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       # taz.de -- Räumung der Habersaathstraße in Berlin: Ohne Vorwarnung auf die Straße geworfen
       
       > Seit Jahren wehren sich die Bewohner:innen der Habersaathstraße gegen
       > den Abriss. Am Montagmorgen räumte die Polizei überraschend zwölf
       > Wohnungen.
       
   IMG Bild: Einsatz in der Habersaathstraße am frühen Montagmorgen
       
       Alles, was Silke Brey von ihrer Wohnung in Berlin-Mitte noch bleibt, ist
       ein Einkaufswagen mit ihren Habseligkeiten. „Das Wichtigste ist die Katze,
       ich hoffe, dass ich ansonsten an alles gedacht habe“, sagt Brey. Sie habe
       noch geschlafen, als die Polizei mitsamt Gerichtsvollzieher frühmorgens an
       ihrer Tür klopfte; lediglich eine Viertelstunde habe sie gehabt, ihre
       Sachen zu packen und die Wohnung zu verlassen. Der Rest soll vernichtet
       werden.
       
       Das Haus in der Habersaathstraße 48, in dem Brey bis heute Morgen gewohnt
       hat, [1][ist ein umkämpftes Spekulationsobjekt]. Der Eigentümer will dort
       Luxuswohnungen errichten, doch die verbleibenden Mieter:innen
       verhinderten bislang trotz rabiater Entmietungsversuche einen Abriss des
       sich über die Aufgänge 42-48 erstreckenden Plattenbaukomplexes. 2021
       besetzen Aktivist:innen und wohnungslose Menschen 30 der leerstehenden
       Wohnungen. Am Montagmorgen räumte die Berliner Polizei einen Teil davon.
       
       Um 5.30 Uhr rückte ein Großaufgebot von 150 Beamten an und sperrte die
       Straße. „Wir folgen einem Amtshilfegesuch des Gerichtsvollziehers“,
       erklärte ein Polizeisprecher. Es gehe um zwölf Wohnungen im Aufgang der
       Habersaathstraße 48. Man habe zwei Bewohner:innen angetroffen, die ihre
       Wohnungen freiwillig verlassen hätten – Silke Brey und ihren Partner.
       
       Brey betont allerdings, sie sei von der Räumung überrascht worden. „Post
       ist keine gekommen“, sagt sie. Sie hätten erst durch das Klopfen der
       Polizei erfahren, dass sie geräumt werden sollen. Da die ehemals
       obdachlosen Bewohner:innen nicht polizeilich gemeldet sind, konnte
       ihnen auch keine Post zugestellt werden.
       
       ## Einspruch unmöglich
       
       Auch Daniel Diekmann, einer der letzten Mieter:innen der
       Habersaathstraße, hat erst durch Zufall am Freitag durch einen Aushang am
       Amtsgericht von der Räumung erfahren. „Da wurde niemand informiert“, sagt
       Diekmann.
       
       In der Folge konnten aber zumindest weitere Betroffene gewarnt werden. Bis
       auf Brey und ihrem Partner hatten die restlichen Bewohner:innen ohne
       Mietvertrag das Haus schon am Sonntagabend verlassen. „Eine Zwangsräumung
       ist die schlimmste Art, die Wohnung zu verlieren“, betont Diekman. Viele
       der Menschen, die hier wohnten, hätten Gewalt erlebt.
       
       Zudem schafften es die Unterstützer:innen, eine Protestaktion am
       Montagmorgen zu organisieren. Rund 70 Menschen versammelten sich in der
       Frühe am Haus, die Polizei verbannte die Kundgebung allerdings rund 100
       Meter weiter auf einen Gehweg.
       
       Zeit, rechtliche Schritte gegen die Räumungstitel einzulegen, blieb
       hingegen nicht. Als der Gerichtsvollzieher um 7 Uhr anrückte, hatte das
       Gericht noch nicht geöffnet. Auch Anwälte, die zur Unterstützung der
       Betroffenen vor Ort waren, hatten kaum Zeit, mit ihnen zu sprechen und sie
       über ihre Rechte aufzuklären. Am Montag verweigerte die Polizei den
       Anwälten immer wieder den Zugang zum Gebäude.
       
       Zudem gab es im Vorfeld keine Angebote für die Bewohner:innen, wo sie nach
       ihrer Räumung bei nächtlichen Temperaturen um den Gefrierpunkt unterkommen
       sollen.
       
       ## Ungewöhnliches Vorgehen
       
       Auch das Bezirksamt habe erst am Wochenende durch die Mobilisierung zum
       Gegenprotest von der geplanten Räumung erfahren, sagte der Sozialstadtrat
       von Mitte, Carsten Spallek (CDU), vor Ort. Der Bezirk biete den Betroffenen
       jetzt eine ordnungsrechtliche Unterbringung in Wohnheimen an. „Jede Person
       wird ein Angebot bekommen“, erklärte Spallek. Dafür müssten die Betroffenen
       sich im Rathaus in der Müllerstraße beim Bezirksamt melden.
       
       Doch Silke Brey und ihr Partner sind sich noch nicht sicher, ob sie das
       Angebot des Bezirks für eine Unterbringung annehmen werden. „Wohnheim ist
       total ätzend, außerdem ist es mit Tieren schwierig“. Die Katze würde sie
       nie zurücklassen. „Wenn es nicht klappt, gehen wir wieder auf die Straße“,
       sagt Brey.
       
       Während die Räumung des Aufgangs mit der Nummer 48 ohne Widerstand ablief,
       wurde aus dem benachbarten Aufgang 46, der ein linksautonomes Wohnprojekt
       beherbergt, Pyrotechnik auf die Polizei geworfen. Durch Schilde gesichert
       brachen die Beamten die Sicherheitstür auf und stellen die Personalien
       zweier Personen im Hausflur fest. Eine Räumung des Aufgangs erfolgte
       allerdings nicht.
       
       ## Rabiate Entmietung
       
       Dennoch scheint es nur eine Frage der Zeit, bis der Eigentümer Andreas
       Pichotta weitere Räumungstitel erwirkt. Eine Sprecherin des Landgerichts
       bestätigt der taz auf Anfrage, dass es „weitere laufende Verfahren für das
       Objekt Habersaathstraße“ gebe.
       
       Zu den Gründen, warum weder der Bezirk noch die Bewohner:innen
       informiert wurden, konnte sich die Sprecherin mit Hinweis auf den Schutz
       der Privatsphäre der Beteiligten nicht äußern. Generell würden aber
       Betroffene und das Bezirksamt mindestens drei Wochen im Voraus informiert.
       
       Als „sozialpolitischen Skandal“ bezeichnet die mietenpolitische Sprecherin
       der Grünen Katrin Schmidberger die Räumung. „Es ist ein politisches
       Armutszeugnis, dass die Polizei hier Amtshilfe leisten muss, während der
       Eigentümer selbst seinen Pflichten nicht nachkommt.“
       
       Der Eigentümer Andreas Pichotta, Geschäftsführer der Arcadia Estates, war
       erst in der vergangenen Woche mit der Ankündigung in die Medien geraten,
       [2][die Fernwärmeversorgung für das gesamte Haus ab 1. November einstellen
       zu wollen.] Dabei haben zumindest die restlichen fünf Mietparteien einen
       rechtlichen Anspruch auf Fernwärme.
       
       ## Bezirk droht
       
       Der Schritt rief auch die Wohnungsaufsicht auf den Plan. Mittes Baustadtrat
       Ephraim Gothe (SPD) [3][sagte am Freitag gegenüber dem Tagesspiegel],
       Pichotta müsse bis Mittwoch eine Lösung finden, ansonsten drohe eine
       „Ersatzvornahme“ durch den Bezirk, die im schlimmsten Fall auch eine
       Treuhänderschaft des Hauses sein könne.
       
       Bei den Bewohner:innen des Hauses ist Pichotta durch seine rabiaten
       Entmietungspraktiken bekannt. [4][Im August 2023 demolierte ein Bautrupp
       mehrere Wohnungen] und baute die Stromzähler aus. Die Bewohner:innen
       ohne Mietvertrag haben seitdem keinen Strom, außerdem gibt es im gesamten
       Haus kein Warmwasser mehr.
       
       Im November vergangenen Jahres hatte das Landgericht eine Räumungsklage
       gegen einen ehemals obdachlosen Bewohner mit einem Vergleich beigelegt. Der
       Bewohner könne bleiben, solange der letzte Mieter noch nicht ausgezogen
       sei, urteilte das Gericht damals.
       
       Mieter Daniel Diekmann ist fassungslos angesichts der neuerlichen
       Eskalation. „Recht und Gesetz gelten in Mitte nicht für Mieter, sondern nur
       für Spekulanten“.
       
       20 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /taz-Serie-Was-macht-eigentlich-3/!6059011
   DIR [2] /Radikale-Entmietungspraktiken/!6121130
   DIR [3] https://www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-wirtschaft/umkampftes-haus-in-der-habersaathstrasse-jetzt-droht-der-bezirk-dem-eigentumer-mit-entmachtung-14597891.html
   DIR [4] /Immobilienspekulation-in-Berlin/!5949416
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jonas Wahmkow
       
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