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       # taz.de -- Ökonom J. E. Stiglitz über Regulierung der Märkte: "Rating-Agenturen sind inkompetent"
       
       > Der Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz ist für die Einführung einer
       > Finanztransaktionssteuer. Die Spekulation ließe sich mit dieser Steuer
       > eindämmen, sagt er.
       
   IMG Bild: Sie habe die ganze Welt mit vergifteten Hypotheken verschmutzt, sagt der Ökonom Stiglitz: die Börse in New York.
       
       taz: Herr Stiglitz, seit Zusammenbruch der Lehman-Bank 2008 reden die
       großen Wirtschaftsnationen der G-20-Gruppe über die bessere Regulierung von
       Banken, Investoren und Rating-Agenturen. Hat sich in der Praxis bereits
       genug verändert – zum Beispiel bei der Beaufsichtigung der Agenturen? 
       
       Joseph Stiglitz: Nein, viel zu wenig ist bislang umgesetzt worden. Die EU
       will die Agenturen zwar verpflichten, sich staatlich registrieren zu
       lassen. Aber was soll das? Die Anschrift von Standard & Poors und Moodys
       kennen wir alle. Das wahre Problem sind die mangelhaften Geschäftsmodelle
       der Rating-Agenturen. Weil deren Bewertungen von Immobilienhypotheken und
       Kreditversicherungen miserabel waren, tragen die Agenturen eine große
       Verantwortung für die Finanzkrise. Und auch die Schuldenkrise Griechenlands
       haben sie massiv verschärft, indem sie die Bewertung von Staatsanleihen zum
       falschen Zeitpunkt auf nicht nachvollziehbare Weise herabgesetzt haben.
       Einer Gruppe von Leuten, die ihre Inkompetenz so klar unter Beweis stellt,
       dürfen die Regierungen nicht die Macht überlassen. Es ist frappierend,
       welche einflussreiche Stellung die Rating-Agenturen nach wie vor einnehmen.
       Wir brauchen eine strikte Aufsicht, die einfache Registrierung reicht
       keinesfalls aus.
       
       Die G 20 diskutiert über die Einführung einer neuen Steuer auf
       Finanztransaktionen. Die USA und Großbritannien sind skeptisch, Frankreich
       und Deutschland aufgeschlossener. Ließe sich die Spekulation mit dieser
       Steuer eindämmen? 
       
       Auf jeden Fall. Diese Steuer könnte in zweierlei Hinsicht gut sein. Erstens
       würde sie dazu beitragen, den aufgeblähten Finanzsektor vor allem in den
       USA zu verschlanken. Indem die Steuer die Gewinne von Finanztransaktionen
       teilweise auffrisst, verringert sie die Summe der Geschäfte und damit auch
       deren Gefahren. Dies entspricht einem Basisprinzip jeglicher Besteuerung:
       Schlechte Dinge, die nicht funktionieren, sollten die Regierungen
       unterbinden. Der US-amerikanische Finanzmarkt hat die ganze Welt mit seinen
       vergifteten Hypotheken verschmutzt, und nun ist es Zeit, die Verschmutzung
       und ihre Verursacher zu besteuern.
       
       Die Bundesregierung hat sich bislang vornehmlich für eine Bankenabgabe
       stark gemacht – eine Art Versicherung für die nächste Krise. Wie sinnvoll
       ist dieser Weg? 
       
       Beide Ansätze schließen sich nicht aus. Auch die Bankenabgabe unterstütze
       ich sehr. Es kommt darauf an, den Finanzmarkt zu verkleinern, indem man ihm
       Geld entzieht. Auf welche Art man das tut, spielt letztlich keine Rolle.
       Unser Problem sind die großen Banken. Die stellen eine Bedrohung für
       Wirtschaft und Gesellschaft dar. Wenn man nun eine Steuer erhebt, um
       risikoreiches Verhalten einzudämmen, dann kann man damit einerseits
       schlechtes Benehmen regulieren und gleichzeitig ein finanzielles Notpolster
       schaffen.
       
       Warum dauert es so lange, die bessere Regulierung der Märkte durchzusetzen? 
       
       Die großen Banken stellen sich quer. Denn mit der Deregulierung der
       1990er-Jahre haben sie viel Geld verdient. Und auch weiterhin hoffen sie
       auf massive Gewinne - ohne Regulierung. Ich hoffe aber, dass die Wut der
       Menschen auf der ganzen Welt so groß ist, dass sich bald etwas
       Grundlegendes ändert.
       
       Griechenland stand in den vergangenen Wochen kurz vor dem Staatsbankrott.
       Auch andere Länder wie Spanien haben Probleme. Unternimmt Europa genug, um
       die Schuldenkrise zu bewältigen? 
       
       Europa hat gerade auf sehr tapfere Weise begonnen, das Problem der
       horrenden Staatsverschuldung anzugehen. Einige europäische Regierungschefs
       haben inzwischen verstanden, dass die Eurozone wirtschaftsschwachen Ländern
       wie Griechenland koordiniert helfen muss. Sonst stünden nicht nur manche
       Staaten, sondern auch das europäische Bankensystem am Abgrund. Viele der
       europäischen Finanzinstitute besitzen ja große Mengen Anleihen der
       verschuldeten Länder. Und bereits ein geringer Wertverlust dieser Anlagen
       könnte die Eigenkapitalbasis der Banken gefährlich verringern. Die Rettung
       Griechenlands und Spaniens mit dem europäischen 750-Milliarden-Euro-Paket
       war deshalb eine logische Konsequenz, um die Institute vor dem
       Zusammenbruch zu schützen.
       
       Muss Europa zu einer gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik finden, um
       die nächste derartige Krise zu verhindern? 
       
       Es ist dringend notwendig, das Eurosystem zu modifizieren. Dazu benötigen
       die Europäer ein besseres System der finanzpolitischen Koordination. Als
       sich die Europäische Union etablierte, wurden zwar Solidaritätsfonds für
       neue Mitglieder eingerichtet, aber keinerlei Hilfsmechanismen für Länder,
       die in einer finanziellen Notlage stecken. Außerdem sollten die reichen
       europäischen Länder so klug sein, den Griechen keine zu rigide Sparpolitik
       aufzuzwingen. Denn die könnte zu einer weiteren Schwächung der europäischen
       Wirtschaft führen, die wiederum die Staatsschulden vergrößert.
       
       20 May 2010
       
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