# taz.de -- Proteste in Bulgarien: Große Heuchelei
> Seit Wochen protestieren Menschen in Bulgarien gegen die Regierung. Diese
> geht brutal dagegen vor. Druck aus Brüssel vermisst man.
IMG Bild: „Rücktritt“ ruft der Demonstrant bei einer regierungskritischen Demonstration in Sofia am Donnerstag
Das Beispiel Belarus macht jetzt auch in der EU Schule. [1][Seit fast 60
Tagen] sieht sich Bulgariens Premier Bojko Borissow mit Protesten
konfrontiert. Die Menschen wettern gegen die Mafia, [2][sie fordern
Borissows Rücktritt] und den des Generalstaatsanwaltes gleich mit. Für den
grobschlächtigen Regierungschef, der sonst so gerne auf überzeugten
Europäer macht, sind allein solche Unmutsbekundungen schon eine Zumutung.
Am vergangenen Mittwoch lief die Situation vollends aus dem Ruder.
Polizeikräfte prügelten auf Demonstrant*innen ein, Journalist*innen
wurden dabei bevorzugt „behandelt“. 126 Personen fanden sich in
Polizeigewahrsam wieder. Ja, Sie haben richtig gelesen. Diese Szenen
spielten sich nicht in Minsk, sondern im Zentrum der bulgarischen
Hauptstadt Sofia ab.
Kurz darauf sagte eine Abgeordnete der Regierungspartei Gerb, ein Rücktritt
komme nach diesen Exzessen nicht infrage. Denn dann könnte künftig ja jede
Regierung von „kriminellen Kontingenten“ zu Fall gebracht werden.
Anfangs hatte Borissow noch geglaubt, er könne die Situation aussitzen.
Einige Minister*innen mussten dran glauben, doch die Demonstrationen gingen
weiter. Dann brachte Borissow [3][eine Verfassungsänderung ins Spiel], die
er seinem Volk als „demokratischen Neustart“ verkaufen wollte.
## Taktisches Vorgehen
Doch das Projekt meißelt nur das in Stein, was in Bulgarien leider Alltag
ist: Die Mächtigen füllen sich schamlos mit Geldern aus Brüssel ihre
Taschen – freundlich assistiert von einer Justiz, deren Unabhängigkeit nur
auf dem Papier steht. Damit das auch weiter so reibungslos funktioniert,
soll der Generalstaatsanwalt laut neuer Verfassung noch mehr Macht
erhalten. Wie ernst diese Dinge verhandelt werden, zeigte eine Einlassung
des Oppositionsabgeordneten Weselin Mareschki. Er habe den
Verfassungsentwurf nicht gelesen und werde das auch nicht tun. Aber er habe
dafür unterschrieben, das sei doch nicht so wichtig. Noch Fragen?
Die sind für viele Bulgar*innen in einigen Punkten längst beantwortet, denn
Borissows Spielchen ist zu durchsichtig: Zeit gewinnen – möglichst bis März
kommenden Jahres, wenn eine Parlamentswahl ansteht.
Wegen Polizeigewalt in Belarus verhänge die EU Sanktionen, im Falle
Bulgariens nicht. Heuchelei und Doppelmoral, schreibt ein User auf dem
Nachrichtenportal Mediapool.bg. Recht hat er. Aber: Sanktionen gegen
Borissow? Ausladung vom nächsten Brüsseler Gipfel? Irgendwie eine lustige
Vorstellung!
4 Sep 2020
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## AUTOREN
DIR Barbara Oertel
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