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       # taz.de -- Vergessene Erfolgsgeschichten: Pionierinnen des Radsports
       
       > Frauenradsport ist keine Erfindung der letzten Dekade. Eine Historikerin
       > erinnert an die Geschichte von Cenzi Flendrovsky vor mehr als hundert
       > Jahren.
       
   IMG Bild: Frauenrennen auf dem Holzoval der Wiener Rotunde:
       
       Wer dieser Tage die großen Frühjahrsklassiker im Radsport verfolgt, der
       kann glatt auf die Idee kommen, Frauenradsport sei erst vor Kurzem erfunden
       worden. Vor gut einer Woche hieß es etwa, dass der Klassiker
       Mailand-Sanremo, den sie in Italien gerne „La Primavera“ nennen, [1][in
       diesem Jahr zum ersten Mal auch von Frauen bestritten wurde.] Dass es von
       1998 bis 2005 schon einmal einen Versuch gab, das Rennen, bei dem die
       Männer schon seit 1907 um den Sieg fahren, für Frauen zu öffnen, wurde
       dabei nur am Rand erwähnt.
       
       Es hört sich ja auch wirklich saudumm an, dass das Rennen damals „La
       Primavera rosa“ genannt wurde. Und doch gab es zu jener Zeit so etwas wie
       eine Zwischenblüte des professionellen Radsports. Sie ist weitgehend in
       Vergessenheit geraten. So wie nicht viel bekannt ist über die Pionierinnen
       des Rennsports auf zwei Rädern.
       
       Einer davon, Cenzi Flendrovsky, hat die Wiener Radhistorikerin [2][Petra
       Sturm eine „Bicycle Novel“] gewidmet, die gerade in der Edition Atelier
       erschienen ist. Im Prolog zu ihrer Lebensgeschichte wird jene Cenzi als
       eine der schnellsten Frauen Wiens an der Wende zum 19. Jahrhundert
       vorgestellt. Mit ihrer 16 Kilo schweren „Renn- und Tourenmaschine“ rast sie
       über Pflaster, sandige Landstraßen, die Rennbahnen vom Prater. Sie ist eine
       der wenigen Rennfahrerinnen ihrer Zeit.
       
       Wie sich das zugetragen hat? Petra Sturm stellt sich das so vor: Im
       Gemischtwarenladen ihres Vaters, wo sie als Mädchen auszuhelfen hat, träumt
       sie vom Radeln. Alleine ist sie damit nicht in jener Zeit. Dem Fahrrad
       trauen alle eine große Zukunft zu. In den Zeitungen wimmelt es von Anzeigen
       für Räder, eine Fahrradfabrik gibt es auch in Wien und schon bald ist ihr
       Vater auf dem Rad unterwegs.
       
       ## Radfahren in schönen Formationen
       
       Und Cenzi? Die muss ja mitbekommen haben, wie die Frauen jener Tage
       begonnen haben, für ihre Rechte zu kämpfen, das Wahlrecht zum Beispiel. So
       denkt es sich die Autorin, die sich Cenzi als sportliche junge Frau
       vorstellt. Als eine, die für ihr Recht aufs Radrennen demonstrieren würde.
       
       Und tatsächlich gibt es bald einzelne Damenrennen in einer beinahe schon
       radsportverrückten Zeit, in der es in Wien über 200 Fahrradvereine gibt. 24
       Jahre alt ist Cenzi, als sie einem Klub beitritt. Während die Männer um die
       Wette fahren, fahren die Frauen in schönen Kleidern auf blumengeschmückten
       Rädern schöne Formationen. Mit Rennsport hat das nichts zu tun. Doch den
       will Cenzi unbedingt betreiben.
       
       1897 ist es so weit. Cenzi fährt auf dem Holzoval der Wiener Rotunde
       anlässlich der Internationalen Sportausstellung zum ersten Mal um Sieg und
       Platz. In London und in Übersee gibt es schon Frauenrennen, die die
       Fahrerinnen zu Stars gemacht haben. Davon wird auch Cenzi geträumt haben.
       
       Doch lange konnte sie nicht Rennen fahren. Die Frauen sollten nicht. „Wir
       bezweifeln, dass das Gebiet des Damenrennfahrens das geeignete Feld ist,
       auf dem die nach Befreiung ringende Frau ihren Zielen nachgehen sollte“,
       zitiert Petra Sturm aus einer Fahrradzeitschrift jener Jahre. Cenzis Leben
       endet nach einem Sturz. Sie stirbt nach einer Blutvergiftung. Sie hätte
       vielleicht überlebt, hätte sie sich amputieren lassen. „Es heißt, Cenzi zog
       es vor, lieber zu sterben, als sich verstümmeln zu lassen“, heißt es in dem
       von Jorghi Poll wunderbar historisierend illustrierten Bilderbuch für
       Geschichtsinteressierte. Und: „Sie ist als Rennfahrerin gestorben.“ 28
       Jahre war sie da. Puh!
       
       Wie gut, mag man denken, dass diese Zeit vorbei ist, dass der Radsport der
       Frauen heute ernst genommen wird. Obwohl: Als [3][beim Frühjahrsklassiker
       Omloop het Nieuwsblad] zwei Ausreißerinnen ihren Vorsprung bis ins Ziel
       gebracht haben, zeigten nicht wenige Männer mit dem Finger auf den
       Frauenradsport. So etwas würde es bei den Männern nicht geben, hieß es. Das
       würde den Stars und ihren Superteams nicht passieren, dass sie die
       Flüchtenden nicht einfangen. Unprofessionell sei das gewesen.
       
       Was völlig fehlte dabei: jeglicher Respekt für die Ausreißerinnen, für die
       Siegerin Lotte Claes aus Belgien und die zweitplatzierte Polin Aurelia
       Nerlo.
       
       2 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Frauenrennen-von-Mailand/!6074628
   DIR [2] https://www.editionatelier.at/titel/cenzi-flendrovsky/
   DIR [3] https://www.radsport-news.com/sport/sportradrennen_64_891.htm
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Rüttenauer
       
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