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       # taz.de -- Recherche hinterfragt Strafprozess: Vorwürfe gegen Österreichs Justiz
       
       > Julian Hessenthaler ist Urheber des „Ibiza-Videos“ und saß in Österreich
       > in Haft – wegen Drogen. Eine Recherche hinterfragt nun den Strafprozess.
       
   IMG Bild: Wegen Julian Hessenthalers „Ibiza-Video“ zerbrach 2019 die österreichische Regierung
       
       Der Detektiv Julian Hessenthaler, [1][Urheber des Videos] hinter der
       Ibiza-Affäre, erhebt schwere Vorwürfe gegen die [2][österreichische
       Justiz.] Dies berichtet [3][Correctiv in einer ausführlichen Recherche zum
       Fall]. Demnach nährten interne Dokumente Zweifel an der Verhältnismäßigkeit
       des Strafprozess gegen Hessenthaler. Im Zuge der Ermittlungen gegen ihn
       wurde unter anderem auch die Berliner Kanzlei des bekannten Medienanwalts
       Johannes Eisenberg überwacht, der regelmäßig auch die taz vertritt.
       
       Hessenthaler erklärte gegenüber Correctiv, er sei [4][zu Unrecht zu
       dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden]. Sein Anwalt in Österreich,
       Oliver Scherbaum, vermutet demnach ein politisch motiviertes Verfahren und
       habe Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht.
       Vor und nach der Veröffentlichung des „Ibiza-Videos“ hätten Beamte des
       Innen- und Justizministeriums sowie des Bundeskriminalamts versucht, seinen
       Mandanten Hessenthaler „durch eine strafrechtliche Verfolgung von
       Drogendelikten ‚mundtot‘ zu machen“, heißt es laut dem Medienbericht in der
       Beschwerde.
       
       Die sogenannte Ibiza-Affäre hatte 2019 zum Bruch der österreichischen
       Regierungskoalition von der konservativen ÖVP mit der rechtspopulistischen
       FPÖ geführt. Heimlich gefilmte Videoaufnahmen hatten den damaligen
       Vizekanzler und FPÖ-Parteichef Hans-Christian Strache und seinen
       Parteifreund Johann Gudenus dabei gezeigt, wie sie in einer Finca auf der
       spanischen Insel Ibiza Bereitschaft zur Korruption offenbarten. Außerdem
       sprachen sie auch darüber, wie sich für mehr politischen Einfluss
       Österreichs auflagenstärkstes und einflussreichstes Medium Kronen Zeitung
       übernehmen ließe.
       
       ## In Haft wegen Drogenhandels und Urkundenfälschung
       
       Hessenthaler hatte den Politikern eine Falle gestellt und die Videos
       aufgezeichnet. Die Süddeutsche Zeitung und das Nachrichtenmagazin Der
       Spiegel hatten die Aufnahmen später ausgewertet und 2019 in Teilen
       veröffentlicht. [5][Die taz hatte Hessenthaler 2021 interviewt, als er noch
       in Berlin inhaftiert war].
       
       Hessenthaler war im März 2022 zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden
       – allerdings wegen Drogenhandels und Urkundenfälschung, nicht wegen des
       Videos, dessen Herstellung in Spanien nicht strafbar war. Am 7. April wurde
       er nun frühzeitig aus der Haft entlassen. Zuvor durfte er bereits unter der
       Auflage, eine Fußfessel zu tragen, das Gefängnis verlassen.
       
       Laut Correctiv seien bis zum Ende des Prozesses keine Drogen bei
       Hessenthaler gefunden worden. Das Einzige, was gegen ihn gesprochen habe,
       seien widersprüchliche Zeugenaussagen gewesen. Der Richter habe Aussagen in
       der Urteilsbegründung zudem verdreht. Einer der beiden Belastungszeugen,
       ein ehemaliger Mitarbeiter von Hessenthaler, sei laut Correctiv auch eine
       Vertrauensperson des österreichischen Bundeskriminalamts gewesen und habe
       Geld bekommen, um Informationen über Hessenthaler zu sammeln.
       
       Von über zwanzig Soko-Mitgliedern hätten siebzehn gegen Hessenthaler
       ermittelt und nur drei für die Wirtschafts- und
       Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen Strache. Einer der österreichischen
       Ermittler sei zudem ein Fan von Strache gewesen und stand mit ihm
       mindestens einmal per SMS in Kontakt. Das sei dem Vorgesetzten bekannt
       gewesen.
       
       ## Deutsche Anwaltskanzlei wurde überwacht
       
       Im Zuge der Ermittlungen kam es zu massiven Überwachungsmaßnahmen auch in
       Deutschland. So wurde unter anderem die Berliner Kanzlei des Rechtsanwalts
       Johannes Eisenberg überwacht. Eisenberg hatte Hessenthaler als Anwalt
       vertreten. Correctiv berichtet von einer sogenannten Funkzellenüberwachung
       des Mobilfunknetzes der Region um dessen Kanzlei. Die deutsche Polizei habe
       Hunderttausende Handydaten abgefangen, die Verbindungen analysiert und
       damit „eine Art Rasterfahndung für Österreich“ durchgeführt.
       
       Johannes Eisenberg erklärte gegenüber der taz, die Funkzellenüberwachung
       seiner Kanzlei sei auf Wunsch der Staatsanwaltschaft Wien und einer
       Richterin auf Veranlassung der Soko „Tape“ seit August 2019 erfolgt. Er sei
       dagegen rechtlich vorgegangen, allerdings ergebnislos.
       
       Eisenberg spricht von „Fake-Vorwürfen“ gegen Hessenthaler. „Die gesamte
       Verdachtsschöpfung war von vorneherein rechtsbeugerisch“. Das Verfahren
       wirkte „grundrechtsleugnend“. Die Staatsanwaltschaft Wien habe sich
       geweigert, alle Zeugen zu vernehmen. „Man wird sagen müssen, dass
       Österreich kein Rechtsstaat ist.“
       
       ## Amnesty kritisiert
       
       Bereits zur Prozesseröffnung im September 2021 kritisierten Amnesty
       Österreich und 15 österreichische und internationale
       Menschenrechtsorganisationen die ausufernde Strafverfolgung gegen
       Hessenthaler, weil sie einen abschreckenden Effekt auf zukünftige
       Whistleblower und die Ausübung der Meinungsfreiheit in Österreich haben
       könnte.
       
       Anwalt Johannes Eisenberg beklagt zudem, dass die österreichischen Grünen
       Hessenthaler jede Unterstützung verweigert hätten und nur die Neos den Wert
       der Aufklärungsarbeit Hessenthalers respektiert hätten.
       
       17 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Verfilmung-der-Ibiza-Affaere/!5806119
   DIR [2] /System-Kurz-in-Oesterreich-und-die-Folgen/!5870766
   DIR [3] https://correctiv.org/aktuelles/justiz-polizei/2023/04/16/julian-hessenthaler-interview-ibiza-affaere-video-oesterreich-strache-kurz-affaere-ibizagate-boehmermann-skandal/
   DIR [4] /Urteil-gegen-Initiator-des-Ibiza-Videos/!5841310
   DIR [5] /Interview-mit-Ibiza-Video-Macher/!5752440
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jean-Philipp Baeck
       
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