URI: 
       # taz.de -- Offener Brief aus Neukölln: Geschäftsleute fordern faire Kontrollen
       
       > Neuköllner Gewerbetreibende wehren sich gegen Razzien gegen
       > „Clankriminalität“. Sie fordern Gewerbekontrollen ohne Diskriminierung.
       
   IMG Bild: Gemütliches Chillen in Shishabars wird gerne gestört durch die Polizei
       
       Berlin taz | Migrantische Betriebe in Neukölln beschweren sich öffentlich
       über die regelmäßigen Razzien in ihren Geschäften, die angeblich dem „Kampf
       gegen Clankriminalität“ dienen. Die fortgesetzte Praxis von „häufigen,
       heftigen und unverhältnismäßigen Kontrollen durch Polizei und andere
       Behörden“ sei diskriminierend und geschäftsschädigend, heißt es in einem am
       Montag an Innensenatorin Iris Spranger und Bezirksbürgermeister Martin
       Hikel (beide SPD) verschickten Offenen Brief, der der taz vorliegt. Ihn
       haben 24 Neuköllner Geschäftsleute und fünf Initiativen unterschrieben –
       darunter „Unsere Stimme Zählt“, die sich um arabischstämmige WählerInnen
       bemüht.
       
       In dem Brief heißt es: „Unsere Nachbarn werden durch dieses Vorgehen
       verunsichert, die Gäste bleiben weg. Wir empfinden das als Schikane. Denn
       die Funde, die hin und wieder gemacht werden, rechtfertigen weder das
       Ausmaß noch den aggressiven Stil dieser Kontrollen.“
       
       Ein Unterzeichner, Fouad H., Betreiber einer Shisha-Bar in der
       Karl-Marx-Straße, schildert der taz, wie solche Kontrollen vor sich gehen:
       „Sie kommen jedes Mal mit einem Großaufgebot, die Polizei oft mit
       Maschinengewehren.“ Eine Zeitlang – sein Geschäft existiere seit vier
       Jahren – sei dies jeden Monat zwei bis vier Mal passiert, derzeit etwas
       seltener, etwa einmal in ein bis zwei Monaten. „Der Laden ist dann voll mit
       Polizei, Zoll, Ordnungsamt, Finanzamt“, mindestens 20 Personen würden alles
       durchsuchen. „Was sie suchen, sagen sie nicht, es ist nicht gezielt.“
       
       Beim letzten Mal hätten sie Löcher in eine Wand gebohrt, „sie haben wohl
       nach Drogen gesucht“. Die Löcher seien immer noch da. Kontrolliert werde
       auch die Kasse und der Raum, wo die Shishas vorbereitet werden. Jede
       Tabakdose werde geöffnet, manche mitgenommen. „Dabei können wir für jede
       Dose Belege vorweisen.“
       
       ## Die Kunden bleiben weg
       
       Allerdings sei bei der letzten Kontrolle auch ein „Fehler“ aufgefallen,
       räumt H. ein: Auf einer Tabakdose habe 200 Gramm gestanden, tatsächlich sei
       es 1 Kilo gewesen. „Das war ein Fabrikfehler, nicht unsere Schuld“, so H. –
       doch nun habe er eine Strafanzeige wegen Steuerhinterziehung bekommen. „Das
       war das erste Mal, dass sie etwas gefunden haben“, beteuert er.
       
       Gleichzeitig ist der Schaden durch die ständigen Kontrollen groß: Auch H.
       blieben teilweise die Kunden weg, sagt er – vor allem die „Deutschen“ ohne
       Migrationshintergrund. „Manche sind inzwischen zurückgekommen. Sie sagten,
       dass sie gedacht hätten, wir seien in kriminelle Machenschaften verwickelt,
       weil wir so viele Kontrollen hatten.“ Auch die Gäste würden schlecht
       behandelt bei den Razzien: „Alle müssen ihren Ausweis zeigen, wer keinen
       dabei hat, bekommt eine Anzeige. Sie dürfen nichts mehr trinken, nicht auf
       Toilette – mindestens eineinhalb bis zwei Stunden.“
       
       Seit 2019 führt die Berliner Polizei so genannte „Kontrolleinsätze zur
       Bekämpfung der Clankriminalität“ durch, oft im Verbund mit anderen Behörden
       wie Zoll, Gesundheits- oder Finanzämter. Ziel sei, „mittels des hohen
       Kontrolldrucks auf einschlägige Treffpunkte und Betriebe aus dem Umfeld des
       Bereichs der „Clankriminalität“ illegale Geschäfte aufzudecken oder zu
       verhindern, sowie „Strukturerkenntnisse zur Bekämpfung der OK im Land
       Berlin“ zu bekommen, heißt es im [1][Lagebericht Clankriminalität 2020].
       
       Daneben gehe es um „Gesundheitsgefährdungen, bspw. durch erhöhte
       Kohlenmonoxidwerte in Shisha-Bars oder Jugendschutz“. Laut Lagebericht gab
       es im Jahr 2020 berlinweit 250 solcher Einsätze. In Neukölln gab es 35
       Einsätze von Juni 2020 bis November vorigen Jahres, heißt es in der
       [2][Antwort der Innenverwaltung] auf eine Anfrage der Linken.
       
       ## Ergebnisse oft mager
       
       Sowohl die Einsätze als auch das Konzept von „Clankriminalität“ stehen
       [3][seit Jahren in der Kritik]. Zum einen, weil die Ermittlungsbehörden bis
       heute nicht befriedigend erklären konnten, was die – fraglos existierende –
       [4][organisierte Kriminalität (OK) von arabischstämmigen Gruppen] von der
       anderer Gruppen unterscheidet, warum sie also so betont wird. Zum anderen
       sind die [5][Ergebnisse solcher „Kontrolleinsätze“ eher mager]: Meist
       werden Ordnungswidrigkeiten festgestellt, auch Verstöße gegen das
       Betäubungsmittelgesetz. Große Drogen- oder Waffenfunde sind jedoch selten.
       
       Tatsache ist, dass die Kontrollen vor allem Menschen mit arabischem
       Hintergrund beziehungsweise Aussehen treffen: „Neuköllns migrantische Läden
       – Cafés, Shishabars, Bäckereien, Restaurants, Spätis und viele weitere“,
       wie es in dem offenen Brief heißt. Genährt wird der Vorwurf des
       Generalverdachts gegen eine bestimmte Bevökerungsgruppe auch dadurch, dass
       es bei „Clankriminalität“ – anders als bei anderer OK – nicht nur um
       Verbrechen wie Menschen- und Waffenhandel geht. Hier sollen die
       „Kontrolleinsätze“ auch Verstöße gegen Gewerberecht aufdecken – auch das
       ist „Clankriminalität“.
       
       Warum die Behörden wen kontrollieren, ob es konkrete Verdachtsmomente gibt,
       wird nicht erklärt – Ermittlungstaktik, wie es heißt. So muss in der
       Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, die kontrollierten Geschäfte hätten
       alle etwas mit „Clankriminalität“ zu tun.
       
       Diese öffentliche Vorverurteilung wird auch im Brief beklagt. Man habe
       Verständnis, dass Gewerbe kontrolliert werden müsse, „aber wir möchten
       nicht vorverurteilt und ohne Beweise als Kriminelle dargestellt werden“.
       Die Geschäftsleute wünschen sich einen Dialog mit Bezirk und
       Innenverwaltung, wie Kontrollen „verhältnismäßig, ohne Diskriminierung und
       ohne gezogene Waffen“ durchgeführt werden können. „Wir sind überzeugt, dass
       wir weiter kommen können, wenn wir miteinander reden.“
       
       Die Innenverwaltung sah sich außerstande, tagesaktuell auf den Brief zu
       reagieren. Bezirksbürgermeister Hikel erklärte, Kontrollen würden sich
       nicht „per se gegen migrantisches Gewerbe“ richten. Allen Hinweisen auf
       „mögliche Unrechtmäßigkeiten bei Gewerbekontrollen“ gehe das Bezirksamt
       nach. Den Wunsch der Geschäftsleute nach Dialog greife er gerne auf – „aber
       nicht in der taz“.
       
       14 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.berlin.de/sen/inneres/presse/weitere-informationen/artikel.1063806.php
   DIR [2] https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/SchrAnfr/S19-10124.pdf
   DIR [3] /Lagebericht-zu-Clankriminalitaet-2020/!5755101
   DIR [4] /Organisierte-Kriminalitaet/!5758918
   DIR [5] /Razzien-in-Shisha-Bars/!5822126
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
       ## TAGS
       
   DIR Clans
   DIR Organisierte Kriminalität
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Diskriminierung
   DIR Neukölln
   DIR Clans
   DIR Organisierte Kriminalität
   DIR Clans
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR Organisierte Kriminalität
   DIR Clans
   DIR Mafia
   DIR Organisierte Kriminalität
   DIR Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau
   DIR Printmedien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Razzien gegen „Clankriminalität“: Diskriminiert statt kriminell
       
       Immer wieder finden in Berlin-Neukölln Razzien in migrantischen Läden
       statt. Die Landesantidiskriminierungsstelle sieht Handlungsbedarf.
       
   DIR „Clan-Razzien“ im Visier: Linke sorgt für Recht und Ordnung
       
       So genannte Verbundeinsätze sind rechtlich problematisch, finden aber immer
       wieder statt. Jetzt schert Neuköllns Ordnungsstadträtin Sarah Nagel aus.
       
   DIR Bekämpfung von „Clan-Kriminalität“: Gewerberecht als Türöffner
       
       Berliner Polizei und Bezirksämter nutzen Gewerbekontrollen als Alibi für
       „Clan-Razzien“. Eine neue Studie bezweifelt die Rechtmäßigkeit.
       
   DIR Strafverfolgung in Niedersachsens Westen: Rassistisch grundierte Kooperation
       
       Die Kooperationsvereinbarung zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und
       Städten der Landkreise Emsland und Grafschaft Bentheim klingt übel nach
       AfD.
       
   DIR Hässlicher Wahlkampf: Niedersachsens CDU schnorrt bei AfD
       
       Niedersachsens CDU wirbt mit rassistischer Hetze gegen „Clans“ für die
       Landtagswahl. Die Plakate sind jenen der Hamburger AfD zum Verwechseln
       ähnlich.
       
   DIR Berliner Bezirk als Konfliktzone: Schicksal Neukölln
       
       Wie kaum ein anderer eignet sich der Bezirk als Projektionsfläche für
       Kulturkämpfe. Nun hat ein CDU-Politiker ein kontroverses Buch vorgelegt.
       
   DIR Razzien in Shisha-Bars: Kaum nachvollziehbar
       
       Eine Linken-Anfrage stellt den Nutzen von Razzien gegen „Clankriminalität“
       in Frage. Im Kampf gegen Organisierte Kriminalität helfen sie wenig.
       
   DIR Umgang mit Clankriminalität: Führerscheinentzug soll helfen
       
       Niedersachsen arbeitet seit Jahren an einer Strategie gegen sogenannte
       Clankriminalität. Die neuste Idee: Luxuskarren und Führerscheine
       einkassieren.
       
   DIR Organisierte Kriminalität: Deutsche Clans
       
       Organisierte Kriminalität ist nicht arabisch oder türkisch und viel mehr
       als ein ethnisches, subkulturelles Phänomen. Sie ist global vernetzt.
       
   DIR Lagebericht zu „Clankriminalität 2020“: Verstoß gegen Corona-Auflagen
       
       Innensenator Andreas Geisel (SPD) legt Lagebericht zu „Clankriminalität“
       vor. Schwerpunkte sind Verkehrsdelikte und Verstöße gegen Infektionsschutz.
       
   DIR Ein Jahr nach Anschlag in Hanau: Der Hass und seine Wegbereiter
       
       Das Attentat von Hanau hat gezeigt, wie gefährlich rassistische
       Verschwörungsfantasien sind. Doch sie werden noch immer unterschätzt.
       
   DIR Chefredakteur über muslimisches Magazin: „Wir wollen Mut machen“
       
       Muhamed Beganović hat „Qamar“ gegründet, ein muslimisches Magazin für
       Kultur und Gesellschaft. Wie seine Redaktion die Medienwelt verändern will.