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       # taz.de -- Protest gegen Uploadfilter: 160.000 Bots auf deutschen Straßen
       
       > In rund 20 EU-Ländern haben Menschen für ein modernes Urheber*innenrecht
       > und gegen die geplante Reform der EU demonstriert.
       
   IMG Bild: Gegen die EU-Urheberrechtsreform: eine Demo am Samstag in Stuttgart
       
       Köln taz | „Wir wollen keinen: Artikel 13!“, skandiert die Demo im Tunnel.
       Tausende Menschen stehen und schreien. Die Wände vibrieren. „Das geht noch
       lauter!“, ruft ein Organisator vom Wagen – und tatsächlich. Die
       Schaulustigen, die sich oberhalb des Tunnels auf der Brücke drängen,
       dürften das Wackeln unter ihren Füßen spüren. „Was auch immer ihr tut:
       Bitte lasst den Tunnel stehen“, hatte ein Polizist zuvor gebeten. Die
       Stimmung ist entspannt auf der Kölner Demo für ein zeitgemäßes
       Urheber*innenrecht im Netz.
       
       Es ist der 23. März: Der letzte Samstag vor der [1][Abstimmung des
       EU-Parlaments über eine geplante Internet-Reform], gegen die Menschen seit
       Mitte Februar fast wöchentlich auf die Straße gehen. Für den Höhepunkt des
       Protests sind an diesem Tag in rund 20 EU-Ländern Demos geplant, die
       meisten in Deutschland, wo in über 40 Städten insgesamt über 160.000
       Menschen demonstrieren.
       
       Die Schätzung beruht auf den jeweils niedrigsten Angaben der Zahl der
       Teilnehmer*innen. Nimmt man die höheren, kommt man auf rund 200.000. Allein
       in München kamen bis zu 50.000 Menschen, in Berlin bis 40.000, in Stuttgart
       bis 18.000, in Köln 15.000 laut Veranstaltern und Polizei. An den meisten
       Orten war man vierstellig, andernorts kamen ein paar Hundert, in Siegen
       kamen 60: Es läppert sich.
       
       Was die Menschen auf den Demos fordern, ist ein modernes
       Urheber*innenrecht. Das wollte die EU laut Ankündigung mit der
       Internet-Reform eigentlich umsetzen. Aber herausgekommen ist eine
       Neuregelung des Verwertungsrechts: Die Position von Verlagen,
       Verwertungsgesellschaften, Musiklabels wird gestärkt, gegenüber großen wie
       kleinen Plattformen und gegenüber den Urheber*innen. Webseiten sollen für
       Verlinkungen eine Gebühr an Verlage zahlen. Urheber*innen sollen Geld, das
       sie aktuell aus ihrer Arbeit erhalten, künftig an Verlage abtreten. Die
       entsprechende deutsche Regelung war erst [2][2016 vom Bundesgerichtshof
       gekippt worden]. Unterstützt wird die Reform unter anderem von
       Verwerter-Lobbyverbänden und den Verwertern selbst: So setzen sich unter
       anderem die GEMA, die Frankfurter Allgemeine Zeitung und die
       Nachrichtenagentur dpa für die Reform ein.
       
       ## Bunte Protestmischung
       
       Auf Demonstrationen gegen die Reform hingegen, treffen Welten aufeinander:
       Wer hätte gedacht, dass der Deutsche Bibliotheksverband und die
       Pornoplattform Pornhub einmal für dieselbe Sache kämpfen würden? Junge
       Youtuber*innen und Blogger*innen mobilisieren gemeinsam mit
       alteingesessenen Netzaktivist*innen, unterstützt von Organisationen wie
       Freischreiber und dem Chaos Computer Club, Wikipedia und zahlreichen
       größeren und kleineren Internetforen.
       
       Der Protest richtet sich gegen die Linksteuer, die Verlagsabgabe, aber vor
       allem gegen die Uploadfilter, die im Text nicht wörtlich vorkommen, aber
       impliziert sind. Aktuell haftet, wer hochlädt: Laut Reform sollen künftig
       auch Plattformen haften, sofern sie Verletzungen von Urheber*innenrechten
       nicht verhindern. Das ginge nur mit Filtern.
       
       Doch das mache das Teilen im Netz zur Geldsache, so der Vorwurf. Selbst bei
       erlaubten Inhalten wie Parodien würden Filter greifen, weil sie aktuell
       Ironie noch nicht erkennen können. Es brauche separate Lizenzvereinbarungen
       und die könnten nicht alle Nutzer*innen abschließen. Somit hätten vor allem
       Verlage, Labels und große Youtuber*innen die Mittel, ihre Inhalte auch
       weiterhin zu verbreiten. Zudem ist die Entwicklung der Filter so teuer,
       dass es sich nur große Konzerne leisten können. 100 Millionen Dollar soll
       das Content-ID-System von Youtube bislang gekostet haben. Alle anderen
       Plattformen müssten also Uploadfilter von Google oder Facebook mieten – die
       dann ihrerseits Unmengen Daten sammeln könnten, an die sie ohne die Reform
       nicht herangekommen wären. So warnt unter anderem der
       Bundesdatenschutzbeauftragte.
       
       ## Abmahnungen von staatlichen Stellen
       
       Auch eine Stärkung der staatlichen Kontrolle befürchten die
       Demonstrierenden. In Deutschland berufen sich Behörden schon heute auf
       Urheber*innenrecht, um unliebsame Veröffentlichungen abzustrafen oder zu
       verhindern. Gerade erst hat die Bundesregierung [3][die Plattform „Frag den
       Staat“ abgemahnt]. Die hatte ein behördliches Gutachten zu Krebsrisiken von
       Glyphosat veröffentlicht, mit dem Ergebnis: „wahrscheinlich krebserregend
       für den Menschen“.
       
       Frag den Staat habe das Urheberrecht des Landwirtschaftsministeriums an dem
       mit Steuern finanzierten Dokument verletzt, so das Schreiben. Gegen die
       Abmahnung zieht Frag den Staat nun vor Gericht. Die Information ist
       öffentlich. Mit Uploadfilter allerdings, so die Kritiker*innen der
       EU-Reform, hätte die Plattform das Papier gar nicht hochladen können.
       
       Ob und wie die Reform kommt, ist offen: Diese Woche könnte das EU-Parlament
       sie unverändert annehmen, oder komplett ablehnen. Möglich ist auch, dass
       das Parlament die Reform mit Änderungen beschließt, beispielsweise eine
       Fassung ohne den Artikel, der Uploadfilter impliziert, aber mit Linkgebühr
       der Plattformen und Verlagsabgabe der Urheber*innen. Die Demonstrierenden
       fordern, die Reform abzulehnen und komplett neu zu entwerfen, unter
       Einbezug von Fachkompetenz.
       
       Ob das Parlament sie erhört, darüber ist man uneinig. „Ob sich das so
       niederschlägt, da bin ich mir sehr unsicher“, sagt der 65-jährige Thomas,
       der in Köln mitläuft. „Aber man muss es versuchen, sonst klappt es sicher
       nicht.“ Die 15-jährige Sonja ist wie viele ihrer Altersgruppe
       optimistischer: „Die Demos heute haben ein riesiges Ausmaß angenommen. Das
       kann man nicht ignorieren. Ich denke, es wird ernstgenommen werden.“ Wie es
       ausgeht, wird die kommende Woche zeigen.
       
       24 Mar 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /EU-Urheberrechtsreform-und-Protest/!5582369
   DIR [2] /Urteil-zur-VG-Wort-Ausschuettung/!5298006
   DIR [3] https://fragdenstaat.de/blog/2019/03/20/zensurheberrecht-bundesregierung-schickt-uns-abmahnung-wir-wehren-uns/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anett Selle
       
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