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       # taz.de -- Putins Krieg und Atom-Drohungen: Die Ukraine ist sein Schicksal
       
       > Putin lässt Gebäude um ukrainische Atomkraftwerke beschießen. Und er hat
       > Probleme an der Heimatfront. Wie rational handelt er?
       
   IMG Bild: Wladimir Putin während einer Sitzung des Sicherheitsrates per Videokonferenz am 3. März
       
       Die derzeitigen Kämpfe um die Atomkraftwerke in der Ukraine dürften einige
       der Älteren an die schlechten Nachrichten aus dem Jahre 1986 erinnern.
       Damals explodierte der Reaktor-Block 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl. Für
       viele im Westen war die Nuklearkatastrophe ein Schock. Der „Eiserne
       Vorhang“ existierte noch. Die radioaktive Wolke verseuchte weit über die
       Ukraine hinaus Territorien in Europa.
       
       Auch im Osten trugen das sich herumsprechende technologische Versagen sowie
       der zynische Umgang mit der Katastrophe zum beschleunigten Untergang der
       maroden Sowjetunion bei. Doch was sagen uns die Nachrichten über die nach
       russischen Beschuss vorübergehend brennende Gebäude beim ukrainischen
       Atomkraftwerk in Saporischschja heute? Was sollten sie uns sagen?
       
       Vielleicht dieses: Der Krieg von Putins Invasionstruppen gegen die Ukraine
       mit seinen Folgen rückt zusehends weiter auch an den Westen heran.
       
       Putins strategisches Vorgehen ist schwer einzuschätzen. Hält der russische
       Oberbefehlshaber die Nato, die baltischen Staaten und den Westen
       tatsächlich für so schwach, dass er sie ebenfalls jederzeit angreifen
       würde?
       
       ## Die Ukraine oder mehr?
       
       Oder versucht er mit symbolischen Bedrohungen wie rund um die
       Atomkraftwerke sowie der Drohung des Einsatzes von Nuklearwaffen die
       Demokratien einzuschüchtern – damit sie am Ende etwa froh sein sollen, dass
       der russische Tyrann seinen Angriff auf die Ukraine beschränkt und „nur“
       diese sich einverleibt?
       
       Kenner der postsowjetischen Gesellschaften, aber auch Militärexperten
       zweifeln allerdings daran, dass eine solche Rechnung Putins aufgehen
       könnte. Die Zeiten, in denen eine große Koalition ausgemusterter
       Regierungschefs – nicht nur der deutsche Schröder, auch österreichische
       Altkanzler wie Schüssel (ÖVP) oder Kern (SPÖ) – in russischem Sold
       Lobbyarbeit leisten oder es sich Oligarchen-Kumpels in London, Sankt Moritz
       oder an der Côte d’Azur gut gehen lassen, während breite Schichten in
       Russland leiden, sie sind auf lange Sicht vorbei.
       
       Wie viel ist der Rohstoff-Rubel-Reichtum der Oligarchen noch wert, so er
       nur hinter hohen Mauern im russischen Großreich selbst genossen werden kann
       – oder bei seltsamen Freunden in Nordkorea und Syrien. Die Drohung mit der
       Bombe, Isolation und Sanktionen, sie schaden auch Putins bisherigen
       Freunden.
       
       Ein großes, bevölkerungsreiches Land wie die Ukraine mit einer demokratisch
       gesinnten Bevölkerung wird sich zudem allein mit militärischen Mitteln kaum
       regieren lassen. Putins Invasionstruppen können viele Menschen töten und
       die Infrastruktur der Ukraine zerstören. Aber sie zahlen bereits jetzt
       selber einen hohen Preis dafür. Putin schwört die russische Gesellschaft
       nun auf hohe Verluste ein.
       
       ## Vom Manöver in den Sarg?
       
       Doch wie erklärt man einer ermüdeten Gesellschaft, dass ihre Söhne zu einem
       „Manöver“ auszogen und nun in Zinksärgen heimkehren? Putin [1][kann die
       Antikriegsdemos zerschlagen, Oppositionelle verhaften], kritische Medien
       schließen und seine absurden Propagandalügen über die Staatsmedien
       verbreiten. Doch wird dies alles nicht reichen, damit ihm die Menschen an
       der Heimatfront dauerhaft in einem verlustreichen Angriffskrieg folgen.
       
       Dass Putins Realitätssinn noch viel mit der Wirklichkeit zu tun hat,
       bezweifelt auch der ukrainische Schriftsteller Juri Andruchowytsch. „Aber
       fest steht“, sagte er in der FAZ, „dass die Ukraine auf gewisse Weise zu
       seinem Schicksal geworden ist.“
       
       Man möchte hoffen, dass Putin sie nicht zum Schicksal der ganzen Menschheit
       macht. Und ihm zusätzlich zur Niederlage in der Ukraine wünschen, daß ihm
       die Menschen an der Heimatfront in den Arm fallen werden.
       
       5 Mar 2022
       
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