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       # taz.de -- Rechtsextreme etablieren sich: Präsenz im Shopping-Paradies
       
       > Im schleswig-holsteinischen Neumünster eröffnen Rocker einen Laden in
       > bester Innenstadtlage. Mit dabei ist der Neonazi Peter Borchert.
       
   IMG Bild: Am Anfang gab noch keine zweifelhaften Mieter: Die Holsten-Galerie bei ihrer Eröffnung 2015
       
       Neumünster taz | Auf den ersten Blick zieht im schleswig-holsteinischen
       Neumünster am Samstag bloß ein Tattoo-Laden um. Und zwar in ein
       Shopping-Center in bester Lage – direkt am Bahnhof und mitten in der
       Innenstadt. In der Mittagspause bummeln gern Jugendliche durch die
       „Holsten-Galerie“ mit den rund 90 Geschäften, Cafés und Restaurants. Nun
       kommt eben mit dem „Famous Tattoo – Lifestyle Store“ ein weiteres Geschäft
       hinzu. Das Problem offenbart sich erst auf den zweiten Blick: Hinter diesem
       Tattoo-Laden stecken Rocker, einer von ihnen mit einschlägig rechtsextremer
       Vergangenheit.
       
       Der offizielle Mieter des Ladens und Geschäftsführer ist Christian Franz.
       Der Umzug in die „Holsten-Galerie“ ist nicht bloß ein Imagegewinn.
       „Strategisch interessanter“, erklärt er die Neueröffnung am besseren
       Standort. Im Impressum der Website taucht dann aber nicht Franz, sondern
       ausschließlich Bandido-Mitglied Matthias Stutz auf. Und es gibt ein Foto,
       auf dem Stutz und Peter Borchert, Mitglied des Rocker-Klubs Bandidos,
       lässig am Eingang des Tattoo-Studios an einer Säule lehnen. Über die beiden
       Rocker und deren Rolle im Geschäft reden wollte Franz auf Nachfrage der taz
       am Telefon nicht.
       
       Dass eben jener Borchert eine Woche zuvor im alten Laden noch
       selbstverständlich ans Telefon ging – tut offenbar nichts zur Sache. Per
       Kurznachricht teilte Franz kurz danach mit, dass Stutz „angestellter
       Mitarbeiter im Bereich Shop-Management“ sei, und betonte, dass zu Borchert
       „keine geschäftlichen Verbindungen“ bestünden.
       
       Borchert ist in Neumünster kein Unbekannter. Schon vor fast zehn Jahren
       bemühte er sich als Vizepräsident des 2010 vom schleswig-holsteinischen
       Innenministerium verbotenen „Probationary Chapter Neumünster“ seinen
       Einfluss in Neumünster auszudehnen. Heute wird sowohl im Rocker-Milieu als
       auch in Polizeikreisen vermutet, dass sich die Bandidos mit Borchert vor
       Ort wieder stärker verankern wollen. Ein Sprecher der Polizei Neumünster
       sagt, man habe die Neueröffnung sehr wohl im Blick und es sei auch bekannt,
       wer hinter dem Tattoo-Studio stecke. Derzeit sehe man aber keine
       Anhaltspunkte für Proteste gegen den Laden und seine Betreiber.
       
       Borchert ist ein Rocker aus der rechtsextremen Szene. Er hatte den
       NPD-Landesvorsitz in Schleswig-Holstein inne, wirkte im Netzwerk der
       Autonomen Nationalisten mit und führte den „Club 88 the very last resort“
       wesentlich mit an. Der 1996 eröffnete „Club 88“ im Neumünsteraner Stadtteil
       Gadeland war jahrelang ein Treffpunkt für Neonazis aus ganz Europa, bis er
       Anfang 2014 schloss.
       
       Der 45-jährige Borchert verbrachte insgesamt mehr als zehn Jahre seines
       Lebens in Haft. Bereits als Jugendlicher wurde er wegen eines
       Tötungsdeliktes verurteilt. Körperverletzungsdelikte folgten. 2004
       verurteilte ihn das Landgericht Kiel wegen mehrerer Verstöße gegen das
       Waffengesetz. Die Waffen sollen für den Kampf der militanten Neonazi-Gruppe
       „Combat 18 Pinneberg“ gewesen sein, so lautete die Anklage.
       
       In Norddeutschland war Borchert außerdem einer der ersten Aktivisten der
       rechtsextremen Szene, die sich gleichzeitig auch im Rocker-Milieu bewegten.
       Prompt stand der durchtrainierte Tattoo-Träger wegen Auseinandersetzungen
       mit anderer Rocker-Klubs vor Gericht. Das Landgericht Kiel verurteilte ihn
       2011 wegen eines Messerangriffs zu drei Jahren und neun Monaten Haft.
       
       Borchert steht also für eine bestimmte Entwicklung, die in Neumünster
       bereits vor zehn Jahren einsetzte: eine Mischszene aus Rechtsextremen um
       den „Club 88“ und dem Rocker-Klub Bandidos. Diese beiden Milieus haben
       gemein, dass sie sich als „elitäre Outlaws“ inszenieren, sagt Johanna Sigl
       vom Forschungsnetzwerks Frauen und Rechtsextremismus. Die Gemeinsamkeit
       läge in den „gewalttätigen Männlichkeitsentwürfen“, die mit einem
       „Frauenhass“ einhergehe.
       
       Auch nach dem offiziellen Aus des „Probationary Chapter Neumünster“ im Jahr
       2010, dessen Chef Borchert war, hörte das Netzwerk nicht auf, weiter mit
       Prostitution und Drogengeschäften Geld machen zu wollen. Aus der Haft
       heraus soll Borchert seine Geschäfte weitergeführt haben, heiß es
       jedenfalls im Rocker-Milieu. Die Polizei sieht Borchert als „eine Person,
       die der organisierten Kriminalität zuzurechnen“ ist. Und es soll auch
       Borchert gewesen sein, der Stutz nach dessen Rausschmiss bei den Bandidos
       wieder zurückgeholt hat. Stutz, Spitzname „Lütten Man“, war anfänglich bei
       den Hells Angels in Hamburg. Musste diesen Rocker-Klub aber verlassen.
       
       Mit Christian Franz betreibt Stutz in Neumünster nicht bloß das
       Tattoo-Studio. Am Brunnenkamp führen sie seit einigen Monaten die
       „Lifestylebar“, wie sie es selbst nennen: „The Edge“. Die Eckkneipe
       eröffneten sie am 31. November 2018. After Work Clubs und Ladies Nights
       werden angeboten. Der Laden soll gut laufen. Längst sei er ein Treffpunkt
       von Rocker-Klub-Mitgliedern, „Fans“ der Rocker und Junkies, wird zumindest
       im Szenemilieu getratscht.
       
       Auch die Stadt Neumünster weiß, wer da in das Shopping-Center in bester
       Innenstadtlage zieht. Aber es sei eben nur ein Umzug, es handele sich bei
       der „Holsten-Galerie“ außerdem um einen privaten Vermieter und damit sei
       die Angelegenheit eine Privatsache, sagt der Sprecher der Stadt. Das
       kommentiere man nicht weiter.
       
       14 Jun 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Speit
       
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