URI: 
       # taz.de -- Publizist Fücks über Putins Krieg: „Protest von unten reicht nicht“
       
       > Ruiniert sich Putin mit dem Ukrainekrieg selbst? Der Grünen-Politiker
       > Ralf Fücks sieht das so. Aber um die Ukraine zu retten, müsse der Westen
       > nun handeln.
       
   IMG Bild: Soweit ist es gekommen: Menschen füllen am 3. März 2022 Sandsäcke für Barrikaden auf dem Maidan
       
       taz: Herr Fücks, als Sie 2017 das Zentrum Liberale Moderne gründeten, sahen
       sie die Ukraine bereits als Schlüsselstaat in der Auseinandersetzung um die
       westliche Demokratie. Warum? 
       
       Ralf Fücks: Schon mit den Maidan-Protesten 2014 wurde die Ukraine zum
       zentralen Schauplatz für die Auseinandersetzung zwischen der europäischen
       Demokratie und dem Autoritarismus. Das ganze Szenario war damals schon
       sichtbar. Die russische Annexion der Krim, die verdeckte Militäroperation
       in der Ostukraine – es wurde klar, dass Putin die Ukraine nicht gewaltfrei
       ziehen lassen würde. Damals war die Begeisterung über den demokratischen
       Aufbruch auf dem Maidan groß. Aber die Europäer haben nicht realisiert,
       dass er in einen massiven Konflikt mit dem Kreml führen wird. Für Putin ist
       die Ukraine das Kronjuwel des russischen Imperiums.
       
       Wie wäre der zu lösen gewesen? 
       
       Wenn man vor einem Nato-Beitritt der Ukraine zurückschreckt, dann blieb ein
       Beitritt zur EU, und zwar Fast-Track. Dazu hätte gehört, die Ukraine
       militärisch so zu stärken, dass sie in der Lage ist, Putin ernsthaft vor
       einem Angriff abzuschrecken. Zu glauben, man könnte die Westintegration der
       Ukraine vorantreiben, ohne ihre Verteidigungsfähigkeit zu stärken, war
       bestenfalls naiv.
       
       Sie haben früh gewarnt. Wie hat man bei den Grünen darauf reagiert? 
       
       Es gab schon viel Sympathie für den demokratischen Aufbruch in der Ukraine.
       Der Maidan war ja eine proeuropäische und antiautoritäre Revolte. Aber es
       fehlte die Einsicht, dass wir nicht Solidarität mit der Ukraine und ihrem
       Weg nach Europa üben und ihr gleichzeitig die Mittel zur Selbstverteidigung
       verwehren können. Große Teile der deutschen Politik wollten nicht
       realisieren, welches Monster wir mit unseren Energie-Euros gefüttert haben
       – dass Russland sich unter Putin in eine revanchistische Macht verwandelt
       hat. Er will Revanche für 1990, für den Zerfall der UdSSR. An den Kriegen
       in Syrien und Georgien konnte man sehen, dass Putin sich an keinerlei
       Regeln des Völkerrechts mehr bindet und auch keine Grenzen in der Anwendung
       von Gewalt kennt. Übrigens gab es bei den Grünen mehr Stimmen als in
       anderen Parteien, die davor gewarnt haben.
       
       Aber es gab auch Gegenstimmen. Wurden die Warnungen vor zu viel
       Nachgiebigkeit gegenüber Putin im grünen Milieu als Hindernis für eine
       rot-rot-grüne Koalition aufgefasst? 
       
       Ja, das ist ja klar, Rot-Rot-Grün wäre außenpolitisch das komplette
       Gegenteil. Ausnahmsweise gebe ich Gregor Gysi recht, wenn er sagt, wir
       können froh sein, dass es gerade keine R2G-Regierung gibt.
       
       Auch in der SPD und der CDU gab es starke Fraktionen, die die Nähe zum
       Kreml gesucht haben. Wer hat aus Ihrer Sicht dabei den größten Schaden
       angerichtet? 
       
       Ich will da keine Rangliste aufstellen. Es war ein fatales Zusammenspiel
       aus Furcht vor einem Konflikt mit Russland – die ja nicht unbegründet ist –
       mit einer naiven Vorstellung von Dialog als Allheilmittel, als könne man
       alle Konflikte durch Kompromisse und Geld lösen. Diese Vorstellung saß sehr
       tief in der deutschen Politik. Hinzu kamen ökonomische Sonderinteressen,
       vor allem die „Energiepartnerschaft“ mit Russland. Man konnte prima
       Geschäfte machen und sich dabei der Illusion des Wandels von Annäherung
       hingeben.
       
       Gab es Punkte, an denen Sie ein Umdenken erwartet hatten – etwa der
       Tiergarten-Mord? 
       
       Es gab ja nicht nur den Tiergarten-Mord: Es gab die Nowitschok-Morde, es
       gab den Abschuss der malaysischen Passagiermaschine über der Ostukraine,
       die Vergiftung Alexander Nawalnys, einen tagelangen orchestrierten
       Hackerangriff auf den Bundestag. Die Große Koalition ist immer
       zurückgescheut vor einer harten Antwort. Das hat bei Putin das Bild
       erzeugt: Der Westen ist schwach, er ist nicht bereit, einen Preis zu zahlen
       für die Verteidigung seiner Werte und Interessen. Er weicht jedem Konflikt
       aus. Das hat ihn ermutigt, mit dem Angriff auf die Ukraine den nächsten
       Schritt zu gehen.
       
       In vielen EU-Staaten haben sich populistische Bewegungen bei Putin
       angebiedert und ihn als autoritäres Role-Model gesehen. Welche Folgen wird
       der Krieg für sie haben? 
       
       Ich hoffe, dass es ein Erwachen sein wird, auch für die französischen
       Präsidentschaftswahlen, und dass ihre Putin-Sympathie den Rechts- und
       Linkspopulisten jetzt auf die Füße fällt.
       
       Viele warnen, Putins Feldzug würde jenseits der Ukraine weitergehen. Aber
       die Sanktionen gehen dem russischen Staat schon jetzt an die Substanz. Die
       US-Bank Morgan Stanley etwa rechnet mit einem Staatsbankrott bis Mitte
       April. Wie soll Putin unter diesen Umständen weiter Krieg führen können? 
       
       Ich gehe auch davon aus, dass dieser Krieg Russland politisch und
       ökonomisch ruinieren wird, dass Putin sich am Ende an der Ukraine
       verschluckt. Die Frage ist nur: Wird es dann noch eine Ukraine geben? Das
       Dramatische ist ja, dass Putin schon zu einem Zerstörungskrieg im großen
       Stil übergegangen ist, im Stil von Aleppo und Grosny. Er zerstört die
       Infrastruktur der Ukraine, es gibt schon jetzt eine humanitäre
       Katastrophe, Lebensmittel werden knapp, die Strom- und Wasserversorgung in
       den belagerten Städten bricht zusammen. Zu warten, bis Putin irgendwann das
       Geld ausgeht, könnte für die Ukraine zu spät kommen. Wir müssen der
       russischen Kriegsmaschine jetzt den Geldhahn abdrehen. Die Sanktionen, die
       bislang eingeleitet sind, wirken erst mit zeitlicher Verzögerung. Wir
       stehen aber vor einer kurzfristigen Entscheidung über Leben und Tod.
       
       Wenn Russland sich am Ende an der Ukraine verschluckt – wie würde das genau
       aussehen? 
       
       Das wissen wir nicht. Wir wissen auch nicht, ob ein Zusammenbruch des
       Putin-Regimes zu einer Liberalisierung Russlands oder zu einer
       Radikalisierung des russischen Nationalismus führt. Ich würde nicht auf
       einen kurzfristigen Sturz Putins setzen. Dafür ist der Repressionsapparat
       zu stark, den er aufgebaut hat. Er hat jeden Ansatz einer organisierten
       Opposition zerstört, bis hin zur totalen Informationskontrolle.
       
       Wie lange ist die haltbar? 
       
       Wenn man nach China blickt, ist eine rigide Kontrolle der
       Informationssphäre durchaus möglich, solange das Regime die Server
       kontrolliert und abweichende Meinungen mit harten Strafmaßnahmen verfolgt.
       In Russland drohen jetzt 15 Jahre Haft für die Kritik an Putins
       Kriegspolitik. Man darf die Macht des Terrors nicht unterschätzen. Wir
       müssen mehr Gegeninformation und alternative Informationskanäle
       bereitstellen, um einen Keil zwischen den Machtapparat und die große
       Mehrheit der Bevölkerung zu treiben. Protest von unten reicht nicht. Es
       braucht die Spaltung der Machtelite über die Erkenntnis, dass Putin
       Russland in den Ruin führt. Das Abschneiden der Energieexporte spielt dabei
       eine zentrale Rolle. Darüber finanziert sich der ganze Regierungsapparat.
       
       Sie spielen auf Deutschlands Weigerung an, Öl- und Gasimporte zu stoppen. 
       
       Es besteht inzwischen weitgehend Konsens, dass wir uns so schnell wie
       möglich aus der Abhängigkeit von Energieimporten aus Russland befreien
       müssen. Aber wenn wir Putins Krieg stoppen wollen, müssen wir Putin hier
       und jetzt den Geldhahn abdrehen. Man könnte zumindest mit partiellen
       Sanktionen gegen den russischen Energiesektor beginnen – etwa einem
       Ölembargo, gemeinsam mit den USA. Eine weitere Option ist die Stilllegung
       von Nord Stream 1. Letztlich ist die Frage, welchen Preis wir bereit sind
       zu zahlen für die möglichst schnelle Beendigung eines Krieges, der immer
       stärker Völkermordcharakter bekommt.
       
       Was folgt daraus für Sie? 
       
       Dieser Krieg hat für mich die gleiche Dimension wie Covid oder der
       Klimawandel. Wir haben bei Covid massive Einschränkungen hingenommen und
       bringen 300 Milliarden auf, um die ökonomischen Folgen abzufedern. Wir sind
       bereit, Hunderte Milliarden für den European Green Deal auszugeben. Der
       Krieg in der Ukraine entscheidet über die Zukunft Europas. Wir wissen
       nicht, wo Putin haltmachen wird, wenn er den Westen als schwach erlebt. Ob
       er als Nächstes die Nato im Baltikum testet oder einen Landkorridor nach
       Kaliningrad reklamiert. Wenn wir jetzt nicht bereit sind, den Preis zu
       zahlen, um Putin zu stoppen, könnte er in Zukunft sehr viel höher sein.
       
       Anfang Februar sagten Sie der Zeit: „Ich halte Putin trotz allem für einen
       kühl kalkulierenden Machtpolitiker.“ Ist das immer noch so? 
       
       Ich weiß nicht, wie er reagieren wird, wenn er mit dem Rücken an der Wand
       steht und realisiert, dass er sich völlig verrechnet hat mit der
       Vorstellung, die Ukraine würde ihm in den Schoß fallen. Aber ich denke
       immer noch, dass er Kosten und Risiken kalkuliert. Das ist die Logik, in
       der man mit ihm kommunizieren muss. Putin versteht nur die Sprache der
       Macht.
       
       9 Mar 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Jakob
       
       ## TAGS
       
   DIR Russland
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Wladimir Putin
   DIR Bündnis 90/Die Grünen
   DIR Euromaidan
   DIR Russland
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Osteuropa
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Russland
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Putins Krieg gegen die Ukraine: Hunderte Festnahmen in Russland
       
       Jeden Protest gegen den Ukraine-Krieg versucht die Polizei zu unterdrücken,
       aber es gelingt ihr nicht. Viele Russ:innen zeigen Widerstand.
       
   DIR Protest gegen Ukraine-Krieg: Bundesweite Demos für Frieden
       
       Zahlreiche Menschen wollen am Sonntag erneut gegen den Krieg protestieren.
       Beim Thema Waffenlieferungen ist die Friedensbewegung weiter gespalten.
       
   DIR Institut sammelt Untergrundliteratur: Sicherer Hafen geheimer Schriften
       
       Die Bremer Forschungsstelle Osteuropa wurde in der Polen-Krise von 1982
       gegründet. Sie hat ein riesiges Archiv und etliche Dissidentennachlässe.
       
   DIR +++ Nachrichten zum Ukrainekrieg +++: Schröder in Moskau
       
       Der Nachrichtenseite Politico zufolge will der Ex-Kanzler in Moskau
       vermitteln. Das AKW Tschernobyl hat wieder Strom.
       
   DIR Folgen der harten Sanktionen: Russland droht die Pleite
       
       Wegen der harten Sanktionen könnte der russische Staat bald zahlungsunfähig
       sein. Davon wären auch deutsche Banken und Versicherer betroffen.
       
   DIR Wider den russischen Einmarsch: Selenski will sich nicht beugen
       
       Die Ukraine schießt drei russische Kampfjets ab, bleibt aber machtlos gegen
       den Beschuss vieler Städte. Zivilist:innen bleibt nur die Flucht.
       
   DIR Antikriegsproteste in Russland: Tausende Festnahmen
       
       In vielen russischen Städten kommt es zu Protesten gegen Putins Krieg in
       der Ukraine. Sicherheitskräfte gehen brutal gegen DemonstrantInnen vor.