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       # taz.de -- Proteste in Los Angeles: Trump braucht das Spektakel
       
       > Mit Abschiebungen und der Nationalgarde inszeniert Donald Trump die
       > Eskalation in Kalifornien. Er weiß, wie er seine Wählerschaft bei Laune
       > hält.
       
   IMG Bild: Trumps Rechtfertigung für die Nationalgarde: Die Regierungssprecherin zeigt Bilder der Proteste in Los Angeles
       
       Als die Abschiebebehörde ICE sich am Freitag vergangener Woche in Los
       Angeles für ihre Verhaftungswelle vorbereitete, war auch [1][eine
       TV-Persönlichkeit vor Ort]: Phil McGraw, ein Host des konservativen Sender
       MeritTV. Einen Tag vor und einen Tag nach den Massenverhaftungen bekam
       McGraw zudem Exklusivinterviews mit Trumps Abschiebebeauftragten Tom Homan.
       
       Denn die Regierung will nicht nur Migranten aufspüren und sie aus ihrem
       Leben reißen, sondern auch die Videos davon verbreitet wissen. Schon im
       Januar, wenige Tage nach Trumps Amtseinführung, war McGraw direkt bei einer
       ICE-Aktion in Chicago eingebettet, wo er die Migranten während ihrer
       Verhaftung interviewte.
       
       Auch die Posts des Präsidenten zu dem Angriff auf die Migrantencommunitys
       in Kalifornien könnten einen Katastrophenfilm hinterlegen: „Illegale
       Ausländer und Kriminelle sind in eine einst große amerikanische Stadt, Los
       Angeles, eingefallen und haben sie besetzt“, schrieb Trump auf Truth
       Social. Er versprach, L. A. „zu befreien“. Der Vizestabschef und weiße
       Nationalist Stephen Miller [2][sprach von einem „Kampf, um die Zivilisation
       zu retten“].
       
       Als sich Bürger:innen der Stadt am Freitag den Verhaftungen in den Weg
       stellten, und bei Demos hier und dort auch randalierten, nutzte Trump das,
       um das Bild einer im Chaos versunkenen Stadt zu schaffen, und seinen
       rechtswidrigen Einsatz der Nationalgarde zu rechtfertigen. Einen Mann, der
       Steine auf Abschiebefahrzeuge geworfen hatte, [3][setzte der
       Inlandsgeheimdienst FBI auf eine Most-Wanted-Liste], zusammen mit Mördern
       und internationalen Drogenhändlern.
       
       ## Trump kann seine Versprechen nicht halten
       
       Weshalb hält Trump es für nötig, die Lage so bildgewaltig zu eskalieren?
       Ende Mai [4][soll Stephen Miller ICE-Beamte angeschrien haben], er wolle
       3.000 Verhaftungen von Migranten pro Tag. Im Wahlkampf hatte Trump
       angekündigt, Abermillionen von „Illegalen“ deportieren zu wollen.
       
       Insgesamt leben etwa 11 Millionen Einwanderer ohne Papiere in den Staaten,
       von denen viele in der Landwirtschaft, auf Baustellen oder im
       Dienstleistungsgewerbe arbeiten. Sie alle aus dem Land zu werfen ist nicht
       nur logistisch unmöglich, sondern wäre auch ein Schlag in die Magengrube
       der US-Wirtschaft.
       
       Der Präsident weiß oder ahnt zumindest, dass er seine Versprechen nicht
       erfüllen kann. Um seine Wählerschaft dennoch zu befriedigen, braucht er die
       Bilder der Abtransporte, die Bilder von Nationalgardisten, die vor
       Abschiebeknästen aufmarschieren, braucht Trump die sadistische
       Inszenierung.
       
       ## „Verschwindenlassen“ in Hochglanzvideos
       
       Im März hatte die Regierung sich einem Richterspruch widersetzt und 238
       Venezolaner in einen mutmaßlichen Folterknast nach El Salvador
       abgeschoben. El Salvadors Präsident, der Crypto Bro und Kryptofaschist
       Nayib Bukele, postete daraufhin ein Video auf X, das auch Trump teilte:
       Truppen, Blaulicht, die abgeschobenen Männer, die aus einem Flugzeug
       gezerrt und kahl geschoren werden, alles hinterlegt mit ominöser Musik.
       
       Bereits in den 1970ern und 1980ern waren die USA mit rechten Diktaturen in
       Lateinamerika verbunden, deren Spezialität es war, politische Gefangene zu
       foltern und „verschwinden zu lassen“. Nur gab es davon keine
       Hochglanzvideos.
       
       In einem [5][Essay für das Magazin Jewish Currents] schreiben die Autoren
       Dennis Hogan und Matthew Ellis, Trump und Bukele hätten die Abschiebungen
       „schamlos in ein Theater verwandelt“. Bukele führe die heutigen Faschisten
       Lateinamerikas an, „indem er die Taktik des Verschwindenlassens für das
       Zeitalter der sozialen Medien neu erfindet“.
       
       Natürlich ist die brutale Behandlung von Migranten nichts Neues. Rechtlich
       fragwürdige Verhaftungen von Ausländern gab es auch unter den
       Vorgängerregierungen von Bush, Obama und Biden. Doch wurden diese
       Menschenrechtsverletzungen nicht in derselben Weise zelebriert, schreiben
       Hogan und Ellis. Im „Krieg gegen den Terror“ etwa wurden die
       internationalen Foltergefängnisse der CIA als „black sites“ bezeichnet –
       ein Begriff, dem die Geheimhaltung eingeschrieben ist.
       
       ## Widerstand gegen den Zynismus
       
       Nun lodert Los Angeles schon wieder. Verantwortlich sind nicht wie im
       Januar die [6][Waldbrände], sondern der Einsatz von Truppen gegen den
       Willen der kalifornischen Regierung. Vergangenes Jahr erst war der Film
       „Civil War“ in die Kinos gekommen, in dem es um verfeindete Rumpfstaaten
       geht, die sich auf dem einstigen Staatsgebiet der USA bekriegen. Für ein
       Volk, das so beständig das Mantra von der eigenen Auserwähltheit
       wiederholt, haben die US-Amerikaner ohnehin eine seltsame Faszination für
       apokalyptische Dystopien, die ihren eigenen Untergang zeigen.
       
       „Die Politik eines Imperiums im Niedergang ist immer eine Mischung aus
       Grausamkeit und Lächerlichkeit“, [7][schrieb der Kunsthistoriker T. J.
       Clark] im Januar in der London Review of Books. Er bezeichnet Trump als
       „Frühwarnsignal“ einer Welt, die sich nur halb an die neue Wirklichkeit
       angepasst hat. „Natürlich ist er nicht so dumm zu glauben, dass er oder
       irgendjemand Amerika wieder groß machen könnte; aber seine Politik muss
       einen Kurs steuern zwischen den Anhängern, die daran glauben oder es sich
       vorgaukeln lassen, und denen, vielleicht der Mehrheit, die nur zum Spaß
       dabei sind. Sie sind genauso zynisch wie er. Oder besser gesagt, sie nehmen
       das Spektakel ernst.“
       
       Doch die Antwort auf Trumps Zynismus lautet nicht noch mehr Zynismus. Die
       Reaktionen werden spektakulär und unspektakulär ausfallen. Da wäre der
       [8][telegene kalifornische Gouverneur Gavin Newsom], den die Medien jetzt
       als „Gegenspieler“ Trumps ins Spiel bringen – ihm könnte die Krise helfen,
       2028 als Präsidentschaftskandidat der Demokraten nominiert zu werden.
       
       Und da sind auch die Bürger, die spontan zivilen Ungehorsam leisten, wenn
       Trumps ICE-Schergen ihre Freunde und Mitarbeiter aus dem Baumarkt
       entführen. Widerstand ist keineswegs zwecklos. Er ist vielmehr
       alternativlos.
       
       14 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://edition.cnn.com/2025/06/09/media/dr-phil-mcgraw-ice-immigration-raids-los-angeles
   DIR [2] https://www.nytimes.com/2025/06/08/us/politics/trump-california-immigration.html
   DIR [3] https://www.latimes.com/california/live/national-guard-troops-la-immigration-ice-clashes-paramount#p=man-at-paramount-immigration-protests-is-added-to-fbis-most-wanted-list
   DIR [4] https://newrepublic.com/post/195787/stephen-miller-screams-ice-not-arresting-enough-people
   DIR [5] https://jewishcurrents.org/marketing-authoritarianism-trump-bukele-disappearance-videos
   DIR [6] /Studien-zu-Extremwetter-und-Waldbraenden/!6062333
   DIR [7] https://www.lrb.co.uk/the-paper/v47/n01/t.j.-clark/a-brief-guide-to-trump-and-the-spectacle
   DIR [8] https://www.youtube.com/watch?v=pXQQNUeb4Sw
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Leon Holly
       
       ## TAGS
       
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