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       # taz.de -- Pastor Wilfried Manneke über Rassismus: „Ein Gutmensch ist etwas Positives“
       
       > Der Pastor Wilfried Manneke engagiert sich seit vielen Jahren gegen
       > Rechtsextremismus und Rassismus in der Südheide. Geprägt hat ihn die
       > Erfahrung der Apartheid.
       
   IMG Bild: Exponiert gegen rechts: Wilfried Manneke bei der Verleihung des Paul-Spiegel-Preises
       
       Herr Manneke, der Zentralrat der Juden hat Sie gerade mit den
       Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage ausgezeichnet. Eine Überraschung? 
       
       Wilfried Manneke: Mit einem Preis für mein Engagement gegen
       Rechtsextremismus habe ich überhaupt nicht gerechnet. Diesen Preis, so
       bewerte ich es, darf ich auch stellvertretend für die Bündnisse gegen
       rechts entgegennehmen, in denen ich mich einbringe. Es ist auch das erste
       Mal, dass ich für meine Bemühungen einen Preis erhalte. Dass dieser Preis
       vom Zentralrat der Juden kommt, empfinde ich als Christ als eine doppelte
       Ehre.
       
       Warum doppelt? 
       
       Die Geschichte der evangelisch-lutherischen Kirche ist nicht frei von
       Antisemitismus und im Nationalsozialismus hat sich meine Kirche zu sehr mit
       den Machthabern eingelassen. Dieser Preis freut mich aber auch, weil Juden
       ganz besonders im Visier der Rechtsextremen stehen und unser Engagement
       gegen jede gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gesehen wird.
       
       Am Samstag haben Sie mit vielen Menschen gegen eine Sonnenwendfeier auf
       einem Neonazihof bei Eschede protestiert, wie schon oft seit 2007. Werden
       Sie nie müde? 
       
       Resignieren, nicht mehr demonstrieren? Das möchte diese Szene doch, dass
       wir aufgeben. Nein, ich werde nicht müde. Und vor allem bin ich nicht
       alleine. Unsere Initiative „Kirche für Demokratie – gegen
       Rechtsextremismus“ in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers
       und des Netzwerks Südheide gegen Rechtsextremismus ermutigen mich,
       weiterzumachen.
       
       Diese Netzwerke haben Sie mit initiiert. 1995 sind Sie Gemeindepastor
       geworden und gleich gegen rechts aktiv gewesen. Nicht ohne Folgen für Sie –
       bis zu einem Brandanschlag 2011. 
       
       Für uns, möchte ich sagen. Das war für meine Frau, für unsere Kinder und
       für mich ein Einschnitt. Rechtsextreme vor der Tür, rechte Schmierereien an
       der Fassade – und nun ein Brandsatz. Aus Südafrika bin ich 1995 zurück nach
       Deutschland gekommen, in die Lüneburger Heide. Und ich konnte kaum glauben,
       wie stark hier diese menschenverachtende Szene aktiv war. In Hetendorf
       unterhielt damals der rechtsextreme Anwalt Jürgen Rieger ein Zentrum. Da
       kann man nicht schweigen, da muss man handeln. Und in den Netzwerken, in
       denen ich war, überlegten wir, wer kann sich offen gegen rechts outen,
       Aktionen anmelden, Flugblätter verantworten, vielleicht mit beruflichem
       Schutz. Denn uns war klar, die Feinde der Menschlichkeit würden uns als
       Feinde wahrnehmen.
       
       Das klingt sehr abgeklärt. 
       
       Im Alltag fasst Sie das natürlich anders an. Beim Protest gegen die
       Besetzung des Landhotels in Faßberg 2009 von einer Gruppe um Rieger stieg
       die Hetze gegen mich im Internet enorm an. Das lässt einen nicht unberührt.
       Meine Kirche konnte mir zwar keine Bodyguards stellen, sie stellte mir aber
       einen Anwalt, der energisch gegen Hasspostings auf Twitter und dem
       rechtsextremen Portal Altermedia vorging. Sein Engagement dürfte 2016 mit
       zum Verbot von Altermedia geführt haben.
       
       Haben die dreizehn Jahre, die Sie zur Zeit der Apartheid in Südafrika
       waren, Sie politisiert? 
       
       Ein starkes Wort. Diese Erfahrung hat mich sehr für alle Schattierungen des
       Rassismus sensibilisiert. Ich stand in Eshowe zwei Gemeinden vor, einer
       deutschsprachigen und einer englischsprachigen. In der englischsprachigen
       Gemeinde waren neben Weißen auch Menschen anderer Hautfarbe; damals
       eigentlich nicht erlaubt, aber geduldet. Alle drei Monate musste ich meine
       Arbeitserlaubnis erneuern lassen. Die Sicherheitspolizei beobachtete mich.
       Hier mussten wir sehr genau überlegen, wie wir unserem christlichen Glauben
       gerecht werden können, ohne ausgewiesen zu werden.
       
       Das war die Hochzeit der Auseinandersetzung um das Ende der Apartheid, bis
       sie 1994 durch die Wahl Nelson Mandelas abgeschafft wurde … 
       
       … Politik der getrennten Entwicklung hieß diese rassistische Ausgrenzung
       offiziell. Diese Politik, die bis ins tief Private wirkte, hat schreckliche
       Verletzungen verursacht. Ich als Weißer wurde aber von den Betroffenen nie
       angefeindet. Trotz deren Unterdrückung und Verfolgung hatten sie die Kraft,
       genau zu schauen.
       
       Hat Ihnen diese Erfahrung später auch über Niederlagen hinweggeholfen?
       Etwa, als Jugendliche, die sie konfirmiert hatten, sich der rechten Szene
       zuwandten? 
       
       Das war selbstverständlich ernüchternd. Zehn Jungs, die ich teilweise
       konfirmiert hatte, wurden für die Szene rekrutiert. Die Rechten machten den
       damals Vierzehnjährigen ein vermeintlich spannendes Angebot zwischen
       Politik, Aktion und Freizeit. Sie kümmerten sich sogar darum, das die Jungs
       die damals passende Szenemode bekamen: Bomberjacke und Springerstiefel.
       Aber wir erreichten sie dennoch; boten Gespräche an – und sie kamen. Wir
       mussten feststellen, dass die Achtklässler vom Nationalsozialismus nichts
       wussten – und das, obwohl das frühere Konzentrationslager Bergen-Belsen nur
       25 Kilometer von hier entfernt ist. Die Schule hat übrigens auch reagiert:
       Der Nationalsozialismus wurde nun ab der sechsten Klasse Lehrinhalt.
       
       Also am Ende doch noch ein Erfolg? 
       
       Es war eine harte Auseinandersetzung, aus der wir viel gelernt haben.
       
       Wie nehmen Sie wahr, dass die vermeintlichen Retter des Abendlandes sich
       auf das Christentum beziehen? 
       
       Das ist ein Hohn. Wenn Alexander Gauland sagt, dass niemand neben Jérôme
       Boateng wohnen möchte, dann ist das Rassismus. Und wenn Björn Höcke sagt,
       das Holocaust-Mahnmal sei eine Schande, dann ist das Antisemitismus.
       
       Trifft Sie der Erfolg der AfD in Namen des Christentums? 
       
       Dieser Rückschlag hat mich schon sehr erschüttert. Ich hätte nicht gedacht,
       dass Deutschland sich so entwickeln würde. Die Positionen der AfD höre ich
       seit zwanzig Jahren. Diese Unterscheidung zwischen Rechtsextremen und
       Rechtspopulisten ist doch letztlich ungenau. Mit dem Satz „Das muss man
       doch mal sagen dürfen“ werden nun in der Mitte der Gesellschaft
       rechtsextreme Ressentiments verbreitet. Mit dem Grundgehalt des
       Christentums, der Nächstenliebe, hat dies nichts gemein. Ich würde mir
       wünschen, dass die Menschen, die aus Not zu uns nach Deutschland kommen, so
       gastfreundlichen empfangen werden, wie ich damals in Südafrika aufgenommen
       wurde.
       
       Sie haben Kirchenasyl angeboten – und wurden angezeigt. 
       
       Ja. Fünf Monate lebte ein Eritreer bei uns. Gegen eine Geldauflage und
       Sozialstunden wurde das Verfahren gegen mich 2015 eingestellt. Ich wollte
       die Auseinandersetzung nicht mit einem langen Rechtsstreit anheizen,
       womöglich das Kirchenasyl gefährden. Zu der Zeit bestanden deutschlandweit
       610 Asyle in Kirchen. Deshalb habe ich die Forderung der Staatsanwaltschaft
       auch sofort erfüllt.
       
       Zweifeln Sie da auch manchmal an Gott? 
       
       An Gott habe ich gezweifelt, als der norwegische Rechtsextremist Anders
       Behring Breivik am 22. Juli 2011 Anschläge gegen Regierungsangestellte in
       Oslo und gegen Jugendliche in einem Feriencamp auf der Insel Utøya verübte,
       denen 77 Menschen zum Opfer fielen. Diese hasserfüllte Tat ist mir damals
       sehr nahe gegangen, besonders auch, weil so viele jungen Menschen betroffen
       waren.
       
       In den Sozialen Netzwerken werden Sie als „Gutmensch“ diffamiert … 
       
       Und als ewig Gestriger und Volksverräter und, und, und. Ich weiß, wie die
       Rechtsextremen das meinen. Aber sollen wir uns die Worte nehmen lassen?
       Gutmensch ist doch eine positive Bezeichnung, der ich versuche, gerecht zu
       werden. Gutmenschen haben gute Absichten, möchten bestimmte Probleme lösen
       oder „die Welt verbessern“. Ich bemühe mich auf jeden Fall, ein guter
       Mensch zu sei, der sein Denken und Handeln selbst hinterfragt und für
       andere Menschen offen und zugewandt ist – egal wo sie geboren sind.
       
       25 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Speit
       
       ## TAGS
       
   DIR Anti-Rassismus
   DIR Schwerpunkt Rassismus
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   DIR Evangelische Kirche
       
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