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       # taz.de -- Prozess gegen kurdischen Aktivisten: Verfolgter oder Terrorist?
       
       > Seit November steht Kenan Ayaz in Hamburg vor Gericht. Er soll
       > Demonstrationen für die PKK organisiert haben. Kann es sich um
       > Terrorismus handeln?
       
   IMG Bild: Ungebrochen: der Angeklagte Kenan Ayaz
       
       Das Besucherzimmer in der Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis ist
       stickig und eng. Hinter einer Glasscheibe sitzt ein Mann in blau-grün
       karierten Hemd, mit randloser Brille und lichtem Haar. Die deutschen
       Sicherheitsbehörden halten ihn für einen Terroristen. Er selbst sagt: „Ich
       habe in meinem Leben keiner Ameise etwas zuleide getan“. Kenan Ayaz, 49
       Jahre, Kurde aus der Türkei, sitzt seit 13 Monaten in Hamburg in
       Untersuchungshaft. Bei einer Verurteilung drohen ihm viereinhalb Jahre
       Haft.
       
       Gewalttaten werden Ayaz, der als anerkannter politischer Flüchtling in
       Zypern lebte, nicht vorgeworfen. Die [1][Bundesanwaltschaft hat ihn
       angeklagt], weil er an der Organisation von „Propagandaveranstaltungen und
       Versammlungen“ wie Demonstrationen und Festivals beteiligt und in
       Spendensammlungen eingebunden gewesen sein soll. An sich sind das keine
       Rechtsverstöße. Wäre da nicht der Terrorismusparagraf 129b des
       Strafgesetzbuches. Weil Ayaz seine Tätigkeiten als verantwortlicher Kader
       für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ausgeübt haben soll, wird das an
       sich legale Verhalten zur [2][„Betätigungshandlung“ in einer
       terroristischen Vereinigung].
       
       Für die deutschen Sicherheitsbehörden ist die PKK „mit ihren etwa 14.500
       Anhängern in Deutschland die [3][mitgliederstärkste terroristische
       Vereinigung] auf deutschem Boden“. In Deutschland wurde die Organisation
       1993 gesetzlich verboten, in einer Phase, als die PKK türkische
       Einrichtungen angriff, Schutzgeld erpresste und man die öffentliche Ordnung
       in Deutschland bedroht sah. Auf der europäischen Terrorliste landete sie im
       Jahr 2002.
       
       Doch es gibt noch eine andere Erzählung, nämlich die, dass die Gewalt der
       PKK eine Reaktion ist auf die [4][Unterdrückung von Kurden in der Türkei].
       Dass die PKK sich seit Jahren um Frieden bemüht, während der türkische
       Präsident Recep Tayyip Erdoğan die [5][Verhandlungen 2015 zuletzt
       abgebrochen hat]. Und vor allem: Dass die PKK in Deutschland schon seit
       Mitte der 90er Jahre keinen terroristischen Akt mehr verübt hat. Ist das
       Verfahren gegen Kenan Ayaz vor diesem Hintergrund verhältnismäßig, oder
       reagiert die deutsche Politik gar auf Wünsche Erdoğans?
       
       ## Kein Einzelfall
       
       Sechs schwere Türen aus Eisen und Panzerglas muss man durchschreiten und
       mehrere Sicherheitskräfte passieren, um ins Besucherzimmer zu gelangen. Man
       wird begleitet von einer Kurdisch-Dolmetscherin und einer Beamtin des LKA,
       die in den kommenden 30 Minuten darauf achten wird, dass das Gespräch nicht
       auf das Verfahren oder die PKK fällt.
       
       Zur Begrüßung legt Kenan Ayaz seine Hand auf die Scheibe. Ein freundliches
       Nicken. „Rojbaş“ – „Rojbaş“ – „Tu çawa ye?“ – „Danke, gut und selbst?“ Ayaz
       lächelt, es gehe ihm gut, sagt er. Besser als in Isolationshaft, wo er die
       ersten Monate in Deutschland verbracht habe, erzählt er. „Mörder oder
       andere Verbrecher sind nur wenige Tage in Isolationshaft, aber ich als
       politischer Gefangener saß dort drei Monate“, sagt Ayaz.
       
       Dass sein Fall für Deutschland von besonderer Bedeutung ist, zeigt seine
       Festnahme. Am 15. März 2023 wurde er am Flughafen von Larnaka [6][in Zypern
       festgenommen] und inhaftiert, als er auf dem Weg war, seine Familie in
       Schweden zu besuchen. Grund dafür war ein Haftbefehl, der Mitte Mai 2022
       durch den Generalbundesanwalt beantragt und dann auch vom Bundesgerichtshof
       erlassen wurde. Das Gericht ist eine der höchsten juristischen Instanzen in
       Deutschland. Ayaz wird behandelt wie ein Staatsfeind.
       
       Der Fall Ayaz ist kein Einzelfall. Nach Informationen der kurdischen
       Nachrichten-Plattform ANF wurde Anfang Juni das vermeintliche PKK-Mitglied
       [7][Ferit Çelik aus Schweden ausgeliefert]. Die Generalstaatsanwaltschaft
       Koblenz bestätigt zumindest dies: Der Beschuldigte eines
       Ermittlungsverfahrens sei auf Grundlage eines europäischen Haftbefehls in
       Schweden festgenommen und nach Deutschland ausgeliefert worden. Ob es sich
       dabei um Çelik handelt, beantwortet die Generalstaatsanwaltschaft nicht und
       verweist dabei auf den Datenschutz.
       
       Ein weiterer Fall betrifft Mehmet Çakas. Vor dem Oberlandesgericht Celle
       wurde Çakas am 10. April wegen der „mitgliedschaftlichen Beteiligung in
       einer terroristischen Vereinigung im Ausland (PKK)“ zu einer
       Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Rechtskräftig
       ist das Urteil bisher nicht. Am 13. Juni wurde die kurdische
       Frauenrechtsaktivistin Gülhatun Kara dem Portal ANF zufolge aufgrund eines
       deutschen Auslieferungsgesuchs [8][in Frankreich festgenommen]. Die
       Generalstaatsanwaltschaft Koblenz bestätigt die Festnahme einer
       Beschuldigten in Frankreich. Auch hier bleibt aus datenschutzrechtlichen
       Gründen unklar, ob es sich um Kara handelt.
       
       ## Folter im türkischen Gefängnis
       
       Wie es sich für Kenan Ayaz anfühlt, dass er nach der Verfolgung in der
       Türkei nun in Deutschland erneut in Haft sitzt? Ein Lächeln huscht über
       sein Gesicht. „Haben Sie sich mit meiner Biografie befasst?“, fragt Ayaz.
       Seine Geschichte hat er in einer persönlichen Erklärung vor Gericht
       dargelegt.
       
       1975 wurde er im mehrheitlich kurdischen Dorf Halaxe, auf Türkisch Narli,
       in der Provinz Mardin als siebtes von acht Kindern in eine kurdische
       Familie geboren. Er erinnert sich noch heute an die Verwirrung an seinem
       ersten Schultag, als er die Lehrer nicht verstand, weil diese, anders als
       die Familie und Nachbarn, [9][türkisch sprachen]. „Es war der erste große
       Schock meines Lebens, vielleicht sogar das erste Trauma“, so hat es Ayaz
       vor Gericht auf Türkisch zu Protokoll gegeben.
       
       Als er und die anderen Kinder auf dem Schulhof kurdisch sprachen, seien sie
       von den Lehrern mit dem Stock grün und blau geschlagen worden, berichtet
       Ayaz. Als es Ende der 80er Jahre in der Provinz immer häufiger zu
       Zusammenstößen [10][zwischen der PKK und dem türkischen Militär] gekommen
       und sein Vater immer wieder willkürlich verhaftet und verhört worden sei,
       hätten sich die Eltern entschieden, ihn und seinen jüngeren Bruder auf eine
       Schule im Touristenort Alanya zu schicken.
       
       Am 9. September 1993 habe die türkische Polizei ihn zum ersten Mal
       gemeinsam mit seinem 13-jährigen Bruder verhaftet. Gewalttaten seien ihm
       nicht angelastet worden. Er sei beschuldigt worden, zwei Monate in einem
       Bezirkskomitee für die PKK gearbeitet zu haben. Ayaz bestritt das.
       Daraufhin [11][sei er gefoltert worden], erzählt er laut ANF vor Gericht.
       „Sie haben mir am ganzen Körper Stromschläge verpasst, besonders an den
       Händen und Zehen. Sie bespritzten mich mit kaltem Wasser, ich musste mich
       nackt auf den feuchten Beton legen. Sie zwangen mich zu Boden und schlugen
       mir viele Male auf die Fußsohlen.“
       
       Laut seiner Anwältin Antonia von der Behrens wurde er aufgrund des
       erfolterten Geständnisses zu 15 Jahren Haft verurteilt, von denen er mehr
       als 11 abgesessen habe. 2009 sei er erneut inhaftiert worden, nachdem er
       einem kurdischen Freund im Kommunalwahlkampf geholfen habe. Nach einem
       halben Jahr wurde er vom Vorwurf, PKK-Mitglied zu sein, freigesprochen und
       entlassen.
       
       ## Ein politisch motivierter Prozess?
       
       2010 wird er zusammen mit 150 weiteren im sogenannten [12][Hauptverfahren
       gegen die KCK], eine Unterorganisation der PKK, angeklagt. Er flieht nach
       Zypern, wird dort als politischer Flüchtling anerkannt. In den
       darauffolgenden Jahren reist er immer wieder durch Europa, um Freunde und
       Familie zu besuchen – und um für die PKK zu arbeiten, wie ihm die deutsche
       Staatsanwaltschaft vorwirft.
       
       20 Jahre nach seiner ersten Entlassung steht er nun wieder vor Gericht.
       Nicht in der Türkei, sondern in Deutschland. Am 3. November 2023
       [13][begann der Prozess] in Hamburg. Die Vorwürfe ähneln denen aus der
       Türkei. Die Verteidigung [14][erklärte zum Prozessauftakt] laut ANF:
       „Dafür, dass Kurd:innen in Deutschland weiterhin als vermeintliche
       Mitglieder der PKK als Terrorist:innen intensiv verfolgt werden, kann
       die Erklärung nur lauten, dass diese Strafverfahren zwar nicht im innen-,
       aber im außenpolitischen Interesse Deutschlands liegen.“
       
       Es ist ein Vorwurf, der für einen Rechtsstaat kaum schwerer wiegen könnte:
       die Unterstellung, die Justiz sei nicht von Gesetzen, sondern von
       politischen Interessen gesteuert. Könnte er dennoch stimmen? Um zu
       verstehen, warum ein politischer Flüchtling wie Ayaz, der in erster Linie
       gewaltlose Proteste mitorganisiert haben soll, mit so viel Aufwand
       juristisch verfolgt wird, muss man mehr als 30 Jahre zurückgehen.
       
       Während in der Türkei Anfang der 90er Jahre der Krieg des türkischen
       Militärs gegen die PKK eskaliert, [15][Tausende kurdische Dörfer
       zwangsgeräumt] und Zehntausende Menschen getötet werden, versucht die PKK,
       [16][gewaltsam Aufmerksamkeit für ihre Sache] zu schaffen. Laut
       Verfassungsschutz verüben PKK-Aktivisten im Juni 1993 nahezu zeitgleich in
       verschiedenen Städten Deutschlands rund 60 Überfälle und Brandanschläge auf
       türkische diplomatische Vertretungen, aber auch auf Banken, Reisebüros,
       Gaststätten und Vereinslokale.
       
       Dabei wird ein türkischer Staatsbürger getötet, mehrere Personen werden
       verletzt. Im Juni 1993 nehmen mutmaßliche PKK-Anhänger im türkischen
       Generalkonsulat Geiseln und fordern eine öffentliche Erklärung des
       damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl: Er solle die „Kriegshandlungen“ der
       türkischen Regierung gegen die Kurden verurteilen. Aufgrund der
       Rüstungsexporte betrachtete die PKK Deutschland als „Kriegsgegner Nummer
       zwei“. 1993 wird im Zuge dessen ein [17][Betätigungsverbot für die PKK]
       ausgesprochen.
       
       ## Einstufung der PKK nicht zeitgemäß
       
       Mitte der 90er kommt es zu einer Zäsur. Der damalige [18][PKK-Führer
       Abdullah Öcalan] erklärt, dass die Organisation auf deutsche Interessen
       Rücksicht nehmen und keine Gewalt auf deutschem Boden mehr anwenden wolle.
       Seither hat die Gewalt massiv abgenommen. Taten wie Mord oder Totschlag
       finden sich seither nicht mehr in den Berichten des Verfassungsschutz.
       
       Um das PKK-Verbot wird in Deutschland [19][seit Jahren heftig gestritten].
       Die Bundestagsfraktion der Linken hatte bereits 2014 eine Aufhebung des
       Verbots beantragt: „Angesichts laufender Friedensverhandlungen mit dem
       türkischen Staat und der herausragenden Rolle der PKK und ihr nahestehender
       Milizen bei der Bekämpfung des terroristischen IS im Irak und Syrien“ sei
       die Einstufung der PKK als terroristische Organisation durch die EU
       „unzeitgemäß und realpolitisch kontraproduktiv“. Passiert ist seither
       nichts.
       
       Laut dem [20][Verfassungsschutzbericht von 2023] nutze die PKK das
       Bundesgebiet vor allem, um Großveranstaltungen durchzuführen, Propaganda in
       eigener Sache zu machen und neue Anhänger zu rekrutieren. Seit Juni 2013
       sind dem Verfassungsschutz 370 Rekrutierungsfälle bekannt. Außerdem soll
       die PKK laut Verfassungsschutz 2023 insgesamt 16 bis 17 Millionen Euro bei
       ihrer alljährlichen Spendenkampagne gesammelt haben. Diese würden „vor
       allem für den Unterhalt der Organisation, aber auch für deren umfangreichen
       Propagandaapparat in Europa genutzt.“
       
       Außerdem schreibt der Verfassungsschutz: „Die PKK hat auch weiterhin ein
       ambivalentes Verhältnis zur Gewalt. Einem militärischen Auftreten im
       türkisch-irakischen bzw. türkisch-syrischen Grenzgebiet steht ein
       grundsätzlich friedliches Vorgehen in Deutschland bzw. Europa gegenüber.
       (…) Die PKK ist aber nach wie vor in der Lage und bereit, Gewalt zumindest
       punktuell auch in Deutschland einzusetzen bzw. Gewalttaten ihrer
       jugendlichen Anhänger zu dulden.“
       
       Dabei wende sich die Organisation in erster Linie gegen rechtsextremistisch
       beziehungsweise nationalistisch eingestellte Türken wie Anhänger der Grauen
       Wölfe, die im Gegensatz zur PKK in Deutschland als Verein bis heute nicht
       verboten sind. Dabei geht aus dem Verfassungsschutzbericht nicht hervor, ob
       die aufgeführten Angriffe auf staatsnahe türkische Einrichtungen von
       mutmaßlichen Kurd:innen tatsächlich von PKK-Gruppierungen geplant und
       ausgeführt wurden.
       
       ## Erdoğan erfreut über Strafprozess
       
       Keine dieser Taten wird Kenan Ayaz zur Last gelegt. Er wird nicht einmal
       direkt damit in Verbindung gebracht. Dass er in Deutschland dennoch
       verfolgt wird, ermöglicht Paragraf 129b des Strafgesetzbuchs. Demzufolge
       können Mitglieder sogenannter krimineller und terroristischer Vereinigungen
       im Ausland auch in Deutschland angeklagt werden, wenn ein Teil ihrer
       Aktivität in Deutschland stattfindet oder wenn Täter oder Opfer deutsche
       Staatsbürger sind.
       
       Allerdings muss zusätzlich eine [21][„Ermächtigung des Bundesministeriums
       der Justiz (BMJ)“] erteilt werden, damit der Generalbundesanwalt die
       Ermittlungen aufnehmen darf. Es ist dieser Beisatz, der Ayaz’ Geschichte so
       brisant macht. Denn in seinem Fall entscheidet nicht allein die Justiz, ob
       strafrechtliche Ermittlungen geführt werden dürfen, sondern auch die
       Politik.Erst, wenn das Bundesjustizministerium eine Verfolgungsermächtigung
       erteilt, darf ermittelt werden. Diese allgemeine Verfolgungsermächtigung
       gegen hochrangige PKK-Kader hat das Justizministerium im Jahr 2011 erstmals
       veranlasst und seither nicht widerrufen.
       
       Auch während der Friedensverhandlungen zwischen PKK und Türkei zwischen
       2012 und 2015 ging die Verfolgung weiter. Auf Nachfrage der taz schreibt
       die Sprecherin des BMJ: „Die Erteilung oder Nichterteilung bzw. eine
       Rücknahme oder Beibehaltung unterliegt keiner Begründungspflicht.“ Außerdem
       „könnten und dürften in die Entscheidung des BMJ auch außenpolitische
       Bedenken und Interessen der Bundesregierung mit einfließen“.
       
       Schon im Jahr 2016, wenige Monate nachdem die EU mit Erdoğan den
       sogenannten Flüchtlingsdeal geschlossen hatte, sagte der türkische
       Präsident in einem [22][Gespräch mit der ARD], dass er Angela Merkel bei
       einem Besuch 4.000 Akten von vermeintlichen Terroristen übermittelt habe.
       Merkel habe ihm zugesichert, dass der Justizprozess weitergehe. Während
       seines Besuchs in Berlin im November 2023 zeigte er sich lauf FAZ
       [23][erfreut über einen Strafprozess] vor dem Oberlandesgericht in Hamburg
       gegen einen mutmaßlichen Funktionär der kurdischen PKK; ohne dabei jedoch
       explizit Kenan Ayaz Namen zu nennen.
       
       ## Was besprach Generalbundesanwalt Frank mit Erdoğan?
       
       „Es müsste sich schon um einen großen Zufall handeln, dass der Haftantrag
       gegen meinen Mandaten nach langer Untätigkeit in dem Verfahren nur wenige
       Tage vor dem Nato-Gipfel 2022 gestellt worden ist“, sagt Anwältin Antonia
       von der Behrens im Gespräch mit der taz. Auf dem Gipfel, bei dem erstmals
       offiziell über den Nato-Beitritt von Finnland und Schweden verhandelt
       wurde, hatte Erdoğan insbesondere von Schweden gefordert, seine
       Anti-Terror-Gesetzgebung zu verschärfen.
       
       Seither stehen dort etwa das Spendensammeln, die Organisation von
       Versammlungsorten, das Kochen oder die Bereitstellung von Transport unter
       Strafe, wenn sie der PKK zugute kommen. „Nach erheblichem Druck von Seiten
       Erdoğans ist Schweden dieser offenkundigen Einmischung in seine
       innerstaatlichen Angelegenheiten im Juni 2023 [24][mit einer sehr
       weitgehenden Gesetzesänderung nachgekommen]“, sagt von der Behrens.
       
       Und noch etwas ist am Fall Ayaz merkwürdig: Vom 5. bis 7. Juli 2022, und
       damit nur wenige Tage nach dem Nato-Gipfel, traf sich der ehemalige
       deutsche Generalbundesanwalt Peter Frank nicht nur mit dem türkischen
       Generalanwalt und dem Präsidenten des türkischen Kassationsgerichtshofs,
       einem der höchsten Gerichte der Türkei. Er traf sich auch mit
       Staatspräsident Erdoğan. Das ergaben [25][Recherchen der Frankfurter
       Rundschau].
       
       Warum dieses Treffen so kurz nach dem Nato-Gipfel stattfand und während der
       andauernden außenpolitischen Bemühungen der türkischen Regierung, ein
       härteres Vorgehen gegen die PKK zu erreichen, ist nicht bekannt. Von der
       Behrens vermutet, dass das Verfahren gegen Kenan Ayaz ein Grund für den
       Generalbundesanwalt gewesen sein könnte, um „nicht mit leeren Händen nach
       Ankara zu kommen“.
       
       Die Sprecherin der Bundesanwaltschaft verwies auf Nachfrage der taz auf die
       Antworten Franks auf eine kleine Anfrage der Linken im August 2022. Darin
       heißt es, in dem Gespräch zwischen Frank und Erdoğan „ging es um die
       Aufgaben und die Arbeit der jeweiligen Strafjustiz“. Der Bundesanwalt habe
       keine konkreten Strafverfahren mit Erdoğan besprochen und „im Übrigen ist
       darauf hinzuweisen, dass sich die Bundesregierung zu Inhalten von
       vertraulichen Treffen mit internationalen Gesprächspartnern grundsätzlich
       nicht näher äußert“.
       
       ## Kritik an Deutschlands Umgang mit der PKK
       
       Manchmal falle es ihm schwer, die Logik zu verstehen, der die deutsche
       Politik folge, sagt Kenan Ayaz. Auf der einen Seite stünden die Türkei und
       Staatspräsident Erdoğan, die versuchen würden, den „radikalen Islam
       weltweit zu stärken“, und die außerdem in der Vergangenheit bereits
       [26][islamistische Gruppen in Syrien] unterstützt hätten. Auf der anderen
       Seite stünden wiederum die PKK und die kurdischen Kampfeinheiten der YPG in
       Syrien, die den [27][Islamischen Staat in Syrien] besiegt hätten und als
       einzige Partei in der Region für ein demokratisches System und für Werte
       wie Geschlechtergleicheit streiten würden.
       
       Er verstehe nicht, warum Deutschland sich auf die Seite der Türkei schlage
       und diese noch immer [28][mit Waffen unterstütze], obwohl das Land immer
       wieder Völkerrecht breche. Als Beispiel nennt er den Angriff der türkischen
       Armee auf die syrisch-kurdische Stadt [29][Afrin] 2018. „Die türkische
       Armee ist mit deutschen Leopard-Panzern in Afrin eingerückt.“ Selbst der
       wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestags hatte damals in Frage
       gestellt, ob die Angriffe der Türkei [30][mit dem Völkerrecht vereinbar
       sind].
       
       Gerne würde man mit Kenan Ayaz über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe
       sprechen, aber das ist in Anwesenheit der LKA-Beamtin nicht möglich.
       Trotzdem wird im Gespräch schnell klar, dass es ihm nicht darum geht, sich
       von der PKK zu distanzieren – sondern die Verhältnismäßigkeit Deutschlands
       im Umgang mit der PKK in Frage zu stellen.
       
       „Ich würde mir wünschen, dass Deutschland die PKK nicht mehr wie
       Terroristen behandelt“, sagt er. Die Beamtin des LKA im Besucherzimmer
       greift ein: „Eigentlich müsste ich hier abbrechen.“ Ayaz legt
       beschwichtigend die Hand auf die Scheibe: „Sorry, sorry“, sagt er schnell.
       Ob er tatsächlich als Kader für die PKK aktiv war? Das lässt sich nicht
       klären.
       
       Die Anklage baut laut Anwältin von der Behrens vor allem auf
       mitgeschnittene SMS und Telefonate, die Ayaz geschrieben oder geführt haben
       soll. Sie hält die Deutung der Bundesanwaltschaft, derzufolge Ayaz als
       angeblich hochrangig und konspirativ agierender Kader zugleich unter seinem
       Vornamen aufgetreten sein soll, für abwegig.
       
       Am Ende des 30-minütigen Treffens in dem stickigen Zimmer stehen Kenan Ayaz
       dicke Schweißperlen auf der Stirn. Gleich wird er wieder für zwei Wochen in
       seine Zelle gesperrt, ohne Besuch empfangen zu dürfen. Sein Urteil wird im
       August erwartet. Ihm drohen bis zu viereinhalb Jahre Haft. Nur so viel ist
       sicher: Von seinen Überzeugungen abbringen wird Kenan Ayaz das Urteil
       nicht.
       
       28 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.generalbundesanwalt.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/Pressemitteilung-vom-30-08-2023.html?nn=1650120
   DIR [2] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__129b.html
   DIR [3] https://goekay-akbulut.de/wp-content/uploads/MF-47-MdB-Akbulut-1.pdf
   DIR [4] /PKK-in-Deutschland-und-der-Tuerkei/!5282904
   DIR [5] https://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-recep-tayyip-erdogan-erklaert-friedensprozess-mit-kurden-fuer-beendet-a-1045653.html
   DIR [6] https://www.akweb.de/bewegung/wenn-tee-trinken-zur-betaetigung-fuer-die-pkk-wird-antonia-von-der-behrens-ueber-den-fall-kenan-ayaz/
   DIR [7] https://anfdeutsch.com/frauen/ferit-Celik-wegen-deutschem-haftbefehl-in-schweden-festgenommen-41180
   DIR [8] https://anfdeutsch.com/frauen/deutschland-fordert-auslieferung-von-kurdin-aus-frankreich-42607
   DIR [9] /Tag-der-kurdischen-Sprache/!5685945
   DIR [10] /Gewalt-in-tuerkischen-Kurdengebieten/!5220242
   DIR [11] https://anfdeutsch.com/hintergrund/pkk-prozess-in-hamburg-personliche-erklarung-von-kenan-ayaz-40038
   DIR [12] https://anfdeutsch.com/aktuelles/deckname-kenan-pkk-prozess-in-hamburg-eroffnet-39672
   DIR [13] /PKK-Prozess-in-Hamburg/!5968183
   DIR [14] https://anfdeutsch.com/aktuelles/deckname-kenan-pkk-prozess-in-hamburg-eroffnet-39672
   DIR [15] /Kurdischen-Fluechtlingen-droht-Massensterben/!1723745/
   DIR [16] /Debatte-PKK-Verbot-in-Deutschland/!5034136
   DIR [17] /Verbotene-Kurdische-Arbeiterpartei/!5850309
   DIR [18] /PKK-Gruender-Abdullah-Oecalan/!5491509
   DIR [19] /Soziologe-ueber-deutsches-PKK-Verbot/!5970077
   DIR [20] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/sicherheit/vsb2023-BMI24018.pdf?__blob=publicationFile&v=10
   DIR [21] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__129b.html
   DIR [22] https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-202649.html
   DIR [23] https://www.faz.net/aktuell/politik/rueckkehr-in-die-tuerkei-so-sieht-erdogan-seinen-besuch-in-berlin-19324031.html
   DIR [24] /NATO-Beitritt-Schwedens-und-Finnlands/!5900008
   DIR [25] https://www.fr.de/politik/tuerkei-peter-frank-erdogan-generalbundesanwalt-besuch-bundesregierung-zr-91747500.html
   DIR [26] /Tuerkische-Angriffe-auf-Kurden-in-Syrien/!5929943
   DIR [27] /IS-Gefangene-in-Syrien/!5940042
   DIR [28] /Deutsche-Ruestungsexporte-in-die-Tuerkei/!5697416
   DIR [29] /Kurdisch-verwaltete-Region-in-Syrien/!5827362
   DIR [30] https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-03/militaeroffensive-afrin-tuerkei-bundestag-voelkerrecht
       
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