wozu die Boote gut sind und dass bis zu 30 Prozent
       der Versklavten sterben, bevor sie in der Karibik ankommen, um dort auf
       Plantagen zu schuften. Den von ihnen billig erzeugten Zucker, Tabak und Rum
       lädt man wieder aufs Schiff. Holzverschlag und Netze werden entfernt;
       harmlos aussehend kehrt das Schiff mit „neutraler Ware“ zurück nach Europa,
       auch nach Altona.
       
       Transatlantischer Dreieckshandel heißt das Ganze – was politisch nicht
       korrekt ist, werden Waren und Versklavte doch in einem Atemzug genannt.
       Aber die Kaufleute, deren Namen man noch längst nicht alle kennt, kümmert’s
       nicht, solange der Profit stimmt. Sie werden reich. Und in Altona tragen
       Straßen und Parks bis heute meist unbehelligt ihre Namen.
       
       ## Der Schimmelmann-Sturz war nur ein Anfang
       
       Nur die Büste von Heinrich Carl Schimmelmann in Hamburg-Wandsbek musste
       weichen. Die sollte seine Wohltaten für Hamburgs Arme preisen. Dabei war
       Schimmelmann mit vier Baumwoll- und Zuckerrohrplantagen in
       Dänisch-Westindien sowie bis zu 1.000 Sklaven der größte Sklavenhändler
       Dänemarks und einer der reichsten Männer Europas. Er avancierte zum
       Schatzmeister des dänischen Königs, hinterließ seinen Kindern ein Vermögen.
       
       Doch der Wandsbeker Bildersturm blieb die Ausnahme. Bis heute hat Hamburg
       vier Schimmelmann-Straßen, und bis 2016 fand im Museum für Kunst und
       Gewerbe jährlich die Performance „Weihnachten bei Schimmelmanns“ statt, bis
       die Direktorin die Sache auf öffentliche Kritik hin stoppte.
       
       Und abgesehen davon, dass Politiker wie Anwohner in puncto Umbenennung
       träge sind, betraf der Sklavenhandel ja das damals dänisch verwaltete
       Altona. Was geht das Hamburg an, zu dem Altona erst seit 1937 gehört?
       
       „Erstens“, sagt Jürgen Zimmerer, Leiter der 2014 vom Hamburger Senat
       eingerichteten Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“, seien
       wohl auch Hamburger Kaufleute am lukrativen transatlantischen Sklavenhandel
       nach Dänisch-Westindien beteiligt gewesen. „Der wurde zwar lange Zeit von
       der dänischen Krone kontrolliert, aber man brauchte ja nur über die
       Stadtgrenze zu gehen und die Geschäfte über einen Strohmann abzuwickeln.“
       Wie viele Schiffe unter dänischer Flagge auf Hamburger Rechnung fuhren, sei
       aber noch nicht erforscht.
       
       Hannimari Jokinen, im Arbeitskreis Hamburg Postkolonial aktive Künstlerin
       und Kuratorin, geht es ohnehin um lokale, noch sichtbare Spuren im
       Hamburg-Altonaer Stadtraum. „Und auch wenn die konkrete Entschuldigungs-
       und Reparationsfrage eher Dänemark betrifft, stehen wir in der historischen
       Verantwortung. Wir müssen die Ursprünge des aktuellen Wohlstands und auch
       Firmengeschichten kennen.“ Aurubis zum Beispiel sei Nachfolgerin der
       Norddeutschen Affinerie, einer kolonialen Gründung, die mit Kupfer, Gold
       und Silber handelte.
       
       All das ist kaum bekannt; wenig weiß man darüber, welche Reeder und
       Kaufleute außer Schimmelmann beteiligt waren. Unerforscht sind die
       Schiffslisten des 18. Jahrhunderts aus Flensburg, Altona und der Karibik.
       Und Zimmerers Forschungsstelle ist zu klein, um all das zu ergründen,
       kämpft zudem stetig ums Überleben.
       
       Und weil das so ist, hat sich die aus einer multi-ethnischen Familie
       stammende Hannimari Jokinen vor 15 Jahren des Themas angenommen. Anlass
       ihrer aktuellen Veranstaltungsreihe ist der Verkauf der kolonisierten
       dänischen Karibik-Inseln St. John, St. Croix und St. Thomas 1917 an die
       USA. Letztere haben übrigens beide einen Stadtteil namens „Altona“.
       
       Zu diesem Zeitpunkt war die von Sklavenarbeit profitierende
       Plantagenwirtschaft längst unrentabel, Dänemark wollte die Inseln
       loswerden, und die USA kamen Deutschland zuvor, um die Karibikregion und
       den frisch erbauten Panama-Kanal zu kontrollieren.
       
       Bis 1848 – dem offiziellen Ende der dänischen Sklaverei, das einem Aufstand
       knapp zuvorkam – war St. Thomas die bedeutendste und St. John mit dem „St.
       Johns Slave Code“ samt drakonischem Strafregister die berüchtigtste der
       Inseln gewesen.
       
       ## Aufklärung – ja, aber nur für die reichen Kaufleute
       
       Die Kaufleute verhielten sich merkwürdig doppelzüngig, unterstützte doch
       Sklavenhändler Schimmelmann verbal durchaus den Altonaer Reformer Johann
       Friedrich Struensee. Aber die Aufklärung galt vor allem für die reichen
       Kaufleute, die mit der „Freiheit“ der französischen Revolution vor allem
       den Übersee-Freihandel verbanden. Doch selbst Aufklärer wie Montesquieu und
       Voltaire äußeren sich wohlwollend über die Sklaverei. Deren Abschaffung
       ging weniger auf humanitäre, als auf wirtschaftliche Überlegungen zurück.
       Sowie auf erfolgreiche Aufstände der Versklavten.
       
       Das ist lange her, aber Reparationen gab es nur vereinzelt, nach langen
       Prozessen in den USA. Entschuldigungen der Exkolonialmächte kamen nie.
       Traumata und Verbitterung lagern oft unbearbeitet im Bewusstsein der
       betroffenen Communitys, prägen ihre Identität; die Wut übertrug sich auf
       Kinder und Enkel der Versklavten.
       
       Der in Hamburger Künstler Joe Sam-Essandoh spürt diesen Zorn. Vor 30 Jahren
       floh er aus Ghana – der einstigen „Goldküste“, an der auch Dänemark
       Festungen für den Handel mit Versklavten bauen ließ – nach Altona. Er kennt
       die alljährlichen Re-Enactments seines Dorfs, wo die Menschen tanzend das
       Leid der Vorfahren in Erinnerung rufen, „und mit jedem Tanz wird die Wut
       ein bisschen weniger“. Und er hat seine eigene Methode gefunden, den Zorn
       zu transformieren.
       
       „Sankofa – Altona in der Karibik“ lautet das Motto der Vorträge und
       Stadtführungen zum 100-jährigen Jahrestag des Verkaufs der dänischen
       Karibik-Inseln, die er mit Jokinen konzipiert hat. „Sankofa“ benennt in
       Westafrika einen Vogel, der auf sein Ei zurückschaut: „Schau in deine
       Vergangenheit, damit du die Zukunft verstehst“, erklärt Sam-Essandoh. Und
       in Altona wisse ja kaum jemand über die einstigen Karibik-Connections der
       Kaufleute Bescheid.
       
       Dabei haben sie auch ghanaisches Gold abgegriffen und weggeschafft. „Wir in
       Ghana sagen immer: Wir haben alles – Gold, Silber, Kupfer, Zinn, Diamanten,
       Kakao und Tropenholz. Warum sind wir trotzdem arm?“ Und zwar sowohl
       materiell als auch spirituell, seit Missionare Afrikaner ins Christentum
       zwangen. Beides hat Sam-Essandoh in einer mit Hannimari Jokinen gestalteten
       Ausstellung zurückgeholt: in Form traditionell wirkender Masken aus
       Kolonialmaterial wie Kupfer, Kauri-Muscheln und traditionell ghanaischem
       Korbgeflecht.
       
       Er weiß, dass er damit scheinbar das Klischee weißer europäischer
       Intellektueller von der afrikanischen Folklore bedient. Aber das stört ihn
       nicht. Masken zählten nun mal zur Tradition, sagt er. Ihre künstlerische
       Transformation biete die Chance, Definitionsmacht über die eigene Identität
       zurückzugewinnen, eine neue Spur zu legen.
       
       ## Masken gegen die Selbstinszenierung der Reeder
       
       Übrigens bald auch im Altonaer Museum, das bislang eher gedankenlos mit
       Kolonialismus umging: Ab 21. Juni wird Sam-Essandoh dort zehn seiner Masken
       in der Abteilung „Handelsschifffahrt“ installieren und mit Schiffsmodellen
       konfrontieren, die für Altonaer Reeder gebaut wurden. Zwar habe man, sagt
       die neue Museumschefin Anja Dauschek, adhoc nicht eruieren können, welche
       diese Reeder wie am Dreieckshandel beteiligt gewesen seien, „ich verstehe
       Joe Sam-Essandohs Intervention aber als Denkanstoß. Wir werden uns im Zuge
       der Neustrukturierung der Dauerausstellung dem Thema in den kommenden
       Jahren stellen und das auch in Auswahl und Beschriftungen der Exponate zum
       Ausdruck bringen“.
       
       Für die vornehmen Elbvillen etwa an der Altonaer Palmaille, für das
       Jenisch-Haus in Klein-Flottbek oder Baurs Park steht das noch aus. Zumal es
       dort – zeitgenössische Gemälde bezeugen es – auch versklavte schwarze
       Dienerschaft gab.
       
       Auch hierüber weiß man wenig, aber Jokinen versucht eine Annäherung. Im
       Papiermüll hat sie eine deutsch-dänische Sprachlehre des 18. Jahrhunderts
       gefunden, gedacht für im Dreieckshandel tätige Kaufleute und für schwarze
       Dienerschaft. Martialisch-ideologisch klingt, was Joe Sam-Essandoh auf
       Videos, auf Deutsch, Dänisch und Fante nachspricht: „eine Insel, ein
       Gewehr“, „er gönnete ihm das Leben und nahm ihn mit“, „ich schreie, ich
       schmerze, ich ersticke“.
       
       Jokinen lässt die Worte als Papierschnipsel direkt ins Kassenbuch des
       Kaufmanns rieseln, setzt dahinter dänisch-koloniale Zuckerhüte. Die waren
       für die Reichen, unerschwinglich fürs Volk. Das Wissen um die Missstände
       war es nicht: Altona rühmte sich damals erlesener Pressefreiheit, und
       zumindest der Altonaische Mercurius berichtete 1792 über die Pläne zur
       Abschaffung der Sklaverei. Sie werden als „merkwürdige Verordnung“
       bezeichnet, und der Journalist äußert die Hoffnung, dass bis zum
       endgültigen Ende 1803 auf den karibischen Inseln eine „hinlängliche Anzahl
       Neger vorhanden seyn wird, sich in der Folge … durch die natürlich
       Fortpflanzung wenigstens erhalten wird.“ Frei war Altonas Presse.
       Unparteiisch nicht.
       
       12 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Petra Schellen
       
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