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       # taz.de -- Polnische Selbstbilder an der Schaubühne: Sein oder Polnischsein
       
       > Dorota Masłowska verkauft in Polen fast so viele Bücher wie Karol
       > Wojtyła. In „Wir kommen gut klar mit uns“ an der Berliner Schaubühne
       > klärt sie ironisch über polnische Selbstbilder auf.
       
   IMG Bild: Danuta Szaflarska (Großmutter) und Aleksandra Popławska (Kleines Metall-Mädchen) in „Wir kommen gut klar mit uns“
       
       Im Anfang war Polen, und alles gehörte zu Polen, und was nicht dazu
       gehörte, wurde gastfreundlich begrüßt. Man kann also davon ausgehen, dass
       nicht Gott, sondern der Papst die Schöpfung geregelt hat (der alte
       natürlich). Dann aber nahmen sie den Polen erst Amerika, Afrika, Asien und
       Australien weg, später auch England, Italien etc. und am Ende sogar
       Deutschland. Seitdem werden überall Fremdsprachen gesprochen, selbst im
       Vatikan. Nur in Polen spricht man polnisch, damit sich die Polen wie der
       letzte Dreck vorkommen. Und das funktioniert.
       
       Den Fall der polnischen Nation von Gottes Gnaden hinunter in eine jenseits
       der Worte liegenden Bedeutungslosigkeit beschreibt „das kleine
       Metall-Mädchen“ in Dorota Masłowska „Wie kommen gut klar mit uns“. Dabei
       ist diese Dekompositionsgeschichte so etwas wie die Phylogenese, die sich
       in der Ontogenese, also im Leben jedes einzelnen Polen, wiederholt. Die
       Erfahrung des Verlusts ist derart verinnerlicht, dass die Kommunikation im
       Alltäglichen wie im Utopischen ganz auf Auslassungen setzt. Ob die Mutter
       das Metall-Mädchen „Ab in dein fehlendes Zimmer!“ schickt oder davon
       schwärmt, „den Urlaub, den ich nicht haben werde, nach Nirgendwo zu fahren“
       – man hat sich im Mangel eingerichtet.
       
       Selbstmitleid jedenfalls wohnt hier nicht mehr. Schließlich hat die Sache,
       wenn man sie konsequent zu Ende denkt, durchaus Vorteile. „Ich verdanke
       meiner Nichtexistenz vieles“, strahlt der blonde Filmstar; „einerseits bin
       ich niemand, andererseits bin ich auch keine! Polin.“ Dorota Masłowska ist
       Polin und keinesfalls ein Niemand, was sich gut an ihrer faktischen
       Beziehung zum Katholizismus ablesen lässt: Der Debütroman der 1983
       geborenen Autorin, „Schneeweiß und Russenrot“, war 2002 in ihrer Heimat das
       bestverkaufte Buch nach dem des Papstes. Für ihren zweiten Roman „Die
       Reiherkönigin“ erhielt sie 2005 den bedeutendsten Literaturpreis des
       Landes. Wie auch ihr Theatererstling „Zwei arme polnisch sprechende
       Rumänen“ erzählen beide Bücher in drastischer, fluch- und
       klischeegesättigter Sprache von einer neuen Generation, die dem
       osteuropäischen Neokapitalismus vor allem mit Drogenkonsum begegnet.
       
       „Wir kommen gut klar mit uns“ hat Masłowska im Auftrag der Berliner
       Schaubühne geschrieben. Am Donnerstag wurde dort im Rahmen des aktuellen
       Festivals zu Identität und Geschichte,“digging deep and getting dirty“, die
       Uraufführung gezeigt; eine Produktion des TR Warszawa unter der Regie
       Grzegorz Jarzynas. Der 1968 geborene Jarzyna ist selbst eher der
       postkommunistischen Generation zuzuordnen, das Stück aber hat er auf sehr
       angenehme Weise ent-turboisiert. Das beginnt damit, dass die Bühne ein
       klarer, weitgehend leerer Raum ist, statt, wie in der Regieanweisung
       gefordert, ein komplett zugemülltes enges Zimmer. Requisiten tauchen nur
       spärlich auf oder werden mit einfachen Strichen in einem Cartoon-artigen
       Video gezeichnet. Die Fülle kommt aus der Sprache; aus Masłowska bisweilen
       arg kalauernden, anhaltend Klischee-reproduzierenden und dennoch atemlos
       Querverbindungen ziehenden, erfreulich gewitzten Dialogen.
       
       Statt Drogen ist der wiederkehrende Bezugspunkt dieser Wortkaskaden der
       Zweite Weltkrieg. Die Oma schwärmt von der Zeit davor, Mutter kann es nicht
       mehr hören und das Metall-Mädchen nicht fassen („Du warst doch nie in einem
       Konditionslager, Oma!“). Die Zeit seit dem Krieg ist eine – selbstredend
       widerliche – Soße: Der Sozialismus wird mit keinem Wort erwähnt, doch der
       real existierende Kapitalismus hört sich in der Beschreibung der jungen
       Autorin genauso an. Die Wohnungen sind zu eng, die Letscho gestreckt und
       das Leben nichts als schlechtbezahlte Arbeit. Mit Glück findet man im
       Altpapier ein Magazin vom Vorjahr und kann staunen, was man sich alles
       nicht hätte kaufen können.
       
       Über weite Strecken klingt das einfach nach Radio Eriwan. Und doch gelingt
       es der Inszenierung, das Publikum wie rückwärts den Treppenwitz der
       Geschichte hinauf in die Psyche einer ausgebrannten Nation zu führen. Seit
       der Bombardierung Warschaus stolpern die Polen anscheinend wie Zombies
       durch Europa. Masłowska beschreibt die Situation mit engagiertem Zynismus:
       Aus der aktuellen Stagnation helfe nur eine Ganzkörpertransplantation bis
       in die vierte Generation, inkl. Änderung des Geburtsorts. So träumen die
       Nachgeborenen davon, wegen der guten Biokartoffeln an die Weichsel gekommen
       zu sein und Polnisch bloß von den Sprachkassetten ihrer Putzfrau zu kennen.
       
       28 Mar 2009
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christiane Kühl
       
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