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       # taz.de -- Pop und Business: Nur noch Jubelgesang​
       
       > In seinem zehnten Jahr ist das Reeperbahn Festival zum Hotspot für
       > Kreativunternehmer geworden. Die Hamburger Musikszene bleibt auf der
       > Strecke​.
       
   IMG Bild: Hotspot für Kreativunternehmer am Spielbudenplatz.
       
       HAMBURG taz | Da haben sie sich Mühe gegeben, sich sprachlich ans
       verrucht-kreative Kiezflair anzupassen: „heiße Business-Tête-à-Têtes in
       unseren Lovemobilen“ versprachen die Macher der
       Unternehmensgründer-Casting-Show „startups@reeperbahn“ auf dem Reeperbahn
       Festival. Klingt als Einzelstimme schräg, fügt sich aber gut in den Chor,
       der rund ums nun zehn Jahre alt gewordene Clubfestival nur noch Jubelgesang
       anstimmt.
       
       Nebenan, im Schmidts Tivoli, trafen sich Trendforscher und „digitale
       Macher“ auf der Digitalwirtschaftskonferenz „Next“, die nun auch ans
       Reeperbahn Festival andockt: ein „Business-Treffpunkt mit
       Kreativ-Potenzial“ und eine „Plattform für kulturelle Leidenschaften“ sei
       das, trällert Sabine Richter aus dem Vorstand der veranstaltenden Faktor 3
       AG. Und auch „Next“-Gründer Matthias Schrader freut sich übers
       „fantastische, kreative Umfeld“. Hamburg werde so „endgültig zum Hotspot
       der Musik- und Digitalszene Europas“.
       
       ## Im Spannungsfeld
       
       Dass sich das Kreativbusiness nun aufs ja tatsächlich mit feinem Gespür für
       all die „Next Big Things“ ausgestattete Clubfestival stürzt, ist erklärtes
       Ziel des einmal als reines Musikevent konzipierten Formats
       „Reeperbahnfestival“. Fortan solle sich das Festival, sagt Detlef Schwarte,
       Chef der Musikwirtschafts-Plattform „Reeperbahn Festival Conference“, „noch
       stärker zu einem umfassenden Kreativ-Festival im Spannungsfeld zwischen
       Business-Innovation und Popkultur“ entwickeln.
       
       Den Bass zum Jubelgesang übers Tête-à-Tête von Business und Popkultur
       liefert eine nicht zufällig am Mittwoch im Vorfeld des Festivals
       veröffentlichte Studie zur Bedeutung der Musikwirtschaft: 2,3 Millionen
       Euro lassen Musikveranstaltungstouristen jedes Jahr in Hamburg.
       
       Kritische Stimmen à la „Not In Our Name, Marke Hamburg!“ – jene Kampnagne,
       die sich vor Jahren lautstark dagegen gewehrt hatte, als „kreative Klasse“
       vor den Stadtmarketing-Karren gespannt zu werden – werden vom einstimmigen
       Jubelgesang übertönt. Oder mit sanftem Schulterklopfen eingemeindet, wie
       Schorsch Kamerun vom Kulturbehörden-„Ideenfest“ rund ums angedachte
       Olympia-Kulturprogramm berichtet: Sein „Nein, ich will nicht einfach
       mitmachen“ wurde nur noch als auch ganz wichtige Stimme im Vielklang
       gehört.
       
       ## Ewig gestrige Nörgler
       
       Für Leute, die vorn mitspielen wollen, klingt die Warnung vor der
       Instrumentalisierung von Musik und Kunst für neoliberales „City Branding“
       nur noch wie das Krächzen ewig gestriger Nörgler. Doch wo
       Stadtmarketing-Löwen derart laut „Kreativität“ brüllen, wo
       Wirtschaftsbranchen als „Szenen“ stilisiert werden – und damit en passant
       der mal in „Gegen-“ oder zumindest „Subkulturen“ fundierte Begriff lustvoll
       entsorgt wird – wird das vermeintlich urwüchsige Kreativpotenzial, auf das
       sich solch ein Sprechen bezieht, auf die billigen Plätze verwiesen.
       
       Kultur, die mehr als nur Ornament für Imagekampagnen, sondern Teil einer
       Stadt sein will, die sich als Gemeinwesen versteht, muss mehr dürfen als
       nur die Krumen aufzusammeln, die vom Tisch fallen, an dem sich die
       Zugpferde satt gegessen haben. Sonst wird sie verhungern, und der
       Jubelgesang ganz schnell zum Requiem.
       
       26 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Robert Matthies
       
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