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       # taz.de -- Protokoll Arbeit und Corona: „An der Infektionsfront“
       
       > Den Friseursalon von Benjamin Walter trifft der neue Teil-Lockdown hart.
       > Ihn nervt vorallem das „Hin und Her“ in der deutschen Coronapolitik.
       
   IMG Bild: Protestaktion in Spanien: Eine Friseurin schneidet einer Frau vor dem Parlament in Madrid die Haare
       
       Benjamin Walter, 37, aus Karlsruhe, arbeitet seit 20 Jahren als Friseur und
       seit 7 Jahren selbstständig in seinem Ein-Mann-Betrieb. 
       
       „Manchmal sind Kunden einfach die Hölle. Neulich rief mich eine Lehrerin
       an. Es gäbe da jetzt eine schlechte Nachricht für mich. Als sie neulich zum
       Haareschneiden da war, hätte sie einen [1][Coronatest] am Laufen gehabt.
       Der sei jetzt leider positiv ausgefallen. Da denke ich: Wie
       unverantwortlich kann man sein? Mein Freund ist Arzt, der konnte zum Glück
       so einen Schnelltest beschaffen. Wir waren dann zum Glück beide negativ.
       Aber was mache ich denn, wenn ich wegen so einer Trulla zumachen muss?
       
       Ich habe meinen Laden seit 2013 hier in der Karlsruher Südstadt. Vor Corona
       hatte ich die Investitionen bis auf ein paar tausend Euro abgestottert.
       Dann kam im Frühjahr der Lockdown, und wir Friseure mussten schließen.
       
       Ich hab dann die Coronahilfe vom Land Baden-Württemberg bekommen. 9.000
       Euro. Aber ich weiß noch immer nicht, wie viel ich davon wieder
       zurückzahlen muss, weil das Geld ja nur für die laufenden Kosten eines
       Quartals ausgezahlt wurde. Meinen Lebensunterhalt durfte ich davon nicht
       bestreiten. Jetzt im zweiten Lockdown dürfen wir Friseure weiter offen
       haben. Masseure und Fußpfleger aber nicht. Ich finde das unlogisch. Mich
       nervt dieses ständige [2][Politik-Stakkato ohne einen richtigen Kompass].
       
       Ehrlich gesagt wäre es mir lieber, wir müssten wieder schließen und würden
       dafür angemessen entschädigt. Ich fühle mich in meinem Laden, als wäre ich
       an der Infektionsfront. Ich weiß ja nicht, ob der Karlheinz nicht trotzdem
       beim Stammtisch war oder eine Lehrerin gerade auf ein Testergebnis wartet.
       
       Manchmal denke ich, mir droht entweder die Privatinsolvenz oder eine
       Infektion. Denn wegen der ganzen Hygieneauflagen, die ich beachten muss,
       kann ich schon seit Monaten nur noch halb so viele Kunden pro Tag bedienen.
       Damit habe ich nur noch die Hälfte des Umsatzes bei gleichen Kosten.
       
       Ich lebe also im Moment vom Gehalt meines Freundes. Meine Einnahmen werden
       von den laufenden Kosten aufgefressen. Meine Schulden wachsen trotzdem.
       
       Was ich hier im Laden merke: Die Leute werden immer angespannter. Alle
       sitzen nur noch zu Hause vorm Fernseher, keiner erlebt mehr etwas, wovon er
       erzählen könnte. Alle reden nur noch über Corona. Durch dieses ständige Hin
       und Her verlieren sie den Respekt vor der Politik.
       
       Und dann noch die Maskenverweigerer unter meinen Kunden, die ich ganz
       konsequent aus dem Laden schmeiße. Ausgerechnet diese Leute versuchen mich
       dann beim Gesundheitsamt anzuschwärzen. Weil ich angeblich die
       Hygieneregeln verletzte. Das ist mir jetzt schon mehrfach passiert.
       
       Mit meinem Freund, dem Mediziner, hab ich neulich schon überlegt, ob man
       den Leuten nicht aus der Ferne die Haare schneiden könnte. Über den
       Computer, wie bei diesen Fern-Operationen. Das wäre doch mal eine
       innovative Idee, um aus der Krise etwas zu machen.“
       
       19 Nov 2020
       
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