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       # taz.de -- Projektleiter über Antisemitismus: „Widerspruch braucht großen Mut“
       
       > Raimund Lazar von der Gedenkstätte Bergen-Belsen untersucht
       > Antisemitismus im Fußball. Sein Leitfaden soll kompetentes Intervenieren
       > ermöglichen.
       
   IMG Bild: Ein Banner ist schon mal ein Zeichen: hier bei einem Spiel des Halleschen FC gegen den SV Meppen
       
       taz: Herr Lazar, Ihr Leitfaden „Zum Vorgehen gegen Antisemitismus im
       Fußball“ wendet sich gegen Diffamierungen in Fankurve und Vereinshaus.
       [1][Ist Antisemitismus gerade im Fußball ein Problem?]
       
       Raimund Lazar: Antisemitismus lässt sich überall in der Gesellschaft
       beobachten. Aber Fußball ist in Deutschland sehr populär, und wenn sie ins
       Stadion gehen, legen die Menschen ihre Vorurteile, ihre politischen
       Einstellungen nicht ab. Antisemitismus und andere Abwertungen der Gegner
       werden unter anderem durch die „Wir gegen die Anderen“-Dynamik im Fußball
       befördert.
       
       Der Profifußball ist, was den Antisemitismus angeht, weniger betroffen als
       der Amateurfußball, heißt es ja oft. Aber stimmt das überhaupt? 
       
       Der offensichtliche Antisemitismus, das Absingen von Liedern, das Zeigen
       von Bannern, der tätliche Übergriff, hat sich in den letzten Jahren ein
       wenig in die unteren Ligen verschoben. Das heißt aber nicht, dass er im
       Profibereich verschwunden ist. Die Fans stehen hier ja viel stärker unter
       Beobachtung. Zudem wird viel sozialpädagogische Arbeit geleistet.
       
       Ihr Leitfaden ist vom Niedersächsischen Justizministerium gefördert worden.
       Beziehen sich Ihre Untersuchungen nur auf Niedersachsen? 
       
       Nein, sie zielt auf bundesweite Wirkung. Sie hat als Forschungsprojekt
       begonnen, 2020. Von Mitte bis Ende 2021 haben wir dann erste
       Bildungsangebote erprobt. Niedersachsen war unser Ausgangspunkt: Wie lässt
       sich das Problem hier im Land identifizieren, welche Präventionsmaßnahmen
       gibt es?
       
       Was war die Kernerkenntnis, über dieses Exemplarische hinaus? 
       
       Dass antisemitische Vorfälle noch gar nicht so lange erhoben werden. Ein
       Beispiel: Bei einer diskriminierenden Beleidigung ist oft nicht
       unterschieden worden, ob sie antisemitisch ist. Erst seit 2020 wird das
       systematisch erfasst und bearbeitet. Gleichzeitig gibt es aber Fans,
       Fanprojekte und Vereine, die sich gegen Antisemitismus und Diskriminierung
       im Fußball engagieren.
       
       Hannover 96 betont, der Verein spreche sich gegen Diskriminierung und
       Ausgrenzung aus, gegen fremdenfeindliche, rassistische, homophobe,
       gewaltverherrlichende, antisemitische Anschauungen und Verhaltensweisen.
       Wer so was sagt, zeigt, dass es Probleme gibt, oder? 
       
       Nicht unbedingt. Es zeigt vor allem, dass Vereine ein Problembewusstsein
       besitzen. Allein das setzt schon ein Zeichen, proaktiv: Das sind die Werte,
       für die wir einstehen! Das ist wichtig und muss gar nicht an konkrete
       Vorfälle im näheren Umfeld gekoppelt sein, auch wenn es in Hannover in der
       Vergangenheit Vorfälle gegeben hat
       
       Vor Jahren bekam der TuS Makkabi Berlin, ein jüdisch-deutscher
       Amateurverein, zu hören: „Wir bauen eine U-Bahn nach Auschwitz!“ Wie äußert
       sich Antisemitismus im Fußball heute? 
       
       Das sind die plumpen Erscheinungsformen, die wahrscheinlich viele schon
       gehört haben. Aber es gibt auch Subtileres. Einseitige Kritik am Staat
       Israel zum Beispiel. Oder antisemitische Kapitalismuskritik.
       
       Wenn dann geschwiegen wird: Passiert das, weil man selbst nicht zur
       Zielscheibe werden will? Oder aus falsch verstandener Loyalität mit dem
       Verein? 
       
       Nehmen wir an, ich bin im Stadion, und dann beginnt die Fanszene, zu der
       ich gehöre, sich antisemitisch zu äußern. Da braucht es schon großen Mut zu
       widersprechen. Es gibt aber auch viel Ignoranz: Ist doch gar nicht so
       gemeint, heißt es dann, gehört eben zum Fußball dazu.
       
       Sie haben „historisch-politische Bildungsangebote“ zur Prävention
       entwickelt. Wie sehen die aus? 
       
       Unser Ziel ist, für jegliche Form von Antisemitismus im Fußball zu
       sensibilisieren. Einerseits geht es dabei um Historisches, um die
       Verbindung zum Nationalsozialismus. Andererseits nehmen wir aktuelle
       Phänomene in den Blick.
       
       Ihr Leitfaden regt Schulungen für Verbände und Vereine an, von der
       TrainerIn bis zur SchiedsrichterIn. Was sollen die lernen? 
       
       Was Antisemitismus überhaupt ist, wie er sich äußert. Und: kompetent zu
       intervenieren.
       
       In Ihrer Gedenkstätte lässt sich sehr eindrücklich nachvollziehen, zu was
       Antisemitismus führen kann. Welche Vereine aus dem Norden waren schon bei
       Ihnen? 
       
       Wir haben mit einer kleinen Handvoll angefangen, Bildungsangebote zu
       entwickeln, etwa dem VfL Wolfsburg und einem Jugendteam der
       Per-Mertesacker-Stiftung. Das wird jetzt fortgeführt. Es gilt, die
       demokratischen Kräfte im Sport zu stärken.
       
       Das geht also über den Fußball hinaus? 
       
       Das öffnet sich für jegliche Art von Sport. Aber der Fußball bleibt sicher
       unser Kerngebiet.
       
       7 Jan 2022
       
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   DIR Harff-Peter Schönherr
       
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