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       # taz.de -- Protest in Belarus geht weiter: Keine Angst vor dem Wasserwerfer
       
       > Die Methoden der belarussischen Sicherheitskräfte machen den
       > Demonstranten keine Angst. Sie nutzen vermehrt dezentrale Aktionen.
       
   IMG Bild: Auf der sonntäglichen Großdemonstration in Minsk gegen Machthaber Alexander Lukaschenko
       
       Kiew taz | Auch diese Woche waren [1][Zigtausende in Belarus auf den
       Straßen], um gegen Diktator Alexander Lukaschenko zu demonstrieren.
       Inzwischen geht die Polizei auch mit Wasserwerfern gegen die
       Demonstrierenden vor. Mit ihrem martialischen Auftreten kann sie die
       Menschen aber nicht mehr vom Demonstrieren abhalten.
       
       „Ich bin seit dem 9. August jeden Sonntag in der Innenstadt, um gegen
       Lukaschenko zu protestieren“, berichtet die Minsker Radioingenieurin Alla
       Kondratjewa, die auch diesen Sonntag die Demonstration begleitet hat,
       telefonisch der taz. „Nur das vorletzte Mal war ich nicht dabei. Und wissen
       Sie, was sich geändert hat: die Polizei setzt jetzt auch Wasserwerfer ein.“
       Doch was sie am meisten wundere: „Damit können die niemanden mehr
       beeindrucken.“
       
       Den ganzen Tag liege sie mit Zahnschmerzen im Bett, doch sie habe laut
       gelacht, als sie von einem Bekannten gehört hatte, wie ein paar Jungs einen
       Wasserwerfer der Polizei unschädlich gemacht hatten. „Die haben sich
       einfach von der Seite an den Wasserwerfer herangeschlichen, einer von ihnen
       hat eine 60 mal 60 Zentimeter große Luke des Wasserwerfers geöffnet.“ Und
       danach sei alles in Sekundenschnelle gegangen.
       
       Mit ein paar gezielten Handgriffen habe dieser Demonstrant den Wasserwerfer
       unschädlich gemacht und die orange Farbe, die dem Wasser zur anschließenden
       Erkennung der Demonstranten beigemischt wird, aus dem Wasserwerferwagen
       geholt. Wie Kinderspielzeug habe der Wasserwerfer auf einmal gewirkt. „Dass
       wir über so etwas lachen, zeigt doch, dass wir unsere Angst verloren
       haben“, sagt Kondratiewa mit einem Lächeln, und vergisst erneut ihre
       Zahnschmerzen.
       
       ## Zentrale und dezentrale Aktionen
       
       Bis zuletzt sei die Demoroute am Sonntag geheim gehalten worden. „Und dann
       standen Demonstrierende vor dem Minsker Gefängnis Okrestina, wo jüngst
       viele unserer Leute misshandelt worden sind, haben die Gefängnistore mit
       Flugblättern beklebt, und lauthals den Rücktritt des Innenministers
       gefordert.“ Trotzdem würden die Demonstranten auf Gewalt verzichten – aber
       beharrlich seien sie in Belarus, „so lange, bis er weg ist.“
       
       Während seit Wochen jeden Sonntag Tausende zur zentralen Demonstration
       erscheinen, finden unter der Woche dezentrale Aktionen statt. Unerwartet
       schnell zeigten sich zuletzt in allen Minsker Stadtteilen Menschen zu
       vorher vereinbarten Zeiten mit Fahnen und Transparenten. Sie erscheinen
       überraschend an belebten Orten und tauchen dann schnell wieder ab. Die
       Polizei habe kaum Chancen, diesen Protest in den Griff zu bekommen, so
       Kondratjewa.
       
       Mehrere hundert ältere Frauen waren Anfang der Woche in einem „Marsch der
       RentnerInnen“ durch Minsk gezogen. Am gleichen Tag hatten Studierende am
       Fremdspracheninstitut mit einem Sitzstreik auf dem Unigelände ihren Unmut
       über Lukaschenko geäußert.
       
       ## Journalist in Haft trotz Coronainfektion
       
       Ebenfalls am Montag begannen die ersten Prozesse gegen 250 Personen, die
       bei den landesweiten Sonntagsdemonstrationen in Minsk, Schodino, Bobruisk,
       Mogilew, Brest und Hrodno festgenommen worden sind. Die Internetseite der
       Menschenrechtsorganisation „Wjasna“ listet 170 Personen namentlich auf, die
       wegen ihrer Teilnahme an diesen Demonstrationen verurteilt wurden.
       
       Ein Drittel der aufgeführten Personen erhielt Arreststrafen von bis zu 15
       Tagen, die anderen Geldstrafen. Unterdessen versucht das belarussische
       Informationsministerium, [2][das Internetportal tut.by mundtot zu machen].
       Dem Portal solle der Status eines Presseerzeugnisses entzogen werden,
       berichtet tut.by auf seiner Seite.
       
       Der Anwalt des Journalisten Vitalij Schkljarow von der Moskauer Zeitung
       Nowaja Gaseta, Anton Gaschinskij, fürchtet unterdessen um das Leben seines
       inhaftierten Mandanten. Der aus Gomel stammende Schkljarow, der im
       niedersächsischen Vechta Politikwissenschaften studiert hatte, in seiner
       Zeit in den USA auch für Bernie Sanders Wahlkampf gemacht hatte, und die
       russische Staatsbürgerschaft besitzt, ist seit dem 29. Juli diesen Jahres
       in weißrussischer Haft.
       
       Die Behörden werfen ihm vor, „Handlungen von Gruppen organisiert zu haben,
       die auf die Störung der öffentlichen Ordnung abzielten“. Die
       Haftbedingungen für den in der Haft am Coronavirus erkrankten Journalisten
       glichen einer Folter, so der Anwalt. Schkljarow habe in der Haft „nicht
       eine einzige Tablette erhalten“, berichtet die Nowaja Gaseta. Demnach leide
       Schkljarow derzeit an einem Post-Coronavirussyndrom. Er klage über
       Schmerzen im Brustbereich, Schlaflosigkeit und Arhythmie des Herzens.
       
       6 Oct 2020
       
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