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       # taz.de -- Opfer der türkischen Militärjustiz: "Wie lebendig im Sarg begraben"
       
       > Die Militärs steckten Mehdi Zana einst ins Verließ. Dank der jüngst vom
       > Volk bestätigten Verfassungsreform kann er nun gegen seine Peiniger vor
       > Gericht ziehen. Er will aber nicht.
       
   IMG Bild: Als politisch aktiver und bekennender Kurde verfolgt, lebt er nun im Exil: Mehdi Zana.
       
       Der Wachmann fing eine der großen Kanalratten, von denen es so viele hinter
       Gittern gab. Dann wollte er den Gefangenen zwingen, das Tier
       herunterzuschlucken. Der Mann wehrte sich, doch der Wärter prügelte auf ihn
       ein und stopfte ihm schließlich die Ratte mit Gewalt in den Mund. "Als der
       Bedauernswerte das kratzende Tier in seinem Mund spürte, stieß er
       unmenschliche Schreie aus", schildert Mehdi Zana die Szene. Dann lachten
       die Wachleute und jubelten "zum Nachtisch".
       
       Das war 1981 im Gefängnis Nummer 5 in Diyarbakir. Vor ziemlich genau 30
       Jahren, am 24. September 1980, wurde Mehdi Zana nach dem Militärputsch in
       der Türkei festgenommen und für elf Jahre ins Gefängnis gesteckt. Damals
       war er Bürgermeister von Diyarbakir, der heimlichen Hauptstadt des
       kurdischen Ostens der Türkei. Heute lebt er im Exil in Stockholm. Ein
       paarmal im Jahr reist er durch die Welt, wird zu Vorträgen eingeladen,
       erzählt von seinen Hoffnungen. Ansonsten hat er viel Zeit.
       
       "Nein, ich will überhaupt nie wieder zurück", sagt Mehdi Zana und lacht.
       Der zierliche Mann mit den vollen Wangen sieht ins Leere. Später wird er
       auf die Frage, ob er seine Heimat vermisse, antworten: "Jeden Tag sehne ich
       mich dahin zurück." Wenn der 70-Jährige über "Türkisch-Kurdistan" spricht,
       dann gestikuliert er viel, schaut an seinem Gegenüber vorbei und fängt
       immer wieder an zu weinen. Dann wischt er sich seine Tränen mit dem
       Handrücken weg und redet weiter. Er fühlt sich einsam, daran lassen seine
       Worte und sein Mienenspiel keinen Zweifel. Freunde sagen, es gehe ihm
       gerade sehr gut.
       
       Mehdi Zanas Peiniger von einst müssen jetzt mit einer Strafverfolgung
       rechnen. In einem wegweisenden Referendum haben die Türken vor zwei Wochen
       die umfassendste Verfassungsreform ihres Landes seit Jahrzehnten gebilligt.
       Seitdem müssen die Putschisten von 1980 die Justiz fürchten.
       
       Dass ihnen jeglicher Ärger bisher erspart blieb, lag an dem als
       Übergangspassus bezeichneten Artikel 15 der Verfassung von 1982, den die
       Militärs vorsichtshalber in den Text aufnehmen ließen, bevor sie sich in
       ihre Kasernen zurückzogen. Er legt fest, dass die Putschisten von 1980 für
       ihre Handlungen nicht belangt werden dürfen. Doch diese Klausel ist jetzt
       Geschichte. Eine der 26 von der Regierungspartei vorgeschlagenen Änderungen
       lautete nämlich: "Der Übergangsartikel 15 ist aufgehoben."
       
       Zwar muss die Reform noch umgesetzt werden, aber fest steht schon jetzt:
       Das mächtige Militär hat weniger Rechte, die Bürger mehr und der Weg für
       Strafverfolgungen wurde grundsätzlich frei gemacht. Türkische Politiker und
       Schriftsteller haben einen Tag nach der Abstimmung Strafanzeige gegen die
       Putschisten vom 12. September 1980 gestellt. Die frühere Militärführung
       unter General Kenan Evren müsse wegen eines illegalen Staatsstreichs
       angeklagt werden, forderten die Initiatoren der Anzeige, darunter Vertreter
       der Kurden-Partei BDP.
       
       Auch Mehdi Zana könnte nun klagen, er will aber nicht. Alles zu aufwühlend
       und dann doch wieder sinnlos, meint er. "Was soll mir eine Anzeige nun
       bringen?", fragt er. Der 70-Jährige spricht leise und sehr schnell,
       manchmal überschlägt sich seine Stimme. Vielleicht ist das so, wenn man
       solch eine Geschichte zu erzählen hat.
       
       Nach dem Putsch vor 30 Jahren waren 50 Menschen hingerichtet und
       Hunderttausende festgenommen worden. Viele von ihnen starben in Haft,
       verschwanden oder wurden gefoltert. Medih Zana war einer von ihnen.
       
       Er wurde am 24.September 1980 ohne Anklage in Istanbul verhaftet. Elf
       Stunden hätten gefehlt, erzählt er, um ein Schiff nach Europa zu erreichen.
       Elf Jahre Haft folgten für den damals 39-Jährigen. Das grausamste Kapitel
       seines Lebens, wie er sagt.
       
       Nach seiner Verhaftung muss Zana für 40 Tage in Dunkelhaft in die
       Militärakademie in Istanbul. Die Zelle war 1,80 Meter lang, 1,80 hoch und
       70 Zentimeter breit. "Ich war wie lebendig im Sarg begraben." Es folgen
       stundenlange Verhöre mit verbundenen Augen, er wird mit Elektroschocks an
       den Genitalien gefoltert, mit Scheinerschießungen gequält. "Und jedes Mal,
       wenn eine Frau unter Vergewaltigungen schrie, dachte ich, es ist meine Frau
       Leyla", sagt Mehdi Zana rückblickend.
       
       Anschließend wird er in zwei Gefängnisse nach in Diyarbakir überführt, wo
       die "Brutalität und der Sadismus der Wärter die menschliche
       Vorstellungskraft überstiegen" hätten. So seien den Gefangenen Schlagstöcke
       in den After gestoßen worden, danach mussten sie von den Misshandelten
       abgeleckt werden. Mehdi Zana erzählt viele solcher Geschichten, die man
       eigentlich nicht glauben möchte - so schrecklich sind sie. Er wurde in zwei
       weitere Gefängnisse verlegt, bevor er 1991 vorzeitig entlassen wurde.
       
       Mehdi Zanas Mutter brachte ihn 1940 als eines von dreizehn Kindern zur
       Welt. Neben seinem Elternhaus in Silvan in der Provinz Diyarbakir habe es
       eine Polizeistation gegeben, aus der er immer laute Geräusche gehört habe.
       Als er seine Mutter fragte, warum die Beamten so viel Krach machten,
       antwortete sie: "Junge, sie machen das, um die Schreie der Gefolterten zu
       übertönen." Bis dahin habe er immer Fußballer werden wollen, aber damals
       habe in ihm die Überzeugung zu wachsen begonnen, er müsse etwas für die
       Kurden tun.
       
       Im Jahr 1963 wurde er Mitglied der türkischen Arbeiterpartei (TIP), einer
       der Keimzellen der radikalen Linken der Türkei. Von diesem Zeitpunkt an ist
       sein Leben eine Datensammlung aus Haftzeiten und Pausen dazwischen, ein Hin
       und Her zwischen draußen und drinnen. Immer wieder muss er wegen seiner
       politischen Aktivitäten ins Gefängnis. Mal wegen sogenannter
       Meinungsverbrechen, weil er zum Beispiel Kurdisch gesprochen hatte, mal
       wegen "Verstoßes gegen nationale Gefühle und Separatismus". Insgesamt
       verbrachte Mehdi Zana 16 Jahre hinter Gittern.
       
       Er gründete die Sozialistische Partei Kurdistans und wurde mit deren
       Unterstützung 1977 zum Bürgermeister von Diyarbakir gewählt. Seine
       fünfjährige Amtszeit endet drei Jahre später mit seiner Festnahme in
       Istanbul.
       
       Heute sind er und seine Frau Leyla als kurdische Symbolfiguren für den
       friedlichen Widerstand in der Türkei schon zu ihren Lebzeiten Legenden.
       1975 heiratet Mehdi Zana, damals 34, die erst 14-jährige Tochter seines
       Cousins - eine in der kurdischen Gesellschaft bis heute nicht ungewöhnliche
       Konstellation. Als ihr Mann 1980 verhaftet wurde, führte sie seine Arbeit
       fort. Im Oktober 1991 wurde Leyla Zana als Mitglied der prokurdischen
       "Demokratischen Partei" (DEP) ins türkische Parlament gewählt - als erste
       Kurdin überhaupt.
       
       Während der ersten Parlamentssitzung sorgte sie für einen Eklat. Leyla Zana
       trug ein rot-gelb-grünes Haarband - die Farben der kurdischen Flagge. Dann
       leistete sie den Verfassungseid auf Türkisch und sagte dann auf Kurdisch
       die Worte: "Ich habe diesen Eid für die Brüderlichkeit des türkischen und
       kurdischen Volkes geleistet." Für diesen Tabubruch, in der damals noch
       verbotenen kurdischen Sprache zu reden, musste sie schwer büßen.
       
       1993 wurde die Immunität der vier kurdischen DEP-Abgeordneten aufgehoben,
       sie wurden aus dem Parlament heraus verhaftet. Die Angeklagten wurden wegen
       Landesverrats zu 15 Jahren Haft verurteilt. Mehdi Zana flüchtete mit den
       zwei Kindern nach Paris. Weil er kein Visum bekam, ging er nach Schweden,
       wo er bis heute lebt. Unglücklich sei er dort, alles sei so farblos. "Die
       Menschen lachen wenig, schenken sich kaum Beachtung", klagt er. Das
       Schlimmste, sagt er, sei das Heimweh. Es sei wie ein unerträglicher Durst.
       
       2004 wurde seine Frau vorzeitig entlassen, nachdem die Türkei die Revision
       des Urteils durch den Europäischen Gerichtshof zugelassen hatte. Mehdi Zana
       reiste sofort zu ihr, wurde aber schon am Flughafen festgenommen, einen Tag
       später aber wieder freigelassen.
       
       Er ist immer dasselbe Spiel: Auch Jahrzehnte nach dem Militärputsch kommen
       die Zanas in der Türkei nicht zur Ruhe. Sagen sie etwas, reagieren die
       wechselnden Regierung rasch mit Klagen. Gegen Leyla Zana gibt es immer
       wieder Verfahren. Ein Schwurgericht wertete mehrere Reden der Politikerin
       als Propaganda für die kurdische Rebellengruppe PKK und verurteilte sie
       2008 zu zehn Jahren Haft. Bei ihrer letzten Verteidigung 2009 kündigte sie
       an, sich in keinem weiteren Prozess mehr verteidigen zu wollen. Sie sei
       müde, erschöpft vom ewigen Kampf.
       
       Wegen der ständigen Repressalien hat sich Mehdi Zana für ein unglückliches
       Leben im Exil entschieden. Seine Frau und die Tochter Ruken leben in
       Diyarbakir, der Sohn Ronay in Paris.
       
       Dann schwärmt er wieder von den kurdischen Bergen, den Farben und Gerüchen
       seiner Heimat und erzählt Anekdoten aus seiner Kindheit. Wie ein schweres,
       melancholisches Parfum hängt die Erinnerung in der Luft. Natürlich werde er
       eines Tages zurück in seine Heimat gehen und in Frieden dort leben, glaubt
       er. Es klingt wie ein Stoßgebet. Dass es erhört wird, ist eher
       unwahrscheinlich.
       
       27 Sep 2010
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Cigdem Akyol
       
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