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       # taz.de -- Proteste in Serbien: Der Premier geht, die Wut bleibt
       
       > Monatelang gingen serbische Studierende gegen den autoritären Präsidenten
       > Vučić auf die Straße. Nun tritt sein Ministerpräsident Vučević zurück.
       
   IMG Bild: Studierende protestieren am 27. Januar in Belgard
       
       Belgrad taz | Keine drei Monate brauchten [1][serbische] Studenten, um
       Ministerpräsident Miloš Vučević zum Rücktritt zu zwingen. [2][Unermüdlich
       demonstrierten sie täglich], besetzten ihre Fakultäten, blockierten alle
       Universitäten. Andere Gruppierungen schlossen sich an: Schüler, Lehrer,
       Professoren und Ärzte ging auf die Straßen. Theater traten in
       Generalstreik, Anwälte legten ihre Arbeit für eine Woche nieder.
       
       Den Aufstand in der sonst eher apathischen serbischen Gesellschaft löste
       eine Tragödie in Novi Sad aus. Am 1. November 2024 stürzte die Dachrinne
       des Bahnhofs ein, 15 Menschen starben. Kritiker sahen in dem Vorfall kein
       Unglück, sondern „Mord“. Eine Folge der anhaltenden Korruption in Serbien,
       in dem nicht Fachleute, sondern treue Mitglieder der dominanten Serbischen
       Fortschrittspartei (SNS) das Sagen haben – auch im Bauwesen.
       
       Die Proteste intensivierten sich als Mitglieder der SNS vor knapp zwei
       Monaten Studenten der Kunstakademie in Belgrad verprügelten, die eine
       Straße blockierten. Sie wurden bald der treibende Motor des Aufstandes
       gegen Korruption und die Autokratie des unantastbaren [3][Staatspräsidenten
       Aleksandar Vučić].
       
       Die Forderung der Studenten ist einfach: Sie wollen einen funktionierenden
       Rechtsstaat, keinen Parteistaat, in dem Vučić und seine Gefolgsmannschaft
       über Gesetz und Verfassung stehen. Sie verlangen unter anderem, dass
       Verantwortliche für die Tragödie in Novi Sad und Angreifer auf Studenten
       bestraft werden.
       
       ## Protestierende blockieren Autobahnknoten
       
       Der Höhepunkt der Proteste war eine 24-stündige Blockade am Montagmorgen.
       Die Protestierenden blockierten die Autokomanda, einer der
       verkehrsreichsten Kreuzungen in Belgrad. Zehntausende Bürger schlossen sich
       an, um die Studenten zu unterstützen – Lehrer, Ärzte, Beamte, Veteranen der
       63. Fallschirmjägerbrigade, Motorradfahrer.
       
       Die Biker waren da, um die Studenten vor Überfällen zu schützen. Denn sie
       wurden überfahren, geschlagen, beschimpft, einige von ihnen landeten mit
       schweren Verletzungen im Krankenhaus. Die Angreifer waren entweder aus den
       Reihen der SNS, oder ihre überhitzen Anhänger.
       
       Denn seit dem Beginn der Studentenproteste bezeichnet die Staatsspitze
       demonstrierende Studenten als „ausländische Söldner“, „antiserbische
       Elemente“, die für eine Handvoll Dollar gegen ihren Staat agierten. Auch
       die Serbisch-Orthodoxe-Kirche griff die Studenten mit ihrem heiligen Zorn
       als unwerte Serben an.
       
       In der Nacht auf Dienstag, als Studenten in Belgrad eine Art Aufstandsparty
       feierten, passierte es wieder in Novi Sad: Mit Baseballschlägern
       ausgerüstete Männer verprügelten Studenten, die Zettel mit dem Aufruf auf
       Proteste verteilten, eine Medizinstudentin kam mit gebrochenem Kiefer ins
       Krankenhaus. Die Angreifer sollen, laut Zeugenberichten, aus Büroräumen der
       SNS gekommen sein.
       
       ## Vučić findet keine Lösung
       
       Das war der formale Anlass für den Rücktritt von Vučević. Doch die Ursache
       ist, dass es Staatspräsident Vučić, der alle Entscheidungen trifft, es
       nicht schafft, die ansteckende Rebellion der serbischen Jugend in den Griff
       zu kriegen.
       
       Er versuchte es mit Drohungen, mit Bestechung, mit „ausgestreckter Hand“
       und bekam immer die gleiche Antwort: Der Staatspräsident hat laut
       serbischer Verfassung fast nur zeremonielle Befugnisse, also kann den
       Studenten gestohlen bleiben, was er sagt.
       
       Serbische Oppositionsparteien sind dabei völlig marginalisiert, sie haben
       nichts zum Rücktritt des Regierungschefs beigetragen. Sowohl aus Washington
       als auch Moskau gab es Kritik an den Protesten. Der US-Gesandte für
       Sondermissionen, Richard Grenell, und die Sprecherin des russischen
       Außenministeriums, Marija Sacharowa, äußerten sich zur Lage in Serbien. Die
       EU schweigt bisher, womit die serbische Zivilgesellschaft in ihrem Kampf
       gegen die Autokratie sich selbst überlassen bleibt.
       
       28 Jan 2025
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Andrej Ivanji
       
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