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       # taz.de -- Parlament im Kosovo aufgelöst: Neuwahl im Oktober
       
       > Nach dem Rücktritt des Premiers im Juli hat das Parlament nun beschlossen
       > sich aufzulösen. Die Regierungspartei fürchtet bei einer Wahl Einbußen.
       
   IMG Bild: Stimmten mit 89 von 120 Stimmen für die Auflösung: Parlamentarier im Kosovo
       
       Sarajevo taz | In Kosovo wird es Anfang Oktober Neuwahlen geben. Am
       Donnerstag hat sich das Parlament mit Zustimmung von 89 der 120
       Abgeordneten selbst aufgelöst. Die Entscheidung war nötig geworden, weil
       der seit Herbst 2017 regierende Ministerpräsident Ramush Hardinaj am 19.
       Juli [1][zurückgetreten] ist. Haradinaj hatte seinen Rücktritt mit seiner
       Vorladung vor das internationale Kosovo-Sondertribunal in Den Haag zur
       Ahndung von Kriegsverbrechen während des Kosovo-Krieges begründet.
       
       Dass alle albanischen Parteien für die Auflösung des Parlamentes gestimmt
       haben, zeigt an, dass sich fast jede Partei eine Stärkung der eigenen
       Position erhofft. Die moderat konservative Demokratische Liga zum Beispiel
       hofft, nach vielen Jahren wieder stärkste Partei zu werden. Auch die Partei
       [2][Vetevendosje] (Selbstbestimmung) hofft auf Zuwächse. Und selbst die
       Partei von Ramush Haradinaj, die „Allianz für de Zukunft Kosovos“ AAK,
       hofft nach dem Auftritt Haradinajs vor dem Kosovo-Sondertribunal auf
       Machterhalt.
       
       Lediglich die regierende Demokratische Partei Kosova (PDK) befürchtet
       Einbußen, weil ihr langjähriger Vorsitzender Hashim Thaci sich als
       Präsident des Landes bei den Wahlkämpfen zurückhalten muss.
       
       Alle Parteien ringen um demokratische Legitimation. Noch ist nicht
       ausgemacht, ob die wichtigsten Vertreter der Parteien, die aus der
       ehemaligen Kosova-Befreiungsarmeee UCK hervorgegangen sind, bald vor das
       Kosovo-Sondertribunal vorgeladen werden. Wagt sich das
       Kosovo-Sondertribunal nach dem Unterkommandeur Haradinaj wirklich auch an
       den ehemaligen UCK- Oberbefehlshaber Hashim Thaci?
       
       ## Sondergericht soll Verbrechen der früheren UCK aufklären
       
       Das Kosovo-Sondertribunal ist nicht mit dem [3][UN-Tribunal für
       Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien] zu verwechseln. Es handelt sich
       um ein 2017 gegründetes kosovarisches Gericht mit internationalen
       Beisitzern, das in Den Haag angesiedelt ist. Der Ort wurde gewählt, um
       etwaigen Zeugen mehr Schutz bieten zu können.
       
       Bei den Prozessen vor dem UN-Tribunal in Den Haag waren im Fall von
       Haradinaj mehrere Zeugen in Kosovo unter mysteriösen Umständen ums Leben
       gekommen. Haradinaj wurde dann zweimal freigesprochen.
       
       Das Sondergericht wurde nach den Recherchen des Schweizer Juristen Dick
       Marty über Verbrechen der UCK gegenüber der serbischen und Roma-Minderheit
       nach dem Befreiungskrieg 1999 nach langen Querelen und Widerständen unter
       erheblichen Druck der USA und der EU 2017 im Kosovo-Parlament beschlossen.
       
       Die Übergriffe von UCK-Kämpfern – oder auch Kriminellen, die plötzlich in
       der Uniform der UCK auftraten – beschränkten sich nicht nur auf die
       Minderheiten. Auch Mitglieder der Demokratischen Liga und deren
       militärischen Arm FARC waren betroffen. Die FARC stand in Konkurrenz zur
       UCK, wurde aber im Herbst 1998 mit der UCK unter einem gemeinsamen
       Oberkommando vereinigt. Nach dem Einmarsch der Nato im Juni 1999 wurden
       mehrere FARC-Kommandeure in Westkosovo ermordet: in der Region, die von
       Ramush Haradinaj beherrscht wurde.
       
       ## Vorwurf: Organhandel unter der Ägide der UCK
       
       Der ehemalige Stellvertreter des ersten Präsidenten Kosovos, Ibrahim
       Rugova, der Schriftsteller und Historiker Jusuf Buxhovi, beschuldigt die
       UCK, Verbrechen an den Minderheiten aber auch an Mitgliedern der
       Rugova-Partei „Demokratische Liga Kosovos“ begangen zu haben.
       
       Dick Marty spricht zudem von Organhandel unter der Ägide der UCK. Die
       Organe sollen gefangenen Serben und unliebsamen Albanern nach deren
       Ermordung entnommen worden sein.
       
       Das Kosovo-Sondertribunal soll nun all diese Anschuldigungen ohne Ansehen
       der Person untersuchen. Im Gegenzug für die Konstituierung des
       Sondergerichts sollte die Kosovo-Bevölkerung Visafreiheit von der EU
       erhalten, behaupten Kosovo-Politiker. Doch bisher wurde das Versprechen
       nicht eingelöst, beklagte kürzlich Hashim Thaci.
       
       23 Aug 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Vorladung-vors-Kosovo-Strafgericht/!5612693
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       ## AUTOREN
       
   DIR Erich Rathfelder
       
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