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       # taz.de -- Proteste in der Türkei halten an: „Wir geben nicht auf!“
       
       > Seit zwei Monaten sitzt der türkische Oppositionspolitiker Ekrem İmamoğlu
       > in Haft. Nach wie vor ohne jede Anklage. Die Menschen demonstrieren
       > weiter für ihn.
       
   IMG Bild: Demonstrant*innen in Izmir fordern die Freilassung von Ekrem İmamoğlu
       
       Istanbul taz | Der Mann hat gleich zwei Fahnen in der Hand, beide
       dunkelrot. Die türkische Landesfahne und die Parteifahne der
       Oppositionspartei CHP. Begeistert schwingt er seine Fahnen, als der
       CHP-Vorsitzende Özgür Özel aufs Podium steigt. „Özel“ sagt Hussein, seinen
       Vornamen will er lieber nicht nennen, „Özel ist der beste
       Parteivorsitzende, den wir seit Langem hatten. Er gibt nicht auf, er ist
       unermüdlich im Einsatz für die Freilassung unseres Bürgermeisters Ekrem
       İmamoğlu und er hat keine Angst vor Präsident Erdoğan“.
       
       Auf der von der CHP organisierten Protestveranstaltung am Mittwochabend in
       Pendik, einem Arbeiterbezirk am östlichen Rand von Istanbul auf der
       asiatischen Seite der Stadt, steht Özel vor Tausenden von Leuten und ruft
       von der Bühne: „Wir geben nicht auf, nicht bevor İmamoğlu wieder in
       Freiheit ist und die Regierung vorgezogenen Neuwahlen zugestimmt hat.“ Die
       Menge spendet frenetischen Beifall, von Ermüdungserscheinungen keine Spur.
       
       Seit exakt zwei Monaten [1][sitzt der Oberbürgermeister von Istanbul, Ekrem
       İmamoğlu, nun in Untersuchungshaft], und fast jeden Tag gibt es
       Protestaktionen und politische Versammlungen. Immer an vorderster Front,
       Özgür Özel. Seit Elon Musk auf Druck der türkischen Regierung [2][das
       X-Konto von İmamoğlu einfrieren ließ], kann dieser sich nur noch über seine
       Anwälte mitteilen.
       
       ## İmamoğlu weiter Präsidentschaftskandidat – trotz Haft
       
       Doch auch İmamoğlu zeigt keine Anzeichen von Resignation. Er äußert sich zu
       tagespolitischen Fragen, zumeist wie der Präsidentschaftskandidat der CHP,
       der er ja ist und nach Aussagen von Özel auch unbedingt bleiben wird,
       selbst wenn er bei den kommenden Wahlen immer noch im Gefängnis ist. Die
       Protestversammlung am Mittwochabend ist zwar von CHP-Anhängern dominiert,
       doch es sind auch etliche Vertreter anderer Parteien und Gewerkschaften auf
       dem Platz. Auch das Publikum ist durchaus gemischt.
       
       Am Rande der Kundgebung versuchen zwei junge Frauen, einen Blick auf Özgür
       Özel zu erhaschen. Ayşe und Gönül sind befreundet und zusammen zur
       Kundgebung gekommen. Eine der beiden trägt das Kopftuch der religiösen
       Frauen, die andere hat ihr Haar offen, wie die meisten Frauen an diesem
       Abend.
       
       „Das mit İmamoğlu ist eine große Ungerechtigkeit“, sagte Ayşe, die
       Kopftuchträgerin, „das beleidigt unseren Rechtsstaat.“ Lange war sie für
       Erdoğan, doch jetzt ist sie sehr enttäuscht von ihrem Präsidenten. „Wenn
       İmamoğlu wirklich korrupt ist, dann sollen die doch die Beweise vorlegen.
       Aber es gibt offenbar keine.“
       
       ## Keine Anklage, keine Belege
       
       Obwohl die Istanbuler Generalstaatsanwaltschaft seit İmamoğlus Verhaftung
       immer mehr Angestellte der Stadtverwaltung wegen angeblicher Korruption hat
       festnehmen lassen, fehlt nach wie vor jede Anklage und jeder konkrete Beleg
       für die massiven Vorwürfe.
       
       Auch deshalb halten die Proteste an, denn „es ist offensichtlich, dass es
       sich hier um eine politische Kampagne gegen die Opposition handelt“, wie
       Hussein, der Mann mit den Fahnen, sagt. Erdoğan äußert sich dazu seit
       Wochen kaum noch, zeigt aber auch keinerlei Entgegenkommen und spielt
       stattdessen seinen anderen innenpolitischen Trumpf aus: Die
       „terrorbefreite“ Türkei.
       
       ## Auflösung der PKK ist Erfolg für Erdoğan
       
       Anfang letzter Woche [3][hat die PKK nach fast 50 Jahren bewaffnetem Kampf
       ihre Auflösung bekannt gegeben]. Ein enormer Erfolg für Erdoğan, der die
       Proteste gegen die Inhaftierung von İmamoğlu etwas in den Hintergrund
       treten lässt. Im Parlament soll nun eine Kommission aus allen Parteien
       gegründet werden, um über den weiteren Umgang mit der PKK zu beraten. Die
       kurdische DEM-Partei hofft so, mehr Rechte für die kurdische Minderheit
       erreichen zu können.
       
       Viele Aktivisten in der CHP fürchten, dass die DEM sich auf ihre Kosten mit
       Erdoğan arrangieren könnte. „Wenn es Erdoğan gelingt, uns zu spalten, wäre
       das für ihn ein großer Erfolg“, fürchtet Hussein, der Mann mit den Fahnen
       in Pendik.
       
       22 May 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Wolf Wittenfeld
       
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