URI: 
       # taz.de -- Protest gegen Flughafen-Eröffnung: „Welche Flüge brauchen wir?“
       
       > Lena Tucnak vom Bündnis „Am Boden bleiben“ will die BER-Eröffnung stören.
       > Sie fordert eine Debatte darüber, welche Flüge in der Klimakrise zu
       > verantworten sind.
       
   IMG Bild: Protest gegen den Flughafen hat in Berlin eine lange Tradition: Hier ein Bild von 2013
       
       taz: Frau Tucnak, vor mehr als einem Jahr hat Ihre Initiative „Am Boden
       bleiben“ ein Bekennervideo zur Sabotage der BER-Baustelle veröffentlicht.
       Jetzt wird der Flughafen dennoch eröffnet. Waren Sie doch nicht so
       erfolgreich, wie Sie suggerieren wollten? 
       
       Lena Tucnak: Immerhin haben wir es geschafft, den Flughafenbau um neun
       Jahre zu verzögern … Aber es stimmt: Komplett erfolgreich waren wir nicht.
       
       Nun wollen Sie die Eröffnung des neuen Flughafens blockieren. Ist es für
       diesen Protest nicht schon zu spät? 
       
       Es ist der Moment, in dem viele Augen auf die Themen Flugverkehr, Flughäfen
       und speziell auf den BER gerichtet sind. Unsere Aktion soll einen lange
       nicht geführten, aber total notwendigen Diskurs anstoßen: Welche Flüge
       brauchen wir und welche sollte es nicht mehr geben? Der BER ist darauf
       angelegt, dass der Flugverkehr weiter wachsen soll. Das kann in Zeiten der
       Klimakrise nicht sein. Da hilft es auch nicht, dass Tegel im Gegenzug
       geschlossen wird.
       
       Sind Sie dafür, fliegen zu verbieten? 
       
       Inlands- und Kurzstreckenflügen auf jeden Fall, da kann man auch die Bahn
       nehmen. Fast zwei Drittel der Inlandsflüge entfallen auf Geschäftsreisen.
       Es profitieren also vor allem Konzerne, dass es diese Flüge gibt und dass
       sie aufgrund von Steuersubventionen so billig sind. Während die Mehrheit
       der deutschen Bevölkerung selten bis gar nicht fliegt, steigen 7 Prozent
       zehnmal oder häufiger pro Jahr ins Flugzeug – auf Kosten vieler anderer.
       Das ist die Spitze der Klima-Ungerechtigkeit.
       
       Und was ist mit längeren Strecken? 
       
       Auch darüber müssen wir reden, denn diese Flüge haben den größten Anteil an
       den Emissionen. Wir müssen darüber reden, was Bullshit-Flüge und was
       notwendige Flüge sind. Es ist ein Unterschied, ob ich meine Familie auf
       einem anderen Kontinent besuche oder zum Klettern nach Thailand fliege.
       Momentan fliegt eine globale Minderheit auf Kosten der mehr als 80 Prozent
       der Weltbevölkerung, die noch nie geflogen ist, um den Globus. Deshalb
       brauchen wir strukturelle Änderungen auf gesetzlicher Ebene, vor allem die
       Besteuerung von Kerosin und eine Vielfliegerabgabe, bei der jeder
       zusätzliche Flug in einem bestimmten Zeitraum teurer wird.
       
       Wie soll die Blockade ablaufen? 
       
       Geplant ist, in einer Aktion des zivilen Ungehorsams mit Hunderten
       Pinguinen die Eröffnung des BER an relevanten Orten zu blockieren – denn
       die coolsten Vögel bleiben am Boden. Das große Tamtam, wenn die ersten
       Flieger landen, werden wir deutlich stören, sodass der Betrieb nicht normal
       stattfinden kann. Weil an dem Tag keine Flugzeuge abheben, wird die Aktion
       auch nicht auf Kosten einzelner Fluggäste gehen. Unsere Botschaft ist es
       nicht, Leute persönlich verantwortlich zu machen, sondern das System zu
       kritisieren, das den Flugverkehr systematisch bevorteilt. Wenn es legal
       ist, die Klimakrise durch unnötigen Flugverkehr zu befeuern, ist es mehr
       als legitim, dass wir blockieren.
       
       Bei der Tegel-Blockade vergangenen November hat ein Großeinsatz der Polizei
       inklusive einer Zufahrtssperre die Abläufe am Flughafen wohl am
       effektivsten gestört. Ist die Polizei auch diesmal Ihr Partner? 
       
       Für den damaligen Einsatz bedanken wir uns auch heute noch. Was die Polizei
       dieses Mal macht, wird sich herausstellen. Wenn sie selbst großflächig
       absperrt, wird es keine Besucher*innen und keine richtige Eröffnung geben.
       Also entweder die Polizei blockiert das komplette Areal und stört die
       Eröffnung. Oder wir machen das.
       
       Vor einem Jahr hat Ihre Gruppe mit etwa 50 Menschen in der Abflughalle in
       Tegel gesessen. Ist diesmal mit mehr Teilnehmer*innen zu rechen? 
       
       Damals sind viele nicht reingekommen. Dieses Jahr werden es noch viel mehr
       Menschen versuchen, es wird deutlich breiter mobilisiert. Wir rechnen mit
       mehreren Hundert Personen, rufen aber auch dazu auf, bei
       Krankheitssymptomen zu Hause zu bleiben. Wir planen einen
       verantwortungsvollen Protest.
       
       Wer steht hinter „Am Boden bleiben“? 
       
       Unsere Gruppe existiert seit 2018, weil bis dato das Problem des
       Flugverkehrs quasi nicht thematisiert wurde, weder von der
       Klimagerechtigkeitsbewegung noch von der Zivilgesellschaft, Parteien oder
       NGOs. Deswegen gibt es uns. Wir sind Teil des globalen Netzwerks Stay
       Grounded, dem mittlerweile mehr als 160 Mitgliederorganisationen weltweit
       angehören, die gemeinsam für eine klimagerechte Reduktion von Flugverkehr
       einstehen. Dabei sind viele NGOs, kritische Gewerkschaften bis hin zu
       indigenen Gemeinden im Globalen Süden.
       
       Wieso hat das Thema so lange keine Rolle gespielt? 
       
       Einerseits weil die Industrie es sehr gut geschafft hat zu behaupten, dass
       der Flugverkehr für die Emissionen nicht relevant ist. Entgegen der
       kursierenden Zahl, Fliegen sei nur für 2 Prozent des Ausstoßes
       klimaerhitzender Treibhausgase verantwortlich, sind es tatsächlich etwa 6
       Prozent, denn die Nicht-CO2-Effekte müssen eingerechnet werden. Man kann
       zwei Jahre vegan leben, aber nach einem Flug ist jeder positive Klimaeffekt
       dahin. Wenn es die Hoffnung gab, dass Flugverkehr nicht so schlimm ist, hat
       sich das nicht bestätigt. Der zweite Grund ist, dass Menschen, die
       eigentlich ein ökologisches Bewusstsein haben, besonders viel fliegen. Im
       Parteienvergleich fliegen Grünen-Wähler*innen am häufigsten, weil sie am
       meisten Geld zur Verfügung haben. Das ist natürlich ein unangenehmes Thema,
       weil die Auseinandersetzung damit die persönliche Lebensweise infrage
       stellt.
       
       Was soll mit dem BER geschehen, wenn er nicht mehr für den Flugverkehr
       genutzt werden soll? 
       
       Das Gelände bietet sich hervorragend für ein Museum des fossilen
       Kapitalismus und der veralteten Mobilität an. Es bietet Flächen für
       Freizeit- und Nachbarschaftszentren, Gärten und Landwirtschaft. So wie das
       Tempelhofer Feld, nur größer.
       
       29 Oct 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erik Peter
       
       ## TAGS
       
   DIR Flughafeneröffnung
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR klimataz
   DIR Flughafen Berlin-Brandenburg (BER)
   DIR Schwerpunkt Klimaproteste
   DIR Kolumne Postprolet
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Flughafen Berlin-Brandenburg (BER)
   DIR Berlin
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Soziale Fragen und grüne Klimapolitik: Das ist also richtiger Urlaub
       
       Wer kann es sich leisten, mit teuren Zugreisen die Welt zu retten? Und sich
       dabei moralisch über Mallorca-Pauschalurlauber zu erheben?
       
   DIR Klimagerechtigkeit beim Flugverkehr: Die Verschmutzer*innen-Elite
       
       Vielfliegen ist besonders klimaschädlich. Eine neue Studie zeigt, dass
       wenige Reiche für einen Großteil des globalen Flugverkehrs verantwortlich
       sind.
       
   DIR Berechnung von Greenpeace: Subventionen sauberer machen
       
       Eine Umschichtung der Staatshilfen würde laut einer Greenpeace-Rechnung
       nicht nur dem Haushalt gut tun – sondern auch dem Klima.
       
   DIR Berlins neuer Flughafen BER: Ist doch schön geworden
       
       Ein Raum der Stille, eine Ausstellung über die Pannengeschichte des BER –
       ein letzter Rundgang vor der Eröffnung des neues Flughafens.
       
   DIR Flughafen BER eröffnet: Das Auge fliegt nicht mit
       
       Der neue Flughafen Berlin-Brandenburg ist doch noch fertig geworden. Ein
       ästhetisches Surplus findet man dort allerdings nirgends.