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       # taz.de -- Pellworm will Sterneninsel werden: Auf der Suche nach der Dunkelheit
       
       > Die nordfriesische Insel Pellworm liegt mitten im Wattenmeer – fernab von
       > großen Lichtquellen. Jetzt will sie offiziell Sternenpark werden.
       
   IMG Bild: Verbesserungsfähig: Haus mit Außenbeleuchtung auf Pellworm
       
       Pellworm taz | Draußen vor der Tür steht eine schwarze Wand. Ich sehe
       nichts, gerade so, als ob ich blind wäre. Das ist irritierend, fast ein
       Schock, da ich zuvor über die halbe [1][Insel Pellworm] getingelt bin auf
       der vergeblichen Suche nach der vollkommenen Dunkelheit.
       
       Dass man überhaupt auf den Gedanken kommen kann, es gäbe hier irgendwo gar
       kein Licht, ist der Lage Pellworms geschuldet: mitten im nordfriesischen
       Wattenmeer, umgeben nur von ein paar Inseln und Halligen – verstreuten
       Außenposten der Menschheit. Das macht sie zu einem der dunkelsten Orte
       Deutschlands und qualifiziert sie für den Titel „Sternenpark“, den sie bei
       der [2][International Dark Sky Association (IDA)] beantragt hat.
       
       Pellworm hat keinen Strand – der „Sternenpark“-Titel wäre für die
       Kurverwaltung ein Pfund, mit dem sie bei Touristen wuchern könnte und das
       zum [3][Öko-Image] der Insel beitragen würde.
       
       Den Bewerbungsprozess begleitet der Osnabrücker Astronom Andreas Hänel. Für
       ihn ist es ein Herzensanliegen, weil es nur noch so wenige Orte gibt, wo
       der Nachthimmel in seiner ganzen Pracht zu sehen ist: nicht nur eine Unzahl
       an Sternen, sondern auch die Milchstraße und das Zodiakallicht. Es entsteht
       durch das Sonnenlicht, das von Staubpartikeln reflektiert wird, die um das
       Gestirn kreisen.
       
       ## Begeistert vom Zodiakallicht
       
       Bei einem Besuch im März hat Hänel das Zodiakallicht als pyramidenförmigen
       Schein am westlichen Himmel beobachten können. „Wenn man das sehen kann,
       muss es extrem dunkel sein“, schwärmt der ehemalige Leiter des Planetariums
       Osnabrück am Telefon. Als Mitglied der [4][IDA] unterstützt er Pellworms
       Bewerbung ebenso wie die der ostfriesischen Insel Spiekeroog und kommt
       deshalb immer wieder auf die Insel.
       
       Hänel hat beeindruckt, wie dunkel es auf den beiden Nordseeinseln ist, weil
       er das in Deutschland nicht erwartet hätte. Dabei hat der Astronom
       reichlich Anschauung im Kopf. „Ich glaube, ich bin einer derjenigen auf dem
       Planeten, der die meisten Sternenparks angeschaut hat“, sagt er.
       
       Für die Bewerbung Pellworms hat Hänel die Helligkeit des Nachthimmels
       gemessen und kam dabei auf die aus seiner Sicht erstaunliche Größenordnung
       22 pro Quadratbogensekunde, womit ein sternengroßer Fleck des Himmels
       gemessen wird. Mit dieser Einheit werde eigentlich die Helligkeit von
       Sternen klassifiziert, sagt Hänel.
       
       Die hellsten Sterne gehören zur Größenklasse sechs. Den Himmel über Hamburg
       schätzt Hänel auf 17. Deshalb überstrahlt das Licht der Großstadt auch die
       meisten Sterne bis auf ein paar Dutzend. Was den Metropolenbewohnern
       entgeht, zeigt sich auf Pellworm, wo 3.000 bis 4.000 Sterne zu sehen sind.
       
       ## Nachthimmel als schützenswerte Ressource
       
       Voraussetzung dafür ist eine mondlose Nacht bei wolkenlosem Himmel. Weil
       das nicht so häufig vorkommt, hat Oliver Jedath von der Pellwormer
       Sternengruppe einen Ausdruck des aktuellen Himmels zum abendlichen Treffen
       mitgebracht. „Position: Amt Pellworm, 54,5203°N, 8,6839°O“ steht auf dem
       Bogen. Gegen 22 Uhr müsste im Zenit der Große Wagen zu sehen sein,
       flankiert vom Drachen und vom Löwen.
       
       Leider ist der Himmel bedeckt, aber die Sterne wären ja auch nur ein Bonus.
       Jedath, der aussieht wie ein Seebär, auch wenn er keiner ist, soll
       erklären, was [5][Pellworm] tut, um als Sternenpark anerkannt zu werden. Er
       ist eigentlich Projektmanager und aus dem Ruhrgebiet nach Pellworm gezogen.
       Auf der Insel gehört er zu einer Kerngruppe von einem halben Dutzend
       Engagierten, die versuchen, das Projekt Sterneninsel voranzutreiben.
       
       Die Gemeindevertretung ist längst mit im Boot. Im Dezember 2019 hat sie
       eine Lichtleitlinie verabschiedet, die den Nachthimmel als „besonders
       wertvolle und schützenswerte natürliche Ressource“ anerkennt. Ziel ist es,
       die „erforderliche künstliche Nachtbeleuchtung nachhaltig und blendfrei
       einzurichten“.
       
       In der Folge hat die Gemeinde 140 öffentliche Straßenlaternen umgerüstet.
       Die hohen Laternen am Hafen haben jetzt flache Köpfe mit vier Reihen LEDs,
       deren gelblich-warmes Licht sich in den Pfützen spiegelt. Das Licht streut
       nur wenig, sodass sich keine Lichtglocke über dem Hafen mit seinen zwei,
       drei Krabbenkuttern bildet.
       
       Es klingt ein bisschen paradox, wenn Jedath sagt: „Dunkelheit ist etwas,
       wofür wir nichts tun müssen“ – nichts, außer auf übertriebene
       Beleuchtungsansprüche zu verzichten. Zur Illustration schaltet Jedath seine
       Stirnlampe von blendend Weiß auf Rot. Rot blendet nicht und lockt auch
       keine Insekten in die Falle. Sehen lässt sich trotzdem prima.
       
       Die Lichtleitlinie schreibt vor, die UV- und Blauanteile im Licht ebenso zu
       begrenzen wie die Stärke des Lichts. Licht soll nur leuchten, wann und wo
       es notwendig ist und es soll gerichtet sein. Öffentliche Einrichtungen
       sollen diese Grundsätze binnen fünf Jahren verpflichtend umsetzen, für
       Privatleute wird das empfohlen.
       
       Viele Insulaner hätten das Projekt durchaus verstanden, sagt
       Bürgermeisterin Astrid Korth (parteilos). Manche sind sogar mit großem
       Ernst dabei. „Einer rief an, als fünf nach zehn noch das Licht an war“,
       erinnert sie sich.
       
       Allerdings zeigt ein Rundgang mit Jedath durch den Hauptort Tammensiel,
       dass es gerade auf den privaten Grundstücken noch
       Verbesserungsmöglichkeiten gibt: Da sind ganze Giebel ausgeleuchtet;
       Erdstrahler verzieren als Lichtfontänen in regelmäßigen Abständen die
       Fassaden, dort wo keine Fenster sind; leuchtende Kugeln liegen in Gärten,
       auch wenn sonst kein Lichtschein aus dem Haus dringt. „Das ist für mich so
       schlimm wie Schottergärten“, ärgert sich Jedath.
       
       Als aus der Großstadt Zugezogener weiß Jedath den Himmel über Pellworm
       besonders zu schätzen. Sein inniges Verhältnis zu den Sternen sei ein Erbe
       seiner ostpreußischen Großmutter, die ihm Geschichten von den Sternen
       erzählt habe.
       
       Deshalb versucht er nun einerseits seine Mitbürger davon zu überzeugen,
       dass sie sich nicht wesentlich einschränken müssen, um dem Himmel Geltung
       zu verschaffen, und er überlegt sich zusammen mit den anderen Mitgliedern
       der Sternengruppe, wie denn dieser Himmel erlebbar zu machen wäre.
       
       ## Ausbildung zum Sternenscout
       
       Zu den Ideen gehören spezielle Sitzgelegenheiten an besonders dunklen Orten
       der Insel. Denkbar wäre auch ein Sternenkieker-Kurs oder die Ausbildung zum
       Scout, der den Leuten den Himmel erklärt. Die Gruppe baue hierzu ihre
       Kontakte aus. „Wir müssen aber auch noch ein paar Überraschungen parat
       haben“, sagt Jedath
       
       Als einen Ort besonderer Dunkelheit empfiehlt er die Nordermühle, laut
       Inselbroschüre ein „Zwickstellholländer aus dem Jahre 1652“, der kurz
       hinterm Deich auf einer Warft steht. An der Hauptstraße, die von Tammensiel
       zur Mühle führt, reiht sich streckenweise ein Haus und damit ein Licht ans
       andere.
       
       Beim Blick vom Deich zurück ins Land verschwinden die meisten Lichter
       zwischen Büschen, Bäumen und Gebäuden. Anders auf dem Meer, wo freie Sicht
       herrscht zu den Lichtern der Halligen Hooge und Langeneß. Außerdem blinken
       zwei Leuchtfeuer und landwärts am Horizont im Gleichtakt Reihen von
       Windrädern. Nur hinter dem Deich, Blick streng Richtung Osten, ist gar kein
       Licht zu sehen, weil die wenigen Häuser hinter den Deichen der Köge
       verschwinden.
       
       Doch die wenigen Lichter sind zwar störend, aber nicht entscheidend für den
       Genuss des Himmels, bei dem sich der Blick ja nach oben richtet.
       
       Und das Streulicht zu ebener Erde ist nach Mitternacht so gering, dass
       derjenige, der aus dem Licht der Hotelbar ins Dunkle tritt, einen Schreck
       bekommt, weil er nichts sieht.
       
       31 May 2021
       
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   DIR [5] https://www.pellworm.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gernot Knödler
       
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