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       # taz.de -- Podcast über „Drachenlord“: Digital-analoge Eskalation
       
       > In Staffel zwei erzählt der Podcast „Cui Bono“ Internetgeschichte anhand
       > eines bekannten Falls: „Drachenlord“ und die Macht von Reality-TV.
       
   IMG Bild: Auf einmal wollen 900 Menschen ein Haus in einem fränkischen Dorf stürmen
       
       Am 20. August 2018 stehen etwa 900 Menschen vor einem Haus und wollen es
       stürmen. Es gehört keiner Bank, nicht dem Verkehrsministerium, ist kein
       Objekt von Immobilienspekulant*innen. Es steht in Franken in einem kleinen
       Dorf mit weniger als 50 Einwohner*innen. Drinnen sitzt: Reiner Winkler, der
       „Drachenlord“. Draußen werfen sie mit Steinen, mit Eiern, mit Böllern, es
       bricht ein Feuer aus. Drinnen streamt eines der größten deutschsprachigen
       Youtube-Phänomene. Der Drachenlord ist Opfer, später auch verurteilter
       Täter und ein Stück Internetgeschichte.
       
       Kein Wunder also, dass die zweite Staffel des Podcasts „Cui Bono“ sich mit
       ihm befasst. Bereits in der ersten Staffel hat das Team um Host und Autor
       Khesrau Behroz bewiesen, was es kann: Die Geschichte des Internets und
       seinen Einfluss auf die Gesellschaft anhand eines besonders bekannten Falls
       erklären. [1][In der letzten Staffel war es Ken Jebsen], der den Weg vom
       experimentellen Radiomoderator hin zum Verbreiter von
       Verschwörungserzählungen ging – und viele Menschen mitnahm.
       
       In der neuen Staffel, einer Produktion von Studio Bummens und RTL+ Musik,
       geht es nun um den Drachenlord und die Macht von Youtube und Reality-TV.
       Mit „Big Brother“, die erste Staffel im Jahr 2000, zog Reality-TV in die
       Köpfe Deutschlands: Zlatko und Jürgen werden eingespielt, „Großer Bruder“,
       es ist lustig, klingt nach Party, wer will kann mitsingen – aber dann
       berichtet der Podcast von Manu. Die hatte einen Konflikt mit den Herzchen
       der Show, vor dem Container schreien Menschen: „Manu raus“. Das war damals
       die Stimmung in Gesellschaft und auch Medien. [2][In der taz wurde sogar
       eine Initiative gegen Manu gefordert]. Selbst nach der Show wird Manu
       weiter verfolgt, sie muss umziehen.
       
       Winkler gehört zur nächsten Generation Reality-TV: Youtube. „Broadcast
       yourself“ lautete der Slogan der Plattform bis 2010. 2012 kam Winkler
       diesem Ruf nach, startete als Drachenlord einen Kanal und zeigte sich von
       da an beim Headbangen, Broteschmieren, Gamen. Immer wieder spielt der
       Podcast Ausschnitte aus dieser Zeit ein, lässt abermals Freude bringen,
       aber auch Cringe. Wie konnte daraus eine Hetzjagd entstehen?
       
       ## Wie bei einem Vampir
       
       Gleich zu Beginn der Staffel findet Behroz ein treffendes Bild: Vampire
       könnten, so erklärt er den alten Mythos, nur ins Haus ihrer Opfer kommen,
       wenn diese die Wesen selbst über die Türschwelle bitten. Winklers Schwester
       bekommt einen Anruf, in dem ihr – so erzählt er es selbst – mit
       Vergewaltigung gedroht wird. Winkler fordert seine Hater auf, sie in Ruhe
       zu lassen, stattdessen zu ihm zu kommen. Dann nennt er seine Adresse. Das
       „Drachen-Game“, bei dem es darum geht, einem Menschen, so krass es geht, zu
       schaden, ist eröffnet.
       
       „Cui Bono“ zeigt gekonnt, wie die Szene der Hater eskaliert und die immer
       heftigeren Reaktionen Winklers. Doch auch wenn der Podcast selbst davon
       spricht, dass das Verhältnis „ambivalent“ sei: Täter*innen- und Opferrolle
       sind ganz klar. Und sie wird vom Podcast selber immer wieder gefestigt. So
       führt der Podcast eine der tragischsten Episoden des Drachen-Games wieder
       vor. Winkler macht einer Frau, die er erst seit wenigen Monaten kennt und
       nie analog gesehen hat, einen Heiratsantrag vor laufender Kamera. Sie lehnt
       nicht nur ab, sie beschimpft ihn, macht ihn lächerlich. Sie ist eine
       Haterin und sie wird flankiert von zwei feiernden Hatern. Tausende Menschen
       sahen das Video. Nun können wir diesen Angriff im Podcast immer und immer
       wieder hören.
       
       Bis heute sind bei der Staatsanwaltschaft, so der Podcast, über 150
       Ermittlungsverfahren in der Sache Drachenlord in Bearbeitung. Es geht um
       Beleidigung, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Körperverletzung. Winkler
       selbst wurde Anfang 2022 wegen Beleidigung und Körperverletzung zu einem
       Jahr auf Bewährung verurteilt – er hatte sich gewehrt. [3][Dem Spiegel]
       sagte Winkler kürzlich in seinem ersten ausführlichen Gespräch mit der
       Presse, dass er sich im Stich gelassen fühle von den Behörden.
       
       Auch wenn Winkler ein besonders krasser Fall ist, geht es vielen Opfern von
       sogenanntem Cybermobbing ähnlich. Es kann sogar in den Tod führen. [4][In
       Österreich suizidierte sich im Juli 2022 die Ärztin Lisa-Maria
       Kellermayr], die [5][Opfer einer digitalen wie analogen Hetzkampagne] durch
       Coronaleugner und -verharmloser geworden war. [6][Laut einer Studie] sind
       in Deutschland allein 1,8 Millionen Kinder und Jugendliche von Cybermobbing
       betroffen. Deswegen ist es wichtig, dass dieser Podcast produziert wurde,
       dass er spannend, mitreißend erzählt, auch wenn er Schmerzgrenzen
       überschreitet. Noch wichtiger wäre es, dass Staat und Zivilgesellschaft
       aktiver werden.
       
       17 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Sechsteiliger-Podcast-zu-Ken-Jebsen/!5774785
   DIR [2] /Aktion-Manu-muss-weg/!1243556/
   DIR [3] https://www.spiegel.de/netzwelt/drachenlord-der-youtuber-rainer-winkler-ueber-hass-im-internet-und-cybermobbing-a-dec12e41-5d43-456a-b910-37156854ea4a
   DIR [4] /Tod-der-Aerztin-Lisa-Maria-Kellermayr/!5867662
   DIR [5] /Hass-im-Netz/!5870039
   DIR [6] https://www.buendnis-gegen-cybermobbing.de/wp-content/uploads/2022/10/Cyberlife_Studie_2022_Pressemitteilung.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Johannes Drosdowski
       
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