URI: 
       # taz.de -- Racial Profiling bei den Behörden: „Das Selbstbild der Polizei hat Risse“
       
       > Bei den Sicherheitsbeamten regiert oft ein Dominanzgefühl, sagt der
       > Soziologe Rafael Behr. Er spricht sich für unabhängige Beschwerdestellen
       > aus.
       
   IMG Bild: Vereidigung von Polizistinnen und Polizisten. In ihrem Alltag herrscht noch oft eine Dominanzkultur.
       
       taz: Herr Behr, hat die Polizei in Deutschland ein strukturelles
       Rassismusproblem? 
       
       Rafael Behr: Ich würde nicht sagen, dass die Polizei strukturell
       rassistisch ist. Aber die Weigerung der Polizei, die Vielzahl von
       rassistischen Fällen in den eigenen Reihen systematisch anzuschauen und
       Mechanismen dagegen zu schaffen – das hat eine strukturelle Dimension.
       
       Wie kommt es zu diskriminierenden Praktiken wie Racial Profiling? 
       
       Das entspringt nicht immer einer rassistischen Haltung. Sondern aus einer
       Polizistenkultur, in der man immer überlegen ist und Widerstand gebrochen
       werden muss. Die Soziologin Birgit Rommelspacher bezeichnet das als
       Dominanzkultur.
       
       Was heißt das? 
       
       Dadurch werden Kontrollpraktiken möglich, die allein darauf abzielen, Macht
       zu beweisen und sich Respekt zu verschaffen. Es wird nicht gefragt: Dürfen
       wir das? Ist das verhältnismäßig? Haben wir genug Verdachtsmomente?
       Stattdessen geht man nach einer Erfahrung vor, die aus einem Bauchgefühl
       kommt und nicht kriminalistisch begründet ist. Darunter fallen auch
       rassistisch motivierte Kontrollen, die nur auf Hautfarbe oder Herkunft
       basieren. Natürlich geht es auch anders und nicht alle handeln so, aber da
       lauern die Gefahren.
       
       Wird in der Ausbildung hinreichend für Diskriminierung und Rassismus
       sensibilisiert? 
       
       Es wird etwas getan, aber meines Erachtens nicht hinreichend. Man lehrt
       Verfassungsinhalte, aber geht oft nicht weiter und bespricht, welche
       Dimensionen Racial Profiling haben kann oder wann Rassismus anfängt, in
       Handlungen überzugehen. Und wie man prophylaktisch damit umgeht. Wenn sie
       Glück haben, kommen die Studierenden an Lehrkräfte, die etwas weiter gehen.
       In der Regel stehen die aber in der Beliebtheitsskala der Studierenden
       nicht ganz oben.
       
       Warum? 
       
       Weil sie Salz in die Wunde streuen. Zeigen, dass das Selbstbild „Wir sind
       die Guten“ Risse hat. Das wird oft als Kränkung empfunden. In diesem Punkt
       ist die Polizei ein hermetisch abgeschlossenes System, das gern von seiner
       Unfehlbarkeit überzeugt wäre. Deswegen wird auch immer nur über Einzelfälle
       gesprochen und jede Kritik von außen wird als generalisiertes Misstrauen
       abgetan. In einer demokratischen Gesellschaft darf es aber keine Apparate
       geben, die nicht überprüfbar sind.
       
       Welche Kontrollmechanismen schlagen Sie vor? 
       
       Studierende kommen meist mit einem demokratischen Bewusstsein in die
       Polizei. Dann gehen sie in die Praxis und erleben, dass Kritik an Kollegen
       nicht erwünscht oder zumindest schwer ist. Deswegen plädiere ich für einen
       unabhängigen Polizeibeauftragten. Eine Stelle außerhalb des
       Hierarchiesystems der Polizei, an die sich Beamte wenden können, wenn sie
       Dinge mitbekommen, die nicht rechtens sind – anonym und ohne das Risiko,
       ausgeschlossen zu werden. Nicht nur eine Beschwerdestelle, sondern eine
       machtvolle Institution mit Eingriffsbefugnis, die Akten anfordern,
       Gespräche initiieren, aber auch anweisen kann, Mobiltelefone
       sicherzustellen.
       
       Was müsste sich in der Ausbildung und im Studium ändern? 
       
       Die politische Bildung muss verstärkt werden, gerade bei der
       Auseinandersetzung mit Ideologien der Ungleichwertigkeit. Das läuft nämlich
       auf Sparflamme. Auch sollte man konkrete Szenarien üben. Hier wären
       Antidiskriminierungstrainings auszubauen, auch um zu verdeutlichen, dass es
       so etwas wie Alltagsrassismus gibt. Drittens braucht es psychosoziale
       Begleitung in der Ausbildung und im Dienst, etwa durch eine kollegiale
       Supervision oder frühzeitige Fortbildungen.
       
       Sie sprechen sich auch für ein Sozialpraktikum aus. 
       
       Genau. Studierende werden schnell in das Herrschaftsdenken eingebunden.
       Ziel wäre für mich aber, dass man lernt, sorgfältig mit seinen Machtmitteln
       umzugehen. Wenn man mehrere Wochen in eine Welt reinschaut, wo nicht alles
       so geregelt ist wie im Beamtentum, erkennt man, dass die Menschen nicht nur
       Probleme machen, sondern auch selbst Probleme haben. Das lernt man nicht in
       einer Polizeidienststelle, sondern zum Beispiel bei einer Tafel.
       
       Kann man die deutsche Polizei mit der in den USA vergleichen? 
       
       Ich glaube, es verbietet sich, direkte Vergleiche zu ziehen. Aber es ist
       gefährlich, wenn wir immer nur auf die Stärkung der Polizei achten, sie
       immer weiter militärisch ausrüsten, ihr einen Kampfgedanken und
       Freund-Feind-Verhältnisse in den Kopf setzen, so wie das in den USA zu
       beobachten ist. Ich will keine chauvinistische Machokultur, die sich nicht
       mehr einfangen lässt, weil keiner Widerspruch wagt. Das wäre für unsere
       Demokratie eine Bankrotterklärung.
       
       25 Jun 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sarah Zaheer
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Polizei Hamburg
   DIR Fremd und befremdlich
   DIR Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Polizei Bremen
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Black Lives Matter
   DIR Migrantifa
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Neue Beschwerdestelle in Hamburg: An der kurzen Leine
       
       Hamburgs Polizei hat eine neue Beschwerdestelle für polizeiliches
       Fehlverhalten eingerichtet. Diese ist extern gelegen. Aber nicht
       unabhängig.
       
   DIR Vater über Festnahme von 15-Jährigem: „Er ist Opfer von Polizeigewalt“
       
       In der vergangenen Woche nahmen acht Beamt*innen den Schüler Kadir H.
       brutal fest. Vater Baki H. fragt sich, wie die Situation so eskalieren
       konnte.
       
   DIR Racial Profiling bei der Polizei: Ein Gefühl der Ohnmacht
       
       Die Hautfarbe kann darüber entscheiden, ob die Polizei einen kontrolliert
       oder festnimmt. Es mangelt an einer Fehlerkultur bei der Polizei.
       
   DIR Geplantes Polizeigesetz in Bremen: Ansage gegen Racial Profiling
       
       Ein neues Gesetz soll mehr Möglichkeiten bieten, die Polizei zu
       kontrollieren. Gleichzeitig wird aber die Überwachung der Bürger*innen
       ausgeweitet.
       
   DIR Polizeigewalt in Hamburg: Ein Irrtum mit Folgen
       
       Der Altenpfleger John H. ist grundlos ins Visier von Hamburger
       Zivilfahndern geraten. Die Folgen der Verletzungen begleiten ihn bis heute.
       
   DIR Polizeifreie Zone in Seattle: Kurzer Frieden
       
       AktivistInnen haben in der US-Metropole Seattle eine „Autonome Zone“ ohne
       Polizei ausgerufen. Zunächst lief es friedlich, doch dann fielen Schüsse.
       
   DIR Migrantifa über Rassismus: „Wir vertrauen der Polizei nicht“
       
       Bündnisse von rassismusbetroffenen Menschen protestieren gegen staatliche
       Gewalt. Auch in Berlin fordern sie, der Polizei nun Gelder zu entziehen.