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       # taz.de -- Polizeigewalt vor Gericht: Eklatantes Fehlverhalten
       
       > Im Amtsgericht Tiergarten wurde ein Fall von Polizeigewalt verhandelt.
       > Die Lehre aus dem Prozess: Es braucht eine unabhängige
       > Polizei-Ermittlungsstelle.
       
   IMG Bild: Da soll einen geholfen werden: Polizeiwache am Alexanderplatz
       
       Wenn Polizisten auf Hilfesuchende einprügeln, dann darf das nicht unter den
       Teppich gekehrt werden, sondern muss Konsequenzen haben. Ist also alles
       tadellos aufgeklärt worden im jüngsten [1][Gerichtsprozess zu Polizeigewalt
       in Berlin]? An dessen Ende verurteilte das Amtsgericht Tiergarten einen
       ehemaligen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt zu einer
       Bewährungsstrafe und [2][sprach seine drei Kollegen vom Vorwurf der
       Vertuschung frei].
       
       Von wegen. Das Verfahren gegen den gewalttätigen Ex-Beamten und seine
       vermeintlichen Gehilfen hat ein weiteres Mal Einblicke in [3][Untiefen der
       Polizeikultur] gewährt und das Versagen der Behörden bei der Aufklärung vor
       Augen geführt – wohl ohne, dass das weitere Folgen haben wird.
       
       Der Vorfall, um den es geht, liegt schon eine Weile zurück: In einer warmen
       Julinacht im Jahr 2021 klingelt der damals 21-jährige afghanische
       Geflüchtete Abdul M. an der [4][sogenannten Alex-Wache], einem
       Polizeihäuschen auf dem Alexanderplatz im Berliner Stadtzentrum. Er will
       den Verlust von Bargeld melden.
       
       Der Polizist Abdullah I. öffnet ihm die Tür, es kommt zum Streit mit dem
       offenbar betrunkenen M. Da schlägt I. unvermittelt zu. Der junge Mann geht
       zu Boden – und wirft etwas nach I. Weitere Polizisten kommen hinzu,
       fixieren M. Doch ihr Kollege schiebt sie beiseite und schlägt dem am Boden
       Liegenden mehrmals mit der Faust gegen den Kopf. M. wird kurz bewusstlos.
       
       Trotzdem geht die Schikane erst mal weiter. Die Polizisten fesseln ihn und
       zeigen ihn wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte an. Erst in
       den frühen Morgenstunden erstattet jemand dann Anzeige gegen Abdullah I.
       
       ## Die Falschen angeklagt
       
       Dann passiert erst mal lange gar nichts. Erst ein Jahr später sichten
       Ermittler das Videomaterial aus jener Nacht. Es dauert noch einmal
       eineinhalb Jahre zur Anklageerhebung und weitere 18 Monate bis zum Prozess.
       
       An dessen Ende muss die Staatsanwaltschaft alle Vorwürfe gegen die drei
       Mitangeklagten fallen lassen. Aber warum? Weil hier nichts vertuscht wurde?
       Nein. Wahrscheinlich hat die Behörde einfach die Falschen angeklagt.
       
       Denn der Beamte, der die Tat womöglich tatsächlich verschleiern wollte,
       tritt vor Gericht nur als Zeuge auf: Christian S., damals Leiter der
       Alex-Wache, war der Mann, der die erste Anzeige gegen Abdullah I.
       erstattete. Nur: Besonders viel Mühe gab er sich wohl nicht. Drei knappe
       Zeilen umfasste sie. S. berichtet darin von nur einem Schlag und benennt
       die Beamt*innen, die ihm den Vorfall meldeten, nicht als Zeug*innen.
       
       Doch damit nicht genug: Eine Sprachnachricht des Täters an einen Kollegen
       lässt S. in noch schlechterem Licht dastehen. Darin erzählt Abdullah I., er
       habe mit „Crille“ – also seinem Vorgesetzten Christian S. – über den
       Vorfall gesprochen. Der habe ihm mitgeteilt, dass er von Amts wegen Anzeige
       erstatten müsse, damit nicht der Verdacht aufkomme, dass jemand etwas unter
       den Teppich kehre. „Crille“ habe ihm aber versichert: „Da kommt eh nichts
       bei raus.“
       
       Christian S. hat also mutmaßlich versucht, seinen Kollegen zu decken – auf
       Kosten der anderen in jener Nacht Anwesenden, die zu einer anderen
       Dienstgruppe in der Polizei gehörten. Mit dem Freispruch für die drei nicht
       gewalttätigen Polizisten hat das Gericht demnach wohl nichts falsch
       gemacht. Der eigentliche Skandal hat sich woanders ereignet. Und so bleibt
       die Nachricht stehen, dass drei Polizisten zu Unrecht verfolgt wurden.
       Dabei sollte die Lehre aus dem Prozess eine andere sein: Es braucht endlich
       eine [5][unabhängige Polizei-Ermittlungsstelle]. Denn wenn die Polizei
       gegen sich selbst ermittelt, bleibt eklatantes Fehlverhalten oft folgenlos.
       
       20 Jul 2025
       
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