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       # taz.de -- Parteinahe Stiftung der AfD: Was dachte Erasmus?
       
       > Die AfD hat nun eine Stiftung, ihr Namensgeber Erasmus gilt als Humanist.
       > Der rechte Thinktank scheint dessen Schriften genau studiert zu haben.
       
   IMG Bild: Die Erasmus-Stiftung hat die Texte ihres Namensgebers besser studiert als das verwunderte Publikum
       
       Nein, an eine rechtspopulistische, wenn nicht gar rechtsextreme politische
       Kraft würde man beim Lesen folgender Sätze zunächst nicht denken: „Unsere
       erste Aufgabe besteht darin, Klarheit und Transparenz zu schaffen: die
       Macht, sagt Hannah Arendt, beginnt genau da gefährlich zu werden, wo die
       Öffentlichkeit aufhört. Die zweite besteht in der Rückbesinnung aufs
       Grundgesetz, das neben den Wahlen ausdrücklich ja auch die Abstimmungen als
       Quelle der Staatsgewalt erwähnt. Und an dritter Stelle muss die Stiftung
       versuchen, in Zeiten einer de facto eingeschränkten Versammlungsfreiheit
       und einer Einengung des ‚zulässigen‘ Meinungsspektrums Verbündete für diese
       Ziele auszumachen und zu gewinnen; sie sind viel zahlreicher als gedacht.“
       
       Und doch: Dies sind die Ziele der [1][kürzlich von der AfD als ihr
       nahestehende politische Stiftung gewählten „Desiderius Erasmus Stiftung“.]
       In der nächsten Legislaturperiode wird sie über etwa 70 Millionen Euro pro
       Jahr verfügen können.
       
       Aber wer war der Namensgeber dieser Stiftung? Bisher waren es Männer wie
       Hanns Seidel, Konrad Adenauer, Willy Brandt, Friedrich Naumann, Heinrich
       Böll und last but not least Rosa Luxemburg, die parteinahen Institutionen
       den Namen gaben; künftig wird es zwar ebenfalls um einen Mann gehen, aber
       um einen Mann, der im 16. Jahrhundert, im Zeitalter von Renaissance und
       Reformation lebte, geboren 1466 in Rotterdam, gestorben 1536 in Basel.
       
       ## Kraft von Bildung und Erziehung
       
       Auf ihrer Homepage stellt die Stiftung ihren Namensgeber so vor: „Als
       kritischer Denker seiner Zeit zählte Erasmus zu den Wegbereitern der
       europäischen Aufklärung und wurde gleichermaßen von Spinoza, Rousseau,
       Voltaire, Kant, Goethe, Schopenhauer und Nietzsche geachtet. Auch galt er
       als einer der ersten ‚Europäer‘ und hoffte auf die ‚Vernunft‘ der
       Herrschenden, auch ohne Krieg zu einem dauerhaften Frieden zu kommen. Er
       legte Wert auf Neutralität und Toleranz und sah die Gefahren der
       Religionskriege voraus.“
       
       Nun war Erasmus nicht nur einer der besten Latinisten seiner Zeit, sondern
       auch ein Mann, der zutiefst an die Kraft von Bildung und Erziehung glaubte
       und zugleich in höchst realistischer Weise zur Kenntnis genommen hatte,
       dass menschliches Zusammenleben von Torheiten, Irrationalitäten und einer
       nicht immer klärbaren, oftmals verwirrenden Vielfalt von Gefühlen geprägt
       war.
       
       So veröffentlichte er 1509 sein Werk „Lob der Torheit“ , in dem er auf die
       eigentümliche Dialektik törichter Haltungen und ihrer dennoch wohltätigen
       Auswirkungen hinwies. Ruhmessucht habe die Entstehung von Staaten
       begünstigt, während der Gipfel aller Torheit, der Krieg, immerhin Heldentum
       befördert habe und Selbstsucht und Eigenliebe Kunstwerke wie Musik und
       Dichtung hervorbrachten.
       
       Obwohl sich Erasmus intensiv an der namentlich von Martin Luther
       angestoßenen Debatte über die moralische Verderbtheit der katholischen
       Kirche beteiligte, blieb er ihr dennoch ein Leben lang treu; mehr noch, in
       grundsätzlichen Fragen blieb er ein überzeugender Gegner Martin Luthers. So
       beharrte er trotz Luthers Kampfschrift „De servo arbitrio“ aus dem Jahre
       1525, in der dieser die Lehre von der menschlichen Willensfreiheit
       grundsätzlich zurückwies, auf der menschlichen Fähigkeit zu vernünftiger
       Freiheit.
       
       ## Überzeugter Pazifist
       
       Seine halbherzige Kritik der Kirche hier und seine gleichzeitige
       beharrliche Mitgliedschaft in dieser so kritisierten Körperschaft brachten
       ihm bereits zu Lebzeiten den Vorwurf des Opportunismus ein – in Stefan
       Zweigs erstmals 1934 publiziertem Buch „Triumph und Tragik des Erasmus von
       Rotterdam“ ging es nicht zuletzt um dessen (vermeintliche)
       Charakterlosigkeit – wobei Stefan Zweig einräumte, dass dies Buch eine
       „verschleierte Selbstdarstellung“ sei.
       
       So war Erasmus von Rotterdam einerseits ein überzeugter Pazifist im Geiste
       der jesuanischen Bergpredigt. In seiner 1517 publizierten „Klage des
       Friedens“ hieß es: „Wo denn ist das Reich des Teufels, wenn es nicht im
       Krieg ist? Warum schleppen wir Christus hierhin, zu dem der Krieg noch
       weniger passt als ein Hurenhaus?“
       
       Das war eine Haltung, die Erasmus – ungewöhnlich für seine Zeit und auch
       hier Martin Luther diametral entgegengesetzt – auch mit Blick auf die
       Türken an den Tag legte: seien sie doch auch menschliche Wesen und – wie er
       meinte – zur Hälfte Christenmenschen. Das, aber wohl auch nur das, war in
       diesem Fall das Motiv seines letztlich doch eingeschränkten Pazifismus.
       
       Hieß es doch in einer anderen seiner Publikationen – sie handelte von der
       „Tugend der Ehe“: „Die […] Befürworter der Jungfräulichkeit sind keine
       Gegner des Krieges gegen die Türken, die aufgrund ihrer großen Familien in
       der Mehrheit sind. Wenn sie [die Befürwortung der Jungfräulichkeit, M. B.]
       stimmig ist, dann“, so Erasmus „sollten sie Kinder produzieren, um Soldaten
       für den Krieg zu haben – es sei denn, sie denken, dass Kanonen, Artillerie
       und Kriegsschiffe keiner Menschen bedürften.“
       
       ## Juden als Gefahr
       
       Entsprechend publizierte er 1530 ein Buch unter dem Titel „Consultatio de
       Bello Turcis inferendo“ – „Beratung über einen gegen die Türken zu
       führenden Krieg“. Dort fragte er, „was von jenen zu halten sei, die den
       bösartigen und kriminellen Mohammed dem Christus vorzögen“; hatte aber
       einen anderen, minder kriegerischen Vorschlag: „Was wirklich am meisten
       wünschenswert wäre, wäre die Unterwerfung des türkischen Reiches nach der
       Art und Weise, wie die Aposteln alle Nationen der Welt dem Reich Christi
       unterworfen haben.“
       
       Am Ende waren es nicht einmal die Türken, die Muslime, die seinen größten
       Abscheu erregten, sondern doch die Juden, vor allem – durchaus
       protorassistisch – die getauften Juden, die Marranos. Während ihm die
       ungetauften Juden als Inbegriff des Starrsinns galten, witterte er zumal in
       getauften Juden eine besondere Gefahr: „Unter dem Deckmantel der
       Verteidigung des Glaubens“, so Erasmus 1531, „wird die Welt mit Raub
       erfüllt. Spanien hat viele geheime Juden, Deutschland sehr viele, die von
       Natur aus oder durch Kriege geübt der Räuberei zuneigen. Dieses Gesindel
       wird erst Deutschland und dann den Erdkreis überschwemmen.“
       
       Immerhin ist einzuräumen, dass sich Erasmus im Konflikt um den Humanisten
       Johannes Reuchlin, der sich gegen die Verbrennung talmudischer Schriften
       aussprach, mit Reuchlin solidarisierte. Gleichwohl war Erasmus in letzter
       Instanz dafür, das ganze Alte Testament zu vernichten, „als wegen der
       Judenbücher die Eintracht der Christenheit stören zu lassen“ – wenn nur das
       Neue Testament unversehrt erhalten bliebe.
       
       Man mag sich ob dieser von Erasmus vertretenen Überzeugungen fragen, warum
       der Europäische Rat 1987 ein entsprechendes Programm für Studierende
       aufgelegt hat und wird dann auf eine Mehrdeutigkeit stoßen, ist doch
       „Erasmus“ auch die Abkürzung für „European region action scheme for the
       mobility of university students“. Ob die fatalen Überzeugungen dieses
       „Humanisten“ wohl dem Rat bekannt waren?
       
       Aber wie dem auch sei: Der genauere Blick offenbart, dass jene, die [2][dem
       künftigen rechtsextremen Thinktank] diesen vermeintlich unverfänglichen, so
       europäisch und humanistisch klingenden Namen gegeben haben, seine Werke
       besser und genauer studiert haben als das zunächst verwunderte Publikum.
       Die AfD jedenfalls macht aus einem durchaus zwiespältigen Geist einen
       aufgeklärten, letztlich intoleranten Verteidiger des christlichen
       Abendlandes.
       
       19 Aug 2018
       
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