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       # taz.de -- Obdachlos in Berlin: Platz finden
       
       > Kein Dach über dem Kopf und auch kein geschützer Ort? In Berlin gibt es
       > Streit um Safe Places für obdachlose Menschen.
       
   IMG Bild: Draußen bleiben: Debora Ruppert porträtiert Obdachlose und gibt Obdachlosigkeit ein Gesicht
       
       Wer die Karl-Marx-Straße entlang läuft oder am Landwehrkanal spaziert,
       kommt dort häufig an fest eingerichteten Schlafplätzen vorbei. Oft nicht
       mal ein Zelt, sondern einfach eine breite Matratze, darauf ein bis zwei
       ordentlich ausgebreitete Schlafsäcke und Decken, manche Plätze sind mit
       einer Zeltplane gegen Regen und Blicke geschützt. Daneben Einkaufswagen
       oder ausrangierte Kinderkarren zum Sammeln von Pfandflaschen und für
       Habseligkeiten, vereinzelt auch ein kleines Regal. Wie ein kleines Wohn-
       und Schlafzimmer auf der Straße.
       
       Solche Schlafplätze fallen in diesem Sommer nicht nur in Neukölln auf,
       sondern auch in anderen Innenstadtbezirken: Matratzen liegen im Eingang zu
       leerstehenden Geschäften, unter Brücken, oft aber auch einfach am
       Straßenrand, am Bauzaun oder am Kanalufer.
       
       Die sichtbare Obdachlosigkeit, so der subjektive Eindruck, hat in den
       vergangenen Monaten damit deutlich zugenommen. Empirisch lässt sich dieser
       Eindruck schwer belegen, denn wirklich belastbare Zahlen gibt es nicht. In
       einer ersten berlinweiten Zählung von obdachlosen Menschen im Januar 2020
       trafen die Zählteams knapp 2.000 Menschen an. Der Ergebnis dieser ersten
       [1][„Nacht der Solidarität“] liegt damit deutlich unter den Schätzungen
       etwa von Beratungsstellen, die zuvor von 5.000 bis zu 8.000 obdachlos
       lebenden Menschen in Berlin ausgegangen waren.
       
       Eine zweite für den Sommer geplante Zählung von Obdachlosen in Berlin ist
       wegen der Pandemie auf das kommende Jahr verschoben worden. Aber der
       Eindruck, dass solche Schlafplätze deutlich zahlreicher und auffälliger im
       Stadtbild geworden sind, deckt sich mit den Beobachtungen von Initiativen
       und Beratungsstellen der Obdachlosenhilfe. Und es ist ja nicht nur die
       Zahl: An solchen offen an der Straße liegenden Schlafplätzen sind die
       Menschen viel sichtbarer als in einem versteckten Zelt am Rand einer
       Brache.
       
       „Früher hatten wir Obdachlosigkeit vorwiegend an einigen Hotspots.
       Inzwischen ist Obdachlosigkeit flächendeckend in der Stadt, Menschen suchen
       sich Nischen, sie leben unter Brücken. Mehr Menschen verlieren ihre
       Wohnungen, und dadurch sind sie auch sichtbarer“, sagt Andreas Abel von
       Gangway. Gangway macht niedrigschwellige Straßensozialarbeit und ist als
       Ansprechpartner für obdachlose Menschen am Zoo und am Ostbahnhof, aber auch
       in Friedrichshain-Kreuzberg und seit einem Jahr mit einem Team in Neukölln
       unterwegs. Dort sprechen sie Menschen an, bauen ein Vertrauensverhältnis
       auf und bieten Unterstützung an – wenn sie gewünscht ist.
       
       „Dass es mehr Menschen geworden sind, bezweifelt niemand“, sagt Abel. „Wir
       sehen das auch, etwa an Statistiken von Beratungsstellen oder bei der
       Auslastung der Kältehilfe.“ Sei es früher relativ leicht gewesen, einen
       Menschen, der dies wünsche, im Sommer unterzubringen, sei dies nun nicht
       mehr ohne weiteres möglich.
       
       Auch bei der Berliner Obdachlosenhilfe hat man den Eindruck, dass sichtbare
       Obdachlosigkeit in Berlin zugenommen hat. „Wenn allgemein weniger los ist
       draußen, werden diejenigen, die auf der Straße leben und sich eben nicht
       ins Zuhause zurückziehen konnten, sichtbarer“, sagt Heinz Waldow, einer der
       freiwilligen Helfer:innen bei der Obdachlosenhilfe. Dazu käme, dass den
       Menschen viele Einnahmequellen wie Zeitschriften verkaufen oder Betteln
       versiegt waren, so dass auch die, die sich sonst über den Tag das Geld für
       ein Hostel organisieren konnten, sich stattdessen einen Schlafplatz draußen
       eingerichtet hätten.
       
       ## Saisonale Schwankungen
       
       Bei den Bezirken – die verpflichtet sind, obdachlose Menschen
       unterzubringen – klingt das etwas weniger eindeutig. Eine Zunahme der
       Obdachlosigkeit sei in den vergangenen Jahren durchaus spürbar, diese
       unterliege aber auch saisonalen Schwankungen, heißt es etwa aus
       Charlottenburg-Wilmersdorf. Friedrichshain-Kreuzberg beschäftigten „die
       sichtbare Obdachlosigkeit und Campbildungen schon die gesamte Legislatur
       und darüber hinaus“. Und die relativ neue Zusammenarbeit von Neukölln und
       Gangway ist getragen von der Beobachtung, dass Obdachlosigkeit auch hier
       sichtbarer wird und sich in die Fläche ausdehnt.
       
       Wenn Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Die Linke) über Zahlen
       spricht, möchte sie den Eindruck einer Zunahme weder bestätigen noch
       dementieren. Dies sei subjektiv, sagt sie, auch deshalb bemühe sie sich
       etwa mit Zählungen weiter um Zahlen.
       
       Sie hat dabei allerdings nicht nur die Obdachlosigkeit im Blick – also die
       Fälle, in denen Menschen mit ihrem Hab und Gut vornehmlich auf der Straße
       leben -, sondern auch Wohnungslosigkeit, wo Menschen keine eigene Wohnung
       haben und etwa in Unterkünften untergebracht sind oder als sogenannte
       Sofahopper bei Bekannten mehr oder weniger temporär und oft prekär
       unterkommen.
       
       [2][Breitenbachs erklärtes Ziel ist es], Wohnungs- und Obdachlosigkeit in
       Berlin bis 2030 zu beenden. Sie setzt dafür unter anderem auf Housing First
       – also den Versuch, Menschen als erstes und ohne große Voraussetzungen eine
       Wohnung zu vermitteln.
       
       Dieses Konzept finden sowohl viele obdachlose Menschen als auch ihre
       Unterstützer:innen begrüßenswert. Doch bis dahin ist es noch ein
       langer Weg, in Berlin haben gerade erste Pilotprojekte für rund 70 Menschen
       begonnen.
       
       ## Räumungen lösen kein Problem
       
       Daneben will Breitenbach den Zustand von Unterkünften verbessern, und auch
       Safe Places sollen die Situation von obdachlos lebenden Menschen weniger
       prekär machen. Mit Safe Places sind Orte gemeint, an denen Menschen, die
       sich dort niederlassen, nicht geräumt werden und an denen die Bezirke oder
       Träger außerdem eine grundlegende Versorgung etwa mit Wasser, Toiletten und
       Müllabfuhr sicherstellen.
       
       „Räumungen lösen das Problem ja nicht, diese Erkenntnis spricht sich
       inzwischen auch in den Bezirken herum, auch wenn die immer noch sehr
       unterschiedlich mit obdachlosen Menschen umgehen“, sagt Gangway-Mitarbeiter
       Abel.
       
       Er kritisiert, dass in einigen Bezirken immer noch Orte ohne vorherige
       Ansprache geräumt werden. „Es gibt oft Orte, an denen sie nicht stören, und
       wenn sie da geräumt werden und weiterziehen, gibt es plötzlich Probleme
       mit Anwohner*innen“, sagt er. „Das ist doch unlogisch.“
       
       Die Straße gehört allen. Nicht der Verwaltung oder den Politikern“, sagt
       Cengiz Tanriverdio von Gangway, der seit einem Jahr in Neukölln als
       Straßensozialarbeiter Kontakt zu obdachlosen Menschen aufbaut. „Menschen
       haben ein Recht darauf, dort zu leben – wenn sie das so für sich wollen.“
       
       ## Ein selbstbestimmtes Leben
       
       Doch es ist ein schmaler Grat zwischen diesem „Wollen“, zwischen
       Freiheitsbedürfnis, individuellen psychischen oder medizinischen Notlagen
       und – auch das gehört zum Bild dazu – dem desolaten Zustand von manchen
       Unterkünften oder den dortigen Zugangsbedingungen. In die Entscheidung,
       dauerhaft auf der Straße zu leben, spielt nach Erfahrung der
       Sozialarbeiter:innen auch die Frage hinein, inwieweit Menschen es
       aushalten, sich mit fremden Menschen ein Zimmer zu teilen, ihr Haustier
       nicht in eine Unterkunft mitnehmen zu können oder inwieweit ein striktes
       Verbot von Alkohol und anderen Suchtmitteln für sie umsetzbar ist.
       
       Auf diesem schmalen Grat bewegt sich auch die Idee der Safe Places. Denn,
       so der von der Verwaltung getragene Gedanke: solange es Obdachlosigkeit
       gibt und solange auch Housing First oder Notunterkünfte nicht für alle
       Menschen eine Lösung sind, sollen sie wenigstens etwas geschützt und unter
       guten hygienischen Bedingungen draußen leben.
       
       Aus der Sicht obdachloser Menschen stand bei der Idee auch im Vordergrund,
       dass solche Safe Places ihnen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen
       könnten. Träger wie die Sozialgenossenschaft Karuna sehen in dem Konzept
       Chancen für ein Empowerment obdachloser Menschen jenseits von staatlichen
       Hilfesystemen.
       
       Eingeführt wurde das Konzept Anfang 2019 von Sozialsenatorin Elke
       Breitenbach als Teil ihres Planes, die unfreiwillige Wohnungslosigkeit in
       Berlin bis 2030 zu beenden. Auch für Menschen, die sonst keine
       Hilfsangebote annehmen können oder wollen, brauche es sichere Plätze –
       nicht zuletzt wegen des Mangels an bezahlbarem Wohnraum, so die Senatorin
       damals in einer Stellungnahme. Seitdem passiert ist – „pandemiebedingt“,
       wie Breitenbach heute sagt – allerdings wenig.
       
       Die Idee traf jedenfalls vielerorts erstmal auf viel Lob. Auch bei der
       Diskussion um das [3][Camp an der Rummelsburger Bucht] in Lichtenberg, in
       dem sich zwischenzeitlich mehr als 100 Menschen in Wohnwagen, Zelten und
       selbstgezimmerten Verschlägen lebten, schwang die Forderung mit, die Brache
       einfach zum Safe Place zu erklären und mit Wasseranschluss und
       Müllentsorgung auszustatten.
       
       Perspektivisch könnten Safe Places auf allen möglichen Freiflächen Berlins
       entstehen. Als Modellprojekte sind die ersten beiden Safe Places in Berlin
       eigentlich kurz vor der Fertigstellung: einer auf dem Containerbahnhof
       Frankfurter Allee, hinter der großen Traglufthalle „Halleluja“ der Berliner
       Stadtmission. Der zweite ist als „Common Place“ auf einer Grünfläche
       zwischen Frankfurter Allee und Gürtelstraße geplant, auch nur wenige
       hundert Meter vom Projekt der Stadtmission entfernt und in der
       Zuständigkeit des Bezirks Lichtenberg.
       
       Wann – und ob – dieser zweite Ort tatsächlich eingerichtet werden kann, ist
       nach einer Abstimmung in der Lichtenberger Bezirskverordnetenversammlung
       (BVV) vom Mittwoch allerdings wieder offen. Die BVV hatte sich – für viele
       der an der Planung Beteiligten überraschend – gegen den SPD-Antrag zur
       Umsetzung des Common Place ausgesprochen. Damit ist dessen Zukunft an
       dieser Stelle wieder ungewiss.
       
       ## Umzug von Zuflucht zu Zuflucht
       
       Für den Friedrichshainer Safe Place ist bereits ein kleines Areal an der
       Frankfurter Allee mit Bauzäunen umzogen. Es gibt hier fließend Wasser,
       einen Kühlschrank, eine improvisierte Duschkonstruktion, bald soll auch
       Strom kommen. Im hinteren Teil ist ein Pavillon aufgespannt, unter dem
       Campingstühle zum gemütlichen Abhängen einladen. Insgesamt leben sechs
       Stammbewohner:innen sowie einige teils länger bleibende Gäste auf dem
       von der Stadtmission angemieteten Areal.
       
       „Sieht doch richtig top aus, oder?“, fragt der 27-jährige Obdachlose Milan
       Sosnowski (Name geändert), während er eine Tischdecke hervorkramt, sie
       faltet und über den Campingtisch wirft. Anschließend wischt er mit einer
       Handbewegung noch die Falten beiseite. Auch Matze Meier (ebenfalls Name
       geändert), der einige Meter entfernt oberkörperfrei dasteht, nickt
       anerkennend: „Fehlt nur noch der Aschenbecher“, sagt er. Schnell ist dieser
       gefunden und mittig auf dem Tisch platziert.
       
       Noch Anfang Juni lebten die beiden hundert Meter weiter, wo ein
       Obdachlosencamp seit Jahren etwa 30 Menschen eine Zuflucht bot. Jetzt dient
       der Ort nur noch vereinzelten Menschen als Nachtlager. Die Deutsche Bahn,
       der das Gelände gehört, hatte die Räumung angekündigt – um sie dann im
       letzten Moment wieder abzusagen. Der neue Safe Place bietet also nicht
       allen Menschen, die vorher am Containerbahnhof gelebt hatten, Sicherheit.
       Sozialarbeiter:innen hätten den Kreis derer, die umziehen durften,
       zuvor „ermittelt“, sagt Sara Lühmann vom Friedrichshainer Bezirksamt der
       taz. Und ohne den Druck der Räumung wäre der nun bestehende Safe Place wohl
       nicht so schnell eingerichtet worden.
       
       Der eigentlich in Lichtenberg vorgesehene „Common Place“ soll von Karuna
       betreut werden, einer Sozialgenossenschaft, die sich in der
       Obdachlosenhilfe engagiert und auch die Obdachlosenzeitschrift Karuna
       Kompass verantwortet. Bis zum Ende dieses Jahres wollte man die ersten Tiny
       Houses aufgestellt haben. Auch ein öffentlicher Gemeinschaftsgarten sowie
       ein Repair Café war dort geplant, sagt Jörg Richert, Vorstandsvorsitzender
       von Karuna. Die Idee stammt aus den USA. Richert ist Soziologe und hat
       derartige Orte quer durch die Vereinigten Staaten besucht. Besonders
       beeindruckt habe ihn Seattle: „Fast an jeder Ecke“ entstünden dort Common
       Places, also autonome Strukturen unter Einbeziehung obdachloser Menschen,
       die meist öffentliche Gemeinschaftsgärten oder Repair Cafés betreiben.
       „Common Places sind nicht nur Orte, an denen obdachlose Menschen sicher
       sind, in ihnen wird zudem die gemeinschaftliche Verwaltung von Eigentum
       geprobt“, so der Soziologe.
       
       Durch diese Angebote würden die Grenzen zwischen Nachbarschaft und
       Obdachlosen aufweichen, bis letztere ihre Rolle als soziale
       Außenseiter:innen schließlich überwinden. Im Gegensatz zu Berlin, wo
       weiterhin die „Ich helfe dir“-Mentalität dominiere, stehe also das Credo
       „Hilf dir selbst, du schaffst das, du wirst nicht fremdbestimmt“ im
       Mittelpunkt.
       
       Natürlich sei Hilfe in vielen Situationen eine humanitäre Notwendigkeit, so
       Richert. „Letztlich entsteht durch sie aber auch eine
       Abhängigkeitsbeziehung, die beim Kampf, sich aus der Obdachlosigkeit zu
       befreien, sogar hinderlich wirken kann.“
       
       ## Kein Ort der Selbtverwirklichung
       
       Sozialsenatorin Breitenbach betont dagegen die Funktion als Schutzraum –
       und nicht als Wagenplatz zur Selbstverwirklichung. Safe Places seien
       ausschließlich für Menschen, die auch tatsächlich obdachlos seien – und
       nicht etwa Orte für Wagenplätze oder für Menschen mit alternativen
       Lebenskonzepten. „Ich werde immer für Freiräume kämpfen“, sagt sie der taz.
       „Aber es ist nicht Aufgabe des Staates, Menschen ihren Lebenstraum zu
       finanzieren.“
       
       Was die bisherigen Konzepte verbindet, ist, dass sie Regeln und eine
       gewisse Stabilität der Bewohner:innen erfordern. Das aber schließt etwa
       schwer Suchtkranke oder Menschen mit gravierenden psychischen Problemen von
       vorneherein aus. Deswegen sind in Bezug auf die Safe Places für ihn noch
       viele Fragen offen, sagt Sozialarbeiter Andreas Abel von Gangway. Bei den
       jetzt vorliegenden Konzepten würden Menschen wieder reglementiert, für
       viele seiner Adressat:innen käme das nicht in Frage – die erreiche man
       eben höchstens mit Straßensozialarbeit, wie Gangway sie praktiziert.
       
       „Diese Lösungen gefallen mir bisher nicht“, sagt Abel. Konzepte wie der
       Common Place, dessen Bewohner:innen sich formal als Verein gründen
       sollen, um sich gegenüber dem Außen autonom vertreten zu können, und die
       dann dort noch Repair Cafés und Urban Gardening und einen Weihnachtsmarkt
       machen sollen, seien für viele zu voraussetzungsvoll. „An diesem
       Arbeitsauftrag könnte auch eine Gruppe von acht Akademiker:innen
       leicht scheitern“, meint er.
       
       Abel kritisiert auch, dass die Sicherheit der einen eine größere
       Unsicherheit für die, die dort nicht reinpassen, bedeuten könnte: So sei in
       einer Anwohner:innenversammlung an der Frankfurter Allee etwa
       versichert worden, dass andere Obdachlose im Umfeld der neuen Safe Places
       dann nicht mehr geduldet werden, damit es nicht „zu viele“ würden. „Das
       könnte dazu führen, dass Safe Places die Sicherheit der Menschen
       verringern, die dort nicht reinpassen und sich daher doch wieder woanders
       niederlassen.“
       
       Auch bei der Berliner Obdachlosenhilfe seien sie zumindest verwundert
       gewesen über die Pläne für Safe Places, wie sie auch bei der fünften
       [4][Strategiekonferenz zur Wohnungslosenhilfe] im Juni vorgestellt worden
       waren. „Die, die die Safe Places konzipiert haben, haben offensichtlich
       keine Ahnung, wie es obdachlosen Menschen geht, wenn sie denken, dass die
       da Urban Gardening machen“, sagt Heinz Waldow, der sich ehrenamtlich bei
       der Obdachlosenhilfe engagiert.
       
       Der derzeitige Safe Place am Containerbahnhof sei nur die „Vorstufe“ für
       die eigentlichen Pläne, sagt Ulrich Neugebauer von der Stadtmission der
       taz. Eigentlich solle man den Begriff noch gar nicht verwenden. Was weiter
       geplant ist, stellte Florian Michaelis von der Architekt:innengruppe
       Urban Beta auf der Wohnungslosenkonferenz Anfang Juni vor. Urban Beta hat
       das Konzept zusammen mit der Stadtmission entwickelt. Unter anderem wurde
       dabei eine Simulation gezeigt, wie der zukünftige Platz einmal aussehen
       könnte: Abgebildet waren mehrstöckige Holzcontainer und eine Parkanlage im
       urban-modernen Design. Ein Passant mit Fahrrad schießt ein Foto, ein
       älterer Herr zeigt auf einen der Container, ein hip gekleidetes Paar sitzt
       auf einer Parkbank und liest ein Buch. Die „Antifaschistische Vernetzung
       Lichtenberg“ kommentierte auf Twitter, die Pläne sähen aus wie ein
       „Yuppie-Ferienlager“. Nun würden selbst Obdachlosenunterkünfte zur
       Gentrifizierung beitragen.
       
       ## Katze beim Safe-Place-Konzept
       
       Dabei hatten die Bewohner:innen des Containerbahnhofs bereits ein
       eigenes Konzept für einen Safe Place ausgearbeitet. Darin hieß es, man
       wolle sich „nicht ein weiteres Mal in die Ungewissheit verdrängen lassen“,
       sondern „die Sicherheit haben, unser Leben selbstbestimmt gestalten zu
       können“. Hierzu gaben sich die Bewohner:innen klare Regeln wie etwa
       Mietzahlungen, das Verbot offenen Feuers, Lärmschutz, eine nachhaltige
       Nutzung oder die klare Begrenzung der Personenzahl auf dem Gelände. Auch
       eine „Safe Place-eigene Katze“ zur Bekämpfung der Rattenproblematik war
       Teil des Konzepts. Auf dieses Konzept aber ging Michaelis von Urban Beta
       bei der Präsentation der eigenen Pläne auf der Wohnungslosenkonferenz nicht
       ein.
       
       Lange drehte sich die Safe-Places-Debatte um Orte wie die Rummelsburger
       Bucht oder auch die Kreuzberger Cuvry-Brache an der Spree, wo sich 2012
       nach Protesten mit Zelten gegen Bebauungspläne ein regelrechtes Dorf aus
       zusammengezimmerten Hütten entwickelt hatte, in dem zwischenzeitlich bis zu
       200 Menschen lebten. Begriffe wie „Slums“ oder „Favelas“ fielen da.
       
       [5][Die Cuvry-Brache wurde 2014] nach einem Brand geräumt, das Areal ist
       inzwischen bebaut. Aber der erbitterte Kampf, der hier um den – von einigen
       als Freiraum, von anderen als Schandfleck bezeichneten – Ort geführt wurde,
       hallt auch heute noch nach.
       
       ## Ein Platz in bester Spreelage
       
       Um Safe Places hat es sich bei der Cuvry-Brache und der Bucht allerdings
       nie gehandelt. Sie waren weder entsprechend anerkannt noch ausgestattet.
       Die Brache damals entstand, weil sich die Menschen den Platz in bester
       Spreelage einfach genommen hatten – das steht eher im Gegensatz zu der
       jetzigen Idee, Orte zu benennen, auf denen sich dann Menschen niederlassen
       dürfen. An der Rummelsburger Bucht hatte der Bezirk zwar zwischenzeitlich
       damit begonnen, Toiletten aufzustellen und den Müll regelmäßig abzuholen.
       Doch weder die Toiletten noch die Müllentsorgung blieben dauerhaft, auch
       aus der Befürchtung heraus, dass dies weitere Bewohner:innen anziehen
       könnte. Letztlich wurde die Rummelsburger Bucht in einem kontroversen
       Polizeieinsatz [6][im Februar von der Polizei geräumt].
       
       Bei aller auch aktivistischer Unterstützung für Brache und Bucht stellt
       sich ganz grundsätzlich die Frage, ob sich diese beiden Orte überhaupt als
       Vorbilder für Safe Places eignen. So große Lager entsprächen eher nicht den
       Bedürfnissen obdachloser Menschen, die meisten würden, wenn sie wählen
       könnten, eher in kleineren Gruppen zusammenleben wollen.
       
       „Solche Orte entstehen, weil die Menschen sonst überall verscheucht
       werden“, sagt etwa Sozialarbeiter Abel von Gangway. „Wenn die Bezirksämter
       flächendeckend toleranter wären, dann würden die Lager gar nicht so groß
       werden“, meint er. Aber der Verdrängungsdruck sei groß: „Wenn sich zwei,
       drei Menschen irgendwo niederlassen, kann es sein, dass mehr dazukommen.
       Und dann ist der Ort auch schon schwerer zu räumen“, so Abel. Daher würden
       einige Bezirke schon bei vereinzelten Zelten nervös: keiner wolle die
       nächste Rummelsburger Bucht bei sich haben. Wer die Idee der Safe Places
       ernst nehme, der müsste daher auch berlinweit rund 200 solcher Plätze
       einrichten.
       
       Doch wären 200 Safe Places im Stadtgebiet tatsächlich Freiräume oder eher
       die Kapitulation vor dem Elend? Dies wirft Fragen auf, die seit der
       Diskussion um die Cuvry-Brache in der Luft liegen. Denn die derzeitigen
       Unterbringungsmöglichkeiten bewahren Menschen nicht unbedingt vor dem
       Elend, das wäre dann nur versteckter.
       
       Viele Menschen, die auf der Straße leben, täten das ja nicht, weil das ihr
       Lebensentwurf ist, betonen auch Hilfsorganisationen immer wieder – sondern
       weil oft die Unterkünfte, die ihnen angeboten werden, nicht akzeptabel
       seien. „Wenn man es schafft, die Menschen vernünftig und würdig
       unterzubringen, dann kommt ein Teil der Menschen schon von der Straße. Und
       den anderen, die aus welchen Gründen auch immer nicht willens oder nicht
       fähig sind, eine Wohnung zu beziehen, denen kann man dann auch den Raum
       geben, wo sie leben können“, sagt auch Abel.
       
       Dabei würde dann am Ende auch Solidarität aus der Stadtgesellschaft helfen.
       „Es beschweren sich immer die, die sich gestört fühlen. Wenn sich auch mal
       die beim Bezirk melden würden, die sagen, dass sie obdachlose Menschen als
       ihre Nachbarn sehen, das könnte das schiefe Bild bei den Bezirken
       korrigieren.“
       
       5 Jul 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Obdachlosenzaehlung-in-Berlin/!5657311
   DIR [2] /Elke-Beitenbach-im-Interview/!5783723
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   DIR [4] /Wohnungslosenhilfe-in-Berlin/!5773121
   DIR [5] /Cuvry-Brache/!5032557
   DIR [6] /Obdachlosencamp-geraeumt/!5746454
       
       ## AUTOREN
       
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   DIR Obdachlosigkeit in Berlin: Kaltes Brötchen ist keine Alternative
       
       Stammgäste der Wohnungslosentagesstätte „Warmer Otto“ wehren sich gegen die
       Schließung. Sie glauben, die Stadtmission könnte diese weiter betreiben.
       
   DIR Revolution der Wohnungslosenhilfe: Nicht nur Gast in der Welt
       
       Engagierte Sozialarbeiter und die Berliner Sozialsenatorin planen
       grundlegend Neues bei der Wohnungslosenhilfe. Housing First soll Prinzip
       werden.
       
   DIR Kampf gegen Wohnungslosigkeit: Kreuzberger Linke wollen mehr tun
       
       Die „Sicherstellung“ von Wohnungen zur Vermeidung vor Zwangsräumungen darf
       kein Tabu mehr sein, sagt Bürgermeisterkandidat Oliver Nöll.
       
   DIR Wohnungslose in Berlin: Die Obdachlosigkeit abschaffen
       
       Wenige Wochen vor der Wahl präsentiert Berlins Sozialsenatorin ihren
       Masterplan: Sie will Obdachlosigkeit bis zum Jahr 2030 komplett beenden.
       
   DIR Vorschlag für Berliner Sommerbäder: Mehr als nur Baden gehen
       
       Die Initiative „Pool Potentials“ will Berlins die Sommerbäder auch im Rest
       des Jahres öffnen. Nutznießer könnten Kulturprojekte und Obdachlose sein.
       
   DIR Obdachlose in Hamburg: Zurück auf die Straße
       
       In der Coronakrise konnten Obdachlose in Hamburg in Containern übernachten.
       Nun wurden sie abgebaut. Vielen droht eine erneute Verelendung.
       
   DIR Ankern in Gewässern soll verboten werden: Auf dem Weg zur polierten Stadt
       
       Haus- und Kulturboote, die in der Rummelsburger Bucht regelmäßig vor Anker
       liegen, sollen vertrieben werden. Innensenator Geisel arbeitet daran.
       
   DIR Freiräume in Berlin: „Die Køpi ist unzerstörbar“
       
       Der Wagenplatz des Berliner Hausprojekts Køpi ist akut von Räumung bedroht.
       Zwei Bewohner:innen erzählen, was ihnen und der Stadt verloren ginge.
       
   DIR Kölner „Tatort“ über Wohnungslosigkeit: Vielschichtig, stark, unübersehbar
       
       Ein „Tatort“, der ausnahmsweise seinem Anspruch gerecht wird. „Wir alle
       anderen auch“ erzählt zart und brutal vom Leben von Frauen ohne Wohnsitz.
       
   DIR Ex-Obdachlose über Leben auf der Straße: „Ohne Wohnung zu sein ist teuer“
       
       Caroline M. berät Obdachlose in Berlin, sie war selbst eine von ihnen. Ein
       Gespräch darüber, was es heißt, als Frau keine feste Bleibe zu haben.
       
   DIR Umgang mit Obachlosigkeit: Der akzeptierte Missstand
       
       Obdachlose brauchen keine Almosen. Sie bräuchten eine warme Wohnung, ein
       Bett, einen gefüllten Kühlschrank und jemanden, der sich um sie kümmert.