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       # taz.de -- Proteste in Frankreich: Jetzt wird alles blockiert
       
       > In Frankreich weiten sich die Proteste gegen die Rentenreform noch weiter
       > aus. Die Regierung ist von der Einheit der Gewerkschaften überrascht.
       
   IMG Bild: „Gefangene der Arbeit“: Protest gegen Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 64, Paris 7. März
       
       PARIS taz | Nach einem [1][Aktionstag mit einer Rekordbeteiligung] in 320
       Städten des Landes, Streiks in zusätzlichen Wirtschaftszweigen und
       öffentlichen Diensten, Straßensperren und anderen neuen Aktionsformen geht
       der Widerstand gegen die [2][Rentenreform] in Frankreich weiter. Laut
       Organisator*innen waren am Dienstag mehr als drei Millionen Menschen
       auf die Straße gegangen, die Polizei sprach von 1,25 Millionen
       Teilnehmer*innen.
       
       Auch am Tag der Frauenrechte am 8. März war die Ablehnung einer Reform, die
       als besonders frauenfeindlich kritisiert wird, ein zentrales Thema. Und
       seit Längerem geplante Demonstrationen von Studierenden und
       Mittelschüler*innen am Donnerstag werden für die Jugend von heute zum
       Anlass, gegen die Aussicht auf schlechtere Renten und eine längere
       Lebensarbeitszeit zu protestieren.
       
       Die Regierung, die unbeirrt an ihrer Vorlage festhalten will, kommt unter
       Druck. Um diesen aufrechtzuerhalten, haben die vereinten Gewerkschaften
       bereits für den Samstag und den Mittwoch danach weitere Aktionstage
       angekündigt. Die Erwartung der Staatsführung, dass die Einheit der
       Gewerkschaften der Eskalation der Protestaktionen nicht standhalten werde
       und dass die gemäßigteren Arbeitnehmerverbände sich gegen härtere
       Kampfformen aussprechen würden, hat sich nicht erfüllt.
       
       Sowohl für die Regierung wie für die Gewerkschaften geht es inzwischen um
       viel mehr als eine strittige Reformvorlage: nicht zuletzt um die politische
       Glaubwürdigkeit und Legitimität der Repräsentation.
       
       ## Benzin ist bereits knapp
       
       Die Gewerkschaften können, unterstützt von den linken Oppositionsparteien,
       Frauen- und Jugendorganisationen und auch von der öffentlichen Meinung, in
       ihrer Mobilisierung noch zulegen. Sie hatten [3][ultimativ] damit gedroht,
       das Land mit einem Generalstreik „zum Stillstand“ zu bringen, und damit
       haben sie am Dienstag ernst gemacht.
       
       „On bloque tout!“ („Wir blockieren alles!“), lautet in Frankreich der neue
       Kampfruf bei den Protesten gegen Emmanuel Macrons Rentenreform.
       
       Seit Dienstag sind sämtliche Erdölraffinerien von Streikenden blockiert,
       damit kein einziger Lkw mehr Treibstoff von dort zu den Tankstellen bringen
       kann. Vergeblich hatten Industrie und Behörden versprochen, es werde keine
       Versorgungsprobleme geben. Die Autofahrer*innen glaubten ihnen kein
       Wort und tankten auf Vorrat.
       
       Daraufhin hatten bereits am Mittwoch Hunderte Tankstellen keinen Sprit
       mehr. Aus Angst vor einer Versorgungskatastrophe wie bei den Streiks im
       Oktober droht die Regierung mit Polizeieinsätzen und mit einer
       Zwangsverpflichtung des Personals.
       
       Wegen Streiks beim Energiekonzern EDF ist zudem die Stromproduktion um
       schätzungsweise 15.000 Megawatt (laut Libération entspricht dies der
       Kapazität von 10 bis 15 Reaktoren) gesunken.
       
       ## Wichtige Häfen sind dicht, der Müll wird nicht abgeholt
       
       Blockiert waren weiterhin auch die größten Seehäfen in Marseille,
       Fos-sur-Mer und Le Havre, in mehreren Großstädten wird wegen Streiks kein
       Müll mehr eingesammelt, und die Verbrennungsanlagen sind stillgelegt.
       
       Auch im Bahnverkehr halten die Ausfälle bis voraussichtlich Ende der Woche
       an: Derzeit fahren bei der SNCF höchstens ein Drittel der Züge, auch
       städtische Transportunternehmen wie die RATP in Paris melden stark
       reduzierte Fahrpläne. Am Dienstag war der Bahnverkehr sogar fast ganz
       lahmgelegt.
       
       Die Zugänge zu rund 40 Hochschulen und zahlreichen Mittelschulen wurden
       besetzt. An mindestens 20 Orten haben außerdem Lkw-Fahrer und andere
       Demonstrierende Straßen und Autobahnzufahrten mit Fahrzeugen und Barrikaden
       blockiert. Die werden zwar meist von der Polizei geräumt, tauchen aber kurz
       darauf an anderer Stelle erneut auf.
       
       ## Mehrheit der Bevölkerung steht hinter den Protesten
       
       Auch diese verschärften Aktionen werden laut Umfragen von einer
       Bevölkerungsmehrheit – laut Institut Odoxa von 59 Prozent – gebilligt. Seit
       dem Beginn der Debatte und des Konflikts lehnen 70 bis 80 Prozent der
       Befragten, unter ihnen alle sozialen Schichten und Alterskategorien mit
       Ausnahme der Senioren, die mit 50 zu 50 geteilter Meinung sind, die
       Rentenreformvorlage ab.
       
       Die von der Regierung beschlossene Prozedur, nach der die Vorlage
       gegebenenfalls auch ohne Schlussabstimmung im Parlament per Dekret in Kraft
       gesetzt werden kann, sorgt ihrerseits für Ärger – und weitere Proteste.
       
       8 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Rudolf Balmer
       
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