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       # taz.de -- Pro und Contra: Quadratur des Kreises
       
       > Handelt das IOC im Fall der vermutlich intersexuellen Boxerin Imane
       > Khelif aus Algerien korrekt?
       
   IMG Bild: Thomas Bach genießt seine bedeutende Rolle bei den Olympischen Spielen
       
       ## Ja,
       
       auch wenn es das [1][IOC] war, bei dem die Entscheidung, wer am Sport
       teilhaben darf und wer ausgeschlossen gehört, denkbar schlecht aufgehoben
       ist.
       
       Doch noch schlechter ist sie beim Weltboxverband [2][IBA] angesiedelt, der
       die Boxerin [3][Imane Khelif], die noch bei Olympia 2021 das Viertelfinale
       erreicht hatte, bei der WM 2023 kurz vor dem Finalkampf disqualifiziert
       hatte. „Durchgefallen“ sei sie beim „Geschlechtstest“, verkündete
       IBA-Präsident Umar Nasarowitsch Kremlew. Erst hieß es, sie habe
       XY-Chromosomen, dann erhöhte Testosteronwerte. Tatsächlich weiß die
       Öffentlichkeit über Khelifs Körper nichts. Dass aber Kremlew bei den
       rechtsradikalen Nachtwölfe-Rockern war und Vertrauter von Wladimir Putin
       ist, das weiß man sicher.
       
       Das Wissen, wo der Shitstorm herkommt, dem die 25-jährige Khelif, die aus
       einem Dorf in Algerien stammt, gerade ausgesetzt ist, hilft bei der
       Einordnung: Aufgegriffen wurde Kremlews Behauptung von Italiens
       Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, als Khelif eine italienische Boxerin
       besiegt hatte. Zu einem Projekt der politischen Rechten hat die Forderung,
       Frauen müssten sich einem Geschlechtstest unterziehen, Donald Trump
       gemacht. Dass es diese entwürdigenden Tests überhaupt gibt, verdanken wir
       Avery Brundage, dem früheren IOC-Präsidenten aus den USA. Der wollte Frauen
       im Sport nur, wenn sie grazil seien.
       
       Der Fall der Boxerin Imane Khelif reiht sich in diese von Ausschluss und
       Sexismus gekennzeichnete Linie ein. Dass sich das IOC noch verweigert, ist
       keinesfalls stabil. „Es bestand nie ein Zweifel daran, dass sie Frauen
       sind“, sagte IOC-Chef Thomas Bach über Khelif und eine andere angegriffene
       Boxerin. Als ob er und sein Komitee dafür zuständig sein dürften.
       
       Der Ausschluss von vor allem intersexuellen und trans Sportlerinnen hat
       eine Tradition. Bis Ende der 1980er-Jahre ging es vor allem gegen
       „sowjetische Mannweiber“, die als politisch manipulierte Hermaphroditen
       galten. Seit den 1990er-Jahren hat das Narrativ eine postkoloniale Wendung
       genommen: Läuferinnen wie [4][Caster Semenya] aus Südafrika oder Maria
       Mutola aus Mosambik werden nun als Männer beschimpft, die sich
       Frauenkleidung angezogen hätten.
       
       Dabei gilt: Der Fall eines männlichen Betrügers, der bei den Frauen siegen
       wollte, ist in der Sportgeschichte noch nie nachgewiesen worden. Nur
       behauptet wird es immer wieder gerne. Martin Krauss
       
       ## Nein,
       
       das IOC, Organisator des Boxturniers von Paris, hat einen neuen Skandal in
       den seit Jahrzehnten skandalträchtigen Boxsport hineingetragen. Der Skandal
       besteht nicht darin, dass die vermutlich intersexuelle Boxerin [5][Imane
       Khelif] in den Ring steigen darf, sondern unter welchen Umständen sie das
       tut. Das IOC simplifiziert das Komplizierte auf beachtliche Weise. Es wählt
       in dieser Causa einen himmelschreiend plumpen Lösungsansatz: Khelif genießt
       Startrecht im Frauenwettbewerb, weil ein Passeintrag sie als Frau ausweist.
       
       Das ist auf den ersten Blick richtig, auf den zweiten verdeutlicht es die
       Verantwortungsflucht des Komitees unter dem Vorsitz von [6][Thomas Bach].
       Khelif ist als Mädchen aufgewachsen, ihre geschlechtliche Identität ist
       unzweifelhaft, aber als intersexuelle Athletin genießt sie im
       Leistungssport einen Vorteil, den auch das sich plötzlich fortschrittlich
       gerierende IOC nicht vom Tisch wischen kann: Wenn stimmt, was kolportiert
       wird, steht sie seit ihrer Geburt unter dem Einfluss des männlichen Hormons
       Testosteron. Khelif verfügt, ähnlich wie [7][Caster Semenya], über einen
       stärkeren Körperbau, die Muskelmasse ist größer. Der Vorteil in
       Kampfsportarten ist evident und möglicherweise sogar gefährlich für
       unterlegene Kontrahentinnen.
       
       Um die Güter Chancengleichheit und Fairness im Frauensport zu
       berücksichtigen, hat man früher entwürdigende Geschlechtertests
       durchgeführt, heute wird in vielen Verbänden der Testosteronanteil im Blut
       gemessen; das ist keineswegs demütigend und diskriminierend, sondern
       entspricht dem Vorgehen bei einer Dopingkontrolle. Auf so eine Messung hat
       das IOC aber verzichtet, obwohl der unter Kuratel stehende Boxverband
       Auffälligkeiten festgestellt hat. Das IOC gewichtet seit einiger Zeit
       anders: Inklusion und Teilhabe seien wichtiger als ein chromosomaler oder
       hormoneller Status. Das Komitee richtet sich im Endeffekt nicht nach dem
       Karyotyp (XY oder XX), sondern nur nach dem Phänotyp, kurz nach der
       identitären Selbsteinschätzung der Sportlerin. Diese Sichtweise führte
       dazu, dass jede sich weiblich „lesende“ Sportlerin künftig bei Olympia in
       den Ring steigen könnte. Das wäre freilich genauso absurd wie die
       Unterminierung von sinnvollen Dopingtests. Jede intersexuelle Sportlerin
       könnte ihren ohnehin schon erhöhten Testosteronlevel mit Spritzen in die
       Höhe treiben. Es wäre das Ende des Frauensports, wie wir ihn kennen. Markus
       Völker
       
       4 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Völker
   DIR Martin Krauss
       
       ## TAGS
       
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