# taz.de -- Rechtsruck bei aktuellen Debatten: Gesellschaftspolitisch rückwärtsgewandt und hilflos
> Was die Nach-Merkel-Mitte aufbietet, ist derzeit dürftig bis verlogen.
> Was sie nicht klarmacht: Auf welcher Seite sie im Zweifel steht.
IMG Bild: Teilnehmer des Christopher Street Days in Berlin grüßen Julia Klöckner. Sie hat die Regenbogenfahne exkommuniziert
Es ist ziemlich irritierend, wie leicht es sich maßgebliche Vertreter der
Nach-Merkel-Mitte machen zu können glauben. Ihre Ansätze, sich in einer
herausfordernden Gegenwart zu verorten, fallen jedenfalls bislang dürftig
bis verlogen aus. Als Bundestagspräsidentin exkommuniziert Julia Klöckner
die Regenbogenfahne und wertet die neurechte Propagandaschleuder Nius auf.
[1][Markus Söder isst Wurst]. [2][Wolfram Weimer verbietet das Gendern].
Und die Zeit schiebt in ihrer aktuellen Ausgabe riesig groß den Rechtsruck
der Linken in die Schuhe. „Sind die Linken selber schuld?“, prangt auf
ihrer Titelseite. Wo sind eigentlich die redlichen Konservativen, die
geschnallt haben, dass die AfD auch sie angreift? Hier nicht.
Was stattdessen geboten wird, ist teilweise schlicht doof (Söder) oder auch
allzu durchsichtig (Klöckner). Teilweise ist es auch erheiternd, etwa wenn
jetzt in der Zeit die Schauspielerin Iris Berben als Kronzeugin gegen den
angeblichen linken Verbietungswahn aufs Schild gehoben wird: „Was immer
einem Freude macht – ein besonders gutes Essen, eine schöne Reise, ein
vielleicht unangebrachter Flirt –, schon erhebt sich ein riesiger
moralischer Zeigefinger.“ Und siehste, kann man ergänzen, zack, schon
wählen die Leute rechtsradikal. Ganz so einfach machen es sich alle
Autor*innen der Ausgabe selbstverständlich nicht. Aber der Haupttext von
Jens Jessen läuft auf so eine Argumentation hinaus.
Empörend an diesen Ansätzen ist ihre gesellschaftspolitische
Rückwärtsgewandtheit. Irritierend an ihnen ist aber auch ihre
Hilflosigkeit. Gegen gefeierte Vielfalt, die Identitätspolitik, das
Gendern, die Linke zu sein, das reicht doch nicht. Das ist die AfD doch
alles auch, nur radikaler. Wie das also als Brandmauer funktionieren soll:
fragwürdig.
Zudem reicht es auch nicht zur Selbstbeschreibung. Will diese Mitte denn
nur „normal“ sein? Will sie denn gar nicht an einem passenden Rahmen für
eine aus guten Gründen diverser werdende Gesellschaft arbeiten? Will sie
wirklich alle antirassistischen, feministischen und egalitären Bestrebungen
aus dem eigenen Selbstverständnis ausgrenzen? Und sollte sie tatsächlich
noch nicht verinnerlicht haben, woher die aktuelle Verbieterei tatsächlich
kommt? Aus der Richtung neorechter Ideologien, die sich mit staatlicher
Macht panzern, nämlich. Siehe USA.
Der Rechtsruck oder, wie es in der Zeit gern heißt, der „Vibe-Shift“, ist
kein Feuilletonspiel. Es geht um real gelebtes Leben: reaktionäre
Einbindung ins Völkische versus gesellschaftliche Emanzipation. Da ist es
auch erschreckend, wenn Politiker*innen und Journalist*innen, die in
den derzeitigen politischen Verhältnissen die Macht hinter sich haben,
nicht klarmachen, auf welcher Seite sie im Zweifel stehen.
Werden sie die antifaschistischen Initiativen, die mutigen Theaterleute,
die Universitäten, die queeren Jugendclubs verteidigen, wenn die AfD – etwa
nächstes Jahr in Sachsen-Anhalt – noch mehr Einfluss bekommen sollte? Das
wüsste man von der Nach-Merkel-Mitte gern, nicht nur, welche Anti-woke-
und Anti-links-Ressentiments sie hegt.
30 Aug 2025
## LINKS
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## AUTOREN
DIR Dirk Knipphals
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