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       # taz.de -- Reaktion auf Nazi-Terror: Der Staat gegen Rechts
       
       > Von „Hasspostings bekämpfen“ bis „Behörden aufstocken“: Was steht im
       > Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus?
       
   IMG Bild: Nazis morden nie alleine. Hat die Bundesregierung das nun auch eingesehen?
       
       Berlin und Freiburg taz | Nach dem [1][Anschlag von Halle] sollte es
       schnell gehen. Die Zeit des Redens sei vorbei, nun brauche es Taten,
       kündigte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) an. Und am Mittwoch
       lieferte das Kabinett: Es präsentierte in Berlin ein Maßnahmenpaket gegen
       Rechtsextremismus, neun Punkte stark.
       
       Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) sprach von einem „maßvollen,
       aber sehr notwendigen Paket“. Seehofer betonte, man gehe nach der Tat nicht
       zur Tagesordnung über. „Das Signal ist klar: Wir handeln.“
       Familienministerin Franziska Giffey (SPD) betonte auch den Wert von
       zivilgesellschaftlichem Engagement für die Demokratie: Dieses müsse noch
       mehr finanziell und strukturell abgesichert werden.
       
       Einige der neun Maßnahmen bleiben noch sehr vage oder waren schon länger
       geplant, teils schon nach dem [2][Mord am Kasseler Regierungspräsidenten
       Walter Lübcke], teils noch davor. Andere zuletzt diskutierte Punkte fehlen.
       Den besseren Schutz von Synagogen etwa erklärte Seehofer als „bereits
       erledigt“. Wie man Rechtsextreme auf Onlineplattformen aufspürt, wo der
       Halle-Attentäter Stephan B. aktiv war, bleibt dagegen offen – der CSU-Mann
       hatte hier eine „Gamer-Debatte“ losgetreten. Auch von Verboten
       rechtsextremer Gruppen wie Combat 18, der Vorratsdatenspeicherung oder
       einer Extremismus-Überprüfung von Sicherheitsbediensteten ist keine Rede
       mehr.
       
       Das Beschlossene im taz-Check:
       
       1) Hasspostings bekämpfen 
       
       Facebook und andere Netzwerke sollen nach der Meldung bestimmter strafbarer
       Posts (etwa Volksverhetzung oder Morddrohung) diese nicht nur löschen,
       sondern auch der Polizei melden. Dabei soll auch die IP-Adresse des
       mutmaßlichen Täters übermittelt werden. Um diese Anzeigen soll sich dann
       eine neu zu schaffende Zentralstelle beim BKA kümmern. Die Ermittler sollen
       einen Auskunftsanspruch gegenüber Internetprovidern bekommen, um zu
       erfahren, welcher Person die gemeldete IP-Adresse zum Tatzeitpunkt
       zugeteilt war. Die Koalition prüft, ob neben sozialen Netzwerken wie
       Facebook und Twitter künftig auch Gaming-Plattformen vom
       Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) erfasst werden, da auch dort viel Hass
       verbreitet wird. Die Änderung des NetzDG ist die wohl wichtigste
       Rechtsänderung, die das Maßnahmenpaket vorsieht.
       
       2) Beleidigungen und Gewaltaufrufe im Netz 
       
       Beleidigungen im Internet sollen künftig härter bestraft werden als
       sonstige Beleidigungen, weil sie potenziell mehr Menschen erreichen und
       länger Wirkung entfalten. Wenn für die Strafverfolgung von
       Internetbeleidigungen kein Strafantrag mehr erforderlich ist, können sie
       ins Netzwerkdurchsetzungsgesetz (siehe Abschnitt 1.) einbezogen werden.
       Verfahren wegen Beleidigung werden aber weiterhin meistens eingestellt. Die
       Regierung will zudem die bereits bestehenden Delikte „Aufforderung zu
       Straftaten“ und „Billigung von Straftaten“ ergänzen. Genaueres ist noch
       nicht geplant. Erstaunlicherweise wird das Delikt „Bedrohung“ nicht
       erwähnt, obwohl hier schon länger über eine Verschärfung diskutiert wird.
       Auch vage Bedrohungen („Wir wissen, in welche Schule deine Tochter geht“)
       könnten strafbar werden.
       
       3) Lokalpolitiker schützen 
       
       Das bereits bestehende Delikt „Verleumdung gegen Personen des politischen
       Lebens“ erfasst in der Praxis bisher nur Bundes- und Landespolitiker.
       Künftig sollen auch Kommunalpolitiker einbezogen werden. Die Gleichstellung
       hat symbolische Bedeutung: Verleumdung war ohnehin strafbar, es geht nur um
       eine Strafverschärfung.
       
       4) Verfassungsschutz gegen rechts 
       
       Der Verfassungsschutz soll seine Arbeit im Bereich Rechtsextremismus
       „intensivieren“, sich besser mit der Polizei vernetzen. Tatsächlich hat der
       Geheimdienst bereits seine Rechtsextremismus-Abteilung um die Hälfte
       aufgestockt – und konzeptionell umgesteuert. Priorität haben nun
       gewaltbereite Einzeltäter, bisher wurde vor allem auf verfassungsfeindliche
       Gruppen geschaut. Zudem will der Geheimdienst mehr das Internet scannen,
       ein „digitales Lagebild“ erstellen. Problem: Vieles läuft hier anonym, auf
       unzähligen Foren. Ob der Verfassungsschutz hierfür Konzepte und Experten
       findet, bleibt offen. Zuletzt jedenfalls hatte er weder den
       Halle-Attentäter noch den Lübcke-Mörder auf dem Schirm.
       
       5) Waffenrecht verschärfen 
       
       Der „Lebenszyklus“ von Waffen – von der Herstellung über Verkäufe bis zur
       Vernichtung – soll nun dokumentiert werden, um ein Verschwinden in der
       Illegalität zu erschweren. Auch sollen große Magazine verboten werden. Dies
       erfordert auch eine EU-Richtlinie, ein entsprechender Gesetzentwurf liegt
       dem Bundestag bereits vor. Neu auch: Wer künftig einen Waffenschein
       beantragt, soll mit einer Regelanfrage beim Verfassungsschutz überprüft
       werden. Auch Waffenbesitzer sollen so kontrolliert werden. Gibt es
       Auffälligkeiten, sollen die Waffenberechtigungen verweigert oder entzogen
       werden. Bisher galt dies nicht. So [3][besaßen zuletzt knapp 800
       behördenbekannte Rechtsextremisten dennoch Waffenbesitzkarten.] Die
       Verschärfung des Waffenrechts wurde deshalb bereits seit Langem diskutiert.
       Das Problem der neuen Regelung wird der Vollzug: Bereits heute verzögern
       etwa Reichsbürger durch Klagen ihre Waffenentzüge, auch fehlt den Ämtern
       Personal für Kontrollen. Und der Halle-Attentäter baute sich seine Waffen
       schlicht selbst, teils mithilfe eines 3D-Druckers. Hier fehlen bisher
       Gegenmaßnahmen.
       
       6) Schutz von Notdiensten 
       
       Wer medizinisches Personal von ärztlichen Notdiensten und in
       Notfallambulanzen angreift, soll künftig härter bestraft werden als bei der
       Körperverletzung normaler Menschen. Bisher besteht schon eine höhere
       Strafdrohung bei Angriffen auf Rettungspersonal im Außeneinsatz sowie von
       Polizisten und Feuerwehrleuten. Die geplante Änderung hat mit
       Rechtsextremismus und Hasskriminalität wenig zu tun, lag aber der CDU/CSU,
       insbesondere Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), am Herzen.
       
       7) Melderegistersperren 
       
       Schon bisher können Personen den Meldebehörden die Auskunfterteilung über
       ihre Wohnadresse verbieten, wenn „eine Gefahr für Leben, Gesundheit,
       persönliche Freiheit oder ähnliche schutzwürdige Interessen“ besteht.
       Dieser Schutz soll verbessert werden. Näheres ist noch nicht bekannt. Noch
       im Sommer hielt das Innenministerium hier Änderungen für unnötig.
       
       8) Prävention stärken 
       
       Die Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus soll ausgeweitet, die
       Förderung soll „auf hohem Niveau“ verstetigt werden. Auch kurzfristige
       „Nachjustierungen“ würden geprüft. Konkret verkündete Familienministerin
       Giffey, dass das Programm „Demokratie leben“ nun auch längerfristig nicht
       gekürzt, sondern bis 2023 weiter mit jährlich mindestens 115,5 Millionen
       Euro ausgestattet werde. Darauf einigte sie sich mit Finanzminister Olaf
       Scholz (SPD). Zuletzt hatten viele Demokratieprojekte eine Absage für die
       kommende Förderperiode von „Demokratie leben“ ab 2020 bekommen. Eine
       Kürzung des Programms um acht Millionen Euro wurde zunächst nur fürs
       kommende Jahr abgewendet. Die Initiativen fordern indes eine deutliche
       Aufstockung: auf 200 Millionen Euro jährlich. Auch kann sich Giffey bisher
       nicht mit einem Demokratiefördergesetz durchsetzen, mit dem sie die
       Projekte dauerhaft absichern will. Die Union stellt sich hier quer:
       Entscheidend sei die Qualität. Fehle diese, müssten Projekte auch wieder
       beendet werden können.
       
       9) Behörden aufstocken 
       
       Die Sicherheitsbehörden sollen mehr „Ressourcen“ im Kampf gegen rechts
       bekommen. Das BKA forderte hier zuletzt schon 440 Stellen mehr, der
       Verfassungsschutz 300. Ob es so kommt, entscheidet demnächst der Bundestag.
       Auch danach bliebe offen, wie schnell die Behörden die Stellen adäquat
       besetzen können. Der Verfassungsschutz will zudem das Recht, verschlüsselte
       Messenger wie WhatsApp mitlesen und Onlinedurchsuchungen durchführen zu
       dürfen. Im Maßnahmenpaket wird dies nicht explizit genannt – weil sich hier
       die SPD seit Monaten querstellt. Seehofer sprach am Mittwoch von
       „komplexeren Sachverhalten, die wir in aller Ruhe besprechen wollen“.
       
       30 Oct 2019
       
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