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       # taz.de -- Prozess zu Verbrechen in Syrien: Beihilfe zur Staatsfolter
       
       > Ein Mitarbeiter des Assad-Regimes wird wegen Verbrechen gegen die
       > Menschlichkeit verurteilt: Eyad A. muss für Jahre in Haft. Das gab es so
       > noch nie.
       
   IMG Bild: Muss für viereinhalb Jahre ins Gefängnis: Eyad A. soll in Syrien beim Foltern geholfen haben
       
       Koblenz taz | Vor dem Oberlandesgericht in Koblenz sitzt am frühen
       Mittwochmorgen Serda Alshehabi und malt an einem Plakat. „Erster Schritt,
       aber mein Vater und 130.000 sind noch immer verhaftet“, steht darauf,
       daneben klebt sie ein Foto von ihm. Es ist ein Kommentar zu dem, was gleich
       in Saal 120 geschehen wird: Die Verkündung eines [1][weltweit bislang
       einzigartiges Urteils].
       
       Es geht um Eyad A., 44, einen ehemaligen Mitarbeiter des syrischen
       Geheimdienstes. Das Gericht verurteilt ihn wegen Beihilfe zu Verbrechen
       gegen die Menschlichkeit zu vier Jahren und sechs Monaten Haft. Konkret
       wird A. der Beihilfe zu Folter und schwerwiegender Freiheitsberaubung in 30
       Fällen schuldig gesprochen.
       
       In der Urteilsbegründung, die über Lautsprecher im vollbesetzten
       Zuschauerraum auf Arabisch übersetzt wird, geht es aber zunächst gar nicht
       um den Angeklagten. Gut eine Stunde lang spricht Anne Kerber, die
       Vorsitzende Richterin, über das syrische Regime, das mit Hilfe von
       Geheimdiensten und Militär seine Macht sichert – und über die
       Demonstrationen dagegen, die brutal niedergeschlagen werden.
       
       Sie spricht über zu volle Gefängnisse und grausame Folter. Über
       Massengräber, in denen die Opfer verscharrt werden. Und über die
       „Caesar“-Dateien, die ein ehemaliger syrischer Militärfotograf von
       getöteten Gefangenen gemacht und aus dem Land geschleust hat.„Erlauben Sie
       mir eine persönliche Bemerkung“, sagt Kerber da. „Diese Bilder werde ich
       nicht vergessen.“
       
       ## Jagd auf fliehende DemonstrantInnen
       
       Die Richterin spricht von einem „systematischen Angriff auf die
       Bevölkerung“ und macht damit klar: Die Gräueltaten des Assad-Regimes sind
       Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es ist das, was diesen Prozess
       international bedeutsam macht: Das Oberlandesgericht Koblenz ist das erste
       Gericht weltweit, das dies bestätigt.
       
       Eyad A. [2][trat mit 20 dem syrischen Geheimdienst bei] und arbeitete dort
       gut 15 Jahre, zuletzt in der Unterabteilung 40, so trägt Kerber aus dem
       Urteil vor. Leiter der Abteilung ist Hafez Makhlouf, ein Cousin Assads. An
       einem Freitag im September oder Oktober 2011 sollten etwa tausend
       Sicherheitskräfte, darunter der Angeklagte, eine Demonstration in Duma
       unterbinden.
       
       „Zwischen 3.000 und 6.000 Menschen demonstrierten friedlich, saßen auf
       der Straße oder tanzten“, sagt Kerber. Die Angehörigen der Abteilung 40
       „hatten Befehl, auf Demonstranten zu schießen“.
       
       Makhlouf selbst tat dies und einige Mitarbeiter, der Angeklagte nicht. „Er
       zog sich zurück, damit es nicht auffiel“, so die Richterin. Wohl aber
       machte Eyad A. Jagd auf fliehende DemonstrantInnen, nahm 30 von ihnen fest
       und brachte sie in die Al-Khatib-Abteilung, wo sie brutal gefoltert wurden.
       
       ## Schreie, die bis in die Cafeteria zu hören waren
       
       Der Angeklagte habe von dem systematischen Angriff des Regimes auf die
       Bevölkerung gewusst, sagt Kerber. Auch die Grausamkeiten, denen die
       Gefangenen in der Abteilung unterzogen wurden, seien ihm bekannt gewesen.
       Er selbst habe ausgesagt, man habe die Schreie der Gefolterten bis in die
       Cafeteria gehört. Deshalb wird er wegen Beihilfe verurteilt.
       
       Dass Eyad A. „relativ früh“ desertiert sei und später, als Flüchtling in
       Deutschland, beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und dann bei der
       Polizei weitreichende Angaben machte, auf die die Anklage im Wesentlichen
       beruht, wertet das Gericht zu seinen Gunsten. Auch habe er durch die
       Befehlsstruktur unter Handlungsdruck gestanden.
       
       Hinzu kommt: Weil die Polizei A. nicht klarmachte, dass er nicht nur als
       Zeuge galt, konnte seine Aussage lediglich zum Teil verwendet werden und
       die Anklage reduzierte sich.
       
       Die Bundesanwaltschaft hatte für A. fünfeinhalb Jahre Haft gefordert, sein
       Verteidiger auf Freispruch plädiert. Das Gericht hatte zuvor den Prozess
       gegen Eyad A. vom Hauptverfahren abgetrennt. Gegen den Hauptangeklagten
       Anwar R. wird weiter verhandelt. Oberstaatsanwalt Jasper Klinge betonte
       nach der Verkündung die große Bedeutung des Urteils gegen Eyad A. Dies, so
       Klinge, sei auch ein Signal an die Täter.
       
       „Das Urteil kann nur ein erster Schritt auf einem langen Weg zur
       Gerechtigkeit sein“, sagte Wassim Mukdad, syrischer Überlebender und
       Nebenkläger im Hauptverfahren. Patrick Kroker, der Mukdad und andere
       Nebenkläger vertritt, betonte: „Die Relevanz der Beweise reicht weit über
       das Verfahren in Koblenz hinaus.“ Eyad A.s Verteidiger kündigte an, in
       Revision zu gehen.
       
       24 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
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