URI: 
       # taz.de -- Rechtsextreme in Spanien: Gender soll nicht Schule machen
       
       > Die andalusische Regierung arbeitet mit der rechtsextremen Vox-Partei
       > zusammen. Die will gegen die „Genderideologie“ an Schulen vorgehen.
       
   IMG Bild: Protest gegen Ultrarechte: Im südspanischen Málaga protestierten im Januar Tausende gegen Vox
       
       Madrid taz | In Südspanien haben die Eltern neuerdings einen Pin. Nein,
       nicht etwa um den Zugang ihrer Sprösslinge zu Tablets oder Smartphones zu
       regulieren, sondern um deren Schulbildung nach Wunsch mitzugestalten.
       Konkret können sie mit Hilfe des Pins ihre Kinder „von schulischen
       Zusatzaktivitäten ausschließen, sofern diese gegen ihre Überzeugung sind“.
       
       So sieht es die Vereinbarung der neuen andalusischen Regierungskoalition
       mit der rechtsextremen Partei Vox vor. Das Pikante: Die rechts-konservative
       Minderheitsregierung aus Partido Popular (PP) und Ciudadanos [1][benötigt
       für ihre Vorhaben die Stimmen der Ultrarechten, deshalb paktiert sie mit
       Vox.] Die erhielt mit ihrer Antimigrationspolitik bei der Regionalwahl im
       Dezember auf Anhieb zwölf der 109 Parlamentssitze.
       
       Das rechte Dreierbündnis löste die Sozialisten nach 37 Jahren an der
       andalusischen Regierung ab. Vox nutzt die Gunst der Stunde, um auf die PP
       Druck auszuüben, damit diese Programme umsetzt, an die sie sich – trotz
       ideologischer Nähe – in anderen Regionen bisher nicht herangetraut hatte.
       Wie zum Beispiel das Vorgehen gegen „Genderideologie“ an Schulen.
       
       Vox, die bislang nur in Andalusien den Sprung ins Regionalparlament
       geschafft hat, stellt den Eltern auf ihrer Website einen Vordruck zur
       Verfügung, den sie ausfüllen und bei der Schulleitung einreichen können.
       Darauf steht: „In Anbetracht der Möglichkeit, dass mein Sohn/meine Tochter
       gegen meinen Willen und gegenmeine Prinzipien und moralischen Werte durch
       Inhalte des Lehrplans mit Hilfe der Genderideologie sowie eine bestimmte
       sexuelle Aufklärung indoktriniert wird, […] richte ich mich an Sie mit dem
       Antrag, dass Ihre Einrichtung vor sämtlichen Gesprächen, Workshops oder
       Aktivitäten, die gesellschaftlich kontroverse Themen oder die Sexualität
       betreffen, unsere AUSDRÜCKLICHE ZUSTIMMUNG einholt.“ Für den Fall, dass
       sich Direktoren und Lehrer dem elterlichen Wunsch widersetzen, bietet Vox
       Rechtsbeistand an.
       
       ## Gegen gleichgeschlechtliche Adoption
       
       Wie oft Eltern diesen bisher in Anspruch genommen oder die Pin-Vorlage
       heruntergeladen haben, ließ Vox auf taz-Anfrage bis Redaktionsschluss
       offen. Auch Gewerkschaften und Elternverbände schweigen sich bisher über
       das Thema Pin aus. Sie wollen Vox und ihre Politik nicht noch weiter in die
       öffentliche Debatte bringen. Anders die Presse. Für die größte Tageszeitung
       Spaniens, El País, ist die Vox-Initiative „extravagant“, und El Mundo
       vergleicht die Initiatoren mit „Kreuzrittern“.
       
       Die Nachrichtenwebsite Diario 16 widmet dem Thema eine kritische
       Meinungskolumne: „Sie fördern Obskurantismus und Hass, sie repräsentieren
       den Faschismus in seiner reinsten Form: Sie fordern die Freiheit, um die
       Freiheit zu verbieten, sie fordern Objektivität, um ihre Subjektivität
       aufzudrücken, sie fordern Respekt, um andere zu beleidigen, sie fordern die
       Wissenschaft, um Wissen zu verweigern […], sie sprechen über die Familie,
       um die Liebe zwischen Menschen zu regulieren, sie sprechen über Frauen, und
       meinen Unterwerfung …“, heißt es in dem Text von Francisco Silvera,
       Kolumnist, Doktor der Philosophie und Gymnasiallehrer.
       
       Der Eltern-Pin geht auf Initiativen ultrakatholischer Vereinigungen zurück.
       Alles begann, als die Regierung des Sozialisten José Luis Rodríguez
       Zapatero in den 2000er Jahren Staatsbürgerkunde als Fach an den Oberschulen
       einführte. Dort wurden die Werte der Verfassung und Toleranz gegenüber
       Andersdenkenden sowie gegenüber sexuellen Minderheiten gelehrt. An vielen
       Schulen wurden Betroffene aus LGTBI-Gruppen oder Frauenrechtlerinnen zum
       Unterricht eingeladen. Immer wieder weigerten sich Eltern, ihre
       Sprösslingen zu diesen Unterrichtseinheiten zu schicken.
       
       Es waren die Jahre, als Spanien mit einem Gleichstellungsgesetz, Maßnahmen
       gegen häusliche Gewalt oder der Einführung der Homoehe riesige Schritte in
       Richtung Gleichberechtigung machte. Die konservative Opposition nutze vor
       allem das umstrittene Thema Homoehe für die Opposition gegen Zapatero. Die
       PP mobilisierte mit Hilfe der katholischen Kirche Hunderttausende gegen das
       Recht gleichgeschlechtlicher Paare zu heiraten und Kinder zu adoptieren.
       
       ## „Schlacht um die Kultur“
       
       Mit Erfolg: Eltern aus dem Umfeld der ultrakatholischen Vereinigungen
       klagten gegen die Staatsbürgerkunde, brachten sie aber nicht zu Fall. Nach
       dem Regierungswechsel 2011 wurde das Fach von der PP-Regierung unter
       Mariano Rajoy wieder abgeschafft. Stattdessen wurde Religion wieder zum
       versetzungsrelevanten Fach.
       
       2014 veröffentlichte die Vereinigung Fachkräfte für Ethik erstmals den
       Vordruck, der mittlerweile als „Eltern-Pin“ bekannt ist. Die Initiatoren
       der „Schlacht um die Kultur“, wie die ultrakatholische Onlinezeitung
       actuall.com die Pin-Kampagne nennt, stützen sich auf den Artikel 27.3 der
       spanischen Verfassung. Dieser garantiert den Eltern das Recht, dass „ihre
       Kinder die religiöse und moralische Ausbildung erhalten, die ihren eigenen
       Überzeugungen entspricht“. Die Kinder selbst müssen nicht gefragt werden,
       solange sie nicht volljährig sind.
       
       Genau dieses Recht der Eltern, über die Bildung ihrer Kinder zu bestimmen,
       sei – so der actuall-Kolumnist Jaime Urcelay – in Gefahr. „Seit einiger
       Zeit verfolgt die ‚kulturelle Linke‘ eine indirekte Strategie, die die
       Freiheit der Eltern, ihre Kinder zu erziehen, praktisch unmöglich macht“,
       schreibt der Jurist. Der verheiratete „Vater von fünf Kindern“ gehörte
       damals zu den entschiedensten Gegnern von Zapateros Staatsbürgerkunde. Der
       PP, die Urcelay „rechte Verwalterin“ nennt, wirft er „Passivität und
       manchmal Komplizenschaft“ mit der linken Hegemonie vor.
       
       [2][Vox und die ultrakatholischen Vereinigungen fühlen sich von der
       „Genderideologie“] und die Gleichberechtigung sexueller Minderheiten
       bedroht. „Der radikale Feminismus, der sich in Genderideologie umgewandelt
       hat, machte aus der Frau sein wichtigstes Ziel, um die Familie zu
       zerstören“, schreibt Urcelays Mitstreiterin aus den Jahren unter Zapateros
       Regierung und Gründerin der Vereinigung Fachkräfte für Ethik, Leonor
       Tamayo. Eine Frau, die sich in ihrem Autorenprofil stolz als „Ehefrau von
       Paco und Mutter von zehn Kindern“ präsentiert.
       
       ## Rechter Dreierpakt
       
       Das Ziel der „Genderideologie“ gehe „über die Vernichtung der biologischen
       Familie hinaus“, so die ehemalige Gymnasiallehrerin Alicia Rubio, die heute
       im Vox-Vorstand sitzt. „Das Ziel sind unsere Kinder, es sind ihre Kinder“,
       erklärt Rubio, die mit dem Buch „Als sie uns verboten, Frauen zu sein … und
       sie euch verfolgten, weil ihr Männer seid“ so etwas wie die
       antifeministische Bibel der Ultrakatholiken geschrieben hat. Sie erklärt
       darin die Gefahren und den Zusammenhang „zwischen Feminismus, Abtreibung,
       Lobby LGTBI, Sterbehilfe, Indoktrination in den Klassenzimmern,
       Leihmüttern, etc., etc.“. Sie spricht von „falschen Rechten, die Millionen
       Euro benötigen, um Pseudodiskriminierungen zu beseitigen“.
       
       Auch damit will Vox aufräumen. In Andalusien sollen „alle überflüssigen
       Organismen“ abgeschafft werden. Gemeint sind damit unter anderem
       Einrichtungen, die sich um Gleichberechtigung der Frau und die LGTBI-Rechte
       kümmern. Stattdessen wird künftig „Familienpolitik mit dem Ziel der
       Erhöhung der Geburtenrate“ betrieben.
       
       Als letzten Angriff auf die verhasste Genderideologie verlangt Vox von der
       neuen Rechtsregierung die Liste aller Mitarbeiter der Hilfsprogramme für
       misshandelte Frauen. Die Begründung: „Die Richter fällen Urteile, von denen
       die Zukunft unserer Kinder abhängt, auf der Grundlage von Gutachten, die
       von hoch ideologisierten Fachkräften erstellt wurden.“ Noch weigert sich
       die andalusische Regierung.
       
       Vox wird bei den vorgezogenen Neuwahlen am 28. April wohl auch ins
       nationale Parlament – als auch Ende Mai in viele der Regionalparlamente –
       einziehen. Der rechte Dreierpakt könnte dann vielerorts nach der Regierung
       greifen. Der Eltern-Pin und die „Schlacht um die Kultur“ droht zum
       Normalzustand zu werden.
       
       13 Mar 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Regierungsbildung-in-Andalusien/!5561386
   DIR [2] /Demonstrationen-in-Spanien/!5566104
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reiner Wandler
       
       ## TAGS
       
   DIR VOX 
   DIR Spanien
   DIR Andalusien
   DIR Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
   DIR Rechtsextremismus
   DIR Ehe für alle
   DIR Homophobie
   DIR Madrid
   DIR Spanien
   DIR Spanien
   DIR Spanien
   DIR Spanien
   DIR Spanien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Diversität in Spanien: Eine Schule als LGBTI-Oase
       
       Ein Gymnasium in Madrid geht besonders offen mit sexueller und
       geschlechtlicher Vielfalt um. Doch nun droht ihm „ein totaler Rückschritt“.
       
   DIR Rechtsextreme in Spanien: Feindbild Presse
       
       Die Partei Vox geht rüde mit kritischen Medien um. Diese werden ignoriert,
       beschimpft oder aus WhatsApp-Gruppen gelöscht.
       
   DIR Rechtsextreme Partei VOX im Wahlkampf: Oh wie schön war das alte Spanien
       
       Die spanische Rechtsaußenpartei VOX verherrlicht das Franco-Regime und das
       Kolonialreich. Und sie verteufelt Feministinnen und Separatisten.
       
   DIR Nach verlorener Haushalts-Abstimmung: Spanien wählt am 28. April neu
       
       Umfragen sagen Ministerpräsident Sánchez den Sieg voraus. Doch könnte auch
       ein konservatives Bündnis mit den Rechten eine Mehrheit erlangen.
       
   DIR Großdemonstration in Madrid: Rechte gegen den Regierungschef
       
       In Madrid haben Zehntausende für Neuwahlen und die Einheit Spaniens
       demonstriert. Die Organisatoren waren Rechte und Rechtsextreme.
       
   DIR Demonstrationen in Spanien: Frauen gegen rechts
       
       In Spanien demonstrieren landesweit Menschen gegen Gewalt gegen Frauen –
       und gegen den rechten Pakt der Regierung in Andalusien.