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       # taz.de -- Phänomen Manspreading: Beine breit
       
       > „Manspreading“ bezeichnet den männlichen Hang dazu, in Bussen und Bahnen
       > zu viel Platz einzunehmen. Manche begründen das biologisch.
       
   IMG Bild: Schön bequem wie zu Hause auf der Couch: Manspreading.
       
       Wörter, die mit dem englischen Wort „Man-“, also „Mann“, anfangen, sind
       selten schmeichelhaft. Das gilt für die „Manboobs“, die als wenig attraktiv
       geltenden Männerbrüste, genauso wie für den „Mankini“, den bizarren
       Badeanzug-Schamkapsel-Hybrid aus den frühen 2000ern. Mit „Manspreading“
       verhält es sich ähnlich. Die Wortschöpfung – übersetzt etwa
       „Männerspreizen“ – bezeichnet die Angewohnheit von Männern, breitbeinig zu
       sitzen, besonders in Bus und Bahn.
       
       Gerade auf den genormten Sitzen öffentlicher Verkehrsmittel wird deutlich:
       Das Geschlechterverhältnis wirkt bis in die Oberschenkelmuskulatur. Immer
       wieder sieht man dort Männer, die bräsig im Sitz hängen und ihre Schenkel
       die Nachbarsitze kolonisieren lassen, während sich links und rechts Frauen
       pflichtbewusst zusammenfalten.
       
       In der englischsprachigen Netzdebatte hat es das Wort „Manspreading“ im
       letzten Jahr zu einigem Ruhm gebracht. Eine amerikanische Universität hat
       es deshalb sogar auf die Liste der inflationär benutzten Begriffe gesetzt.
       
       Der plötzliche Erfolg des Terminus geht auf eine Kampagne der New Yorker
       Verkehrsgesellschaft MTA zurück. Die brachte vor einem Jahr in ihren Zügen
       Schilder an, auf denen die „Manspreader“ aufgefordert werden, sich zu
       benehmen: „Dude, stop the spread, please – it’s a space issue“ steht
       darauf. Auf einmal hatte das tägliche Ungemach einen Namen.
       
       Kaum waren die neuen Schilder raus, tauchte es online überall auf. Genervte
       PendlerInnen kommentierten in den Sozialen Medien, wie sich der Typ neben
       ihnen in der Bahn schon wieder hingefläzt hat. Andere teilten
       Schnappschüsse von „Spreads“ als Beweis. Innerhalb von sechs Monaten wurde
       der Begriff im Netz so oft verwendet, dass das „Oxford Dictonary“ ihn in
       seine Onlineausgabe aufnahm.
       
       Beschäftigungstherapie für TeilzeitfeministInnen? 
       
       Ist das ein Luxusproblem? Eine Beschäftigungstherapie für
       TeilzeitfeministInnen? Werden hier wichtigere Debatten verdrängt, etwa über
       sexuelle Übergriffe?
       
       Nicht ganz. Es geht darum, wer mehr von der Ressource öffentlicher Raum
       abbekommt. Besser auf den Punkt bringen als die New Yorker MTA kann das
       niemand: „It’s a space issue.“ Ein Raumproblem – aber auch ein
       Geschlechterproblem. Männer machen die Beine breit und nehmen sich damit
       mehr Platz, als ihnen zusteht. Frauen hingegen lassen sich zurückdrängen,
       und verschwinden im Hintergrund.
       
       Aber warum spreizen Männer? Ist es Nachlässigkeit oder gezielte
       Provokation? Weder – noch, behaupten jetzt die stolzen Spreizer: Es sei
       ihre Natur. Auf dem wirtschaftspolitischen Blog EconoMonitor, das zur
       Beratungsfirma Rubini Global Economics gehört, erschien letzte Woche der
       Versuch einer wissenschaftlichen Analyse, warum Männer nicht anders können,
       als die Beine breit zu machen. Der Grund sei – natürlich – die Biologie.
       
       In dem Artikel verkünden die Autoren: Statistiken über den männlichen
       Körperbau zeigten, dass Männer für die Spreizerei nichts könnten. Zitat:
       „Unserer multivariaten Analyse von anthropometrischen Parametern über
       mehrere Datensätze zufolge ist Manspreading eine adaptive Strategie, die
       Männer wegen angeborener morphologischer Eigenschaften anwenden.“
       
       Männer sind also qua Natur wackelige Angelegenheiten 
       
       Das Fazit der Gelehrten: Weil bei Männern die Schultern wesentlich breiter
       seien als die Hüften, müssten sie spreizen, um die Balance zu halten.
       
       Das hat eine gewisse Schönheit, denn je nach Blickwinkel klingt es
       entwaffnend wissenschaftlich oder schlicht nach Realsatire. Männer sind
       also qua Natur wackelige Angelegenheiten. Ihnen aus falsch verstandenem
       Feminismus gewaltvoll die Schenkel zusammenzuzwingen wäre fatal – denn dann
       wären die U-Bahnen schon bald übersät mit umgefallenen Männern.
       
       Viel wahrscheinlicher aber ist das „Manspreading“ Ausdruck eines bestimmten
       Körpergefühls. Dieses Körpergefühl ist geschlechtsspezifisch. Und es ist
       angelernt. So sieht das Ina Hunger, Professorin für Sportwissenschaft an
       der Universität Göttingen. Hunger untersucht den Zusammenhang von
       Geschlecht und Körperpraxen. Für sie ist der Verweis auf Hüft- und
       Schulterbreite Pseudowissenschaft.
       
       „Es gibt keine geschlechtsspezifische Anatomie, die Männer dazu zwingt,
       breitbeinig zu sitzen.“ Stattdessen hänge hier die körperliche mit einer
       persönlichen Haltung zusammen: „Breitbeinig sitzen kommuniziert Präsenz, es
       zeigt den anderen: ‚Hier bin ich!‘“ Eine bewusste Aussage sei das jedoch
       nicht, sondern Gewohnheit: „Männer üben dieses raumgreifende Verhalten
       schon im Kindesalter ein.“
       
       ## Bei den Spreizern sagt niemand was
       
       Hunger erforscht die Bewegungsmuster von Kleinkindern beim Spiel, also
       genau in dem Moment, in dem sie sich vermeintlich frei bewegen.
       Gleichzeitig beobachtet sie, welche Bewegungsarten das soziale Umfeld der
       Kinder besonders fördert.
       
       Ihr Ergebnis: Obwohl bei den meisten Eltern und ErzieherInnen der Anspruch
       bestand, Mädchen und Jungen gleich zu behandeln, erhielten die Kinder immer
       wieder Anreize, sich unterschiedlich im Raum zu bewegen. „Jungen wird
       unterstellt, dass sie sich ständig austoben müssen. Typische Mädchenspiele
       finden hingegen in einem stark begrenzten Bereich statt.“
       
       Männer und Frauen lernten dadurch sehr früh, wie viel Raum sie jeweils
       einnehmen dürfen. Durch diese Erfahrung kultivierten sie ein
       unterschiedliches Körperempfinden. Dass Männer sich im öffentlichen Raum
       breitmachen, liegt für Hunger weniger daran, dass sie ungehobelt sind,
       sondern an der unterbewussten Annahme, dass ihnen dieser Raum zusteht.
       
       Gleichzeitig würden Männer weniger auf körperliche Übertretungen
       hingewiesen: „Im Gegensatz zu Frauen lernen Männer nicht, permanent darauf
       zu achten, was ihr Körper kommuniziert.“ Während Frauen befürchten müssten
       anzuecken, wenn sie mehr Raum einnehmen, sagt bei den Spreizern niemand
       was.
       
       Jedenfalls war das so, bis mit der New Yorker MTA zum ersten Mal jemand den
       Herren an die Schenkel ging – bildlich gesprochen. Dabei richtet sich die
       Kampagne der Verkehrsgesellschaft gar nicht hauptsächlich gegen
       „Manspreader“. Das Schild „Dude, stop the spread, please” ist eines von
       vielen Hinweisen zu rücksichtsvollem Verhalten, die in New Yorker Zügen zu
       finden sind. Andere bitten darum, die Türen nicht zu blockieren und im
       Waggon nicht zu essen.
       
       ## Weiblich ist das Zierliche
       
       Trotzdem brachte es nur das „Manspreading“-Schild zur Online-Berühmtheit.
       Vermutlich, weil es hier um mehr geht, als um Komfort auf dem Weg zur
       Arbeit. Es geht um einen Angriff auf die Männlichkeit, zu der die Idee der
       Ausdehnung gehört. Sie wird assoziiert mit dem Großen, dem Groben, dem
       Ausladenden.
       
       Weiblich ist das Zierliche, das Zurückhaltende. Männer nehmen sich Raum,
       ohne zu fragen. Männer ergreifen Chancen, ohne zu fragen. Manche Männer
       greifen nach Frauen, ohne zu fragen. Weil sie nicht gelernt haben, dass ihr
       persönlicher Raum Grenzen hat.
       
       Derart angelernte Bewegungsmuster sind nicht einfach abzulegen. Wer sich
       einmal ans Spreizen gewöhnt hat, wird es in achtlosen Momenten wieder und
       wieder tun. Was empfiehlt die Bewegungsforscherin Ina Hunger Männern, die
       die Beine nicht zusammenhalten können? „Sich die eigene Haltung bewusst vor
       Augen zu führen und welche Wirkung sie nach außen hat. Sich immer wieder zu
       fragen: ‚Wie halte ich mich in diesem Moment und was kommuniziere ich
       damit?‘ Viele Männer tun das noch nicht.“
       
       Der Muskel, der dazu benötigt wird, die Beine zusammenzuhalten, heißt
       übrigens „Gracilis“ oder „Jungfrauenhüter“. Kein Wunder, dass Männer
       ausgerechnet den verkümmern lassen.
       
       30 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Weissenburger
       
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