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       # taz.de -- Rede im EU-Parlament: Macron allein in Europa
       
       > Vor dem EU-Parlament hat der französische Präsident eine Renaissance der
       > Europäischen Union gefordert. Doch es mangelte an Pathos. Die Euphorie
       > blieb aus.
       
   IMG Bild: Espresso zum Durchhalten – Macron musste viel Kritik einstecken
       
       Brüssel taz | Die Erwartungen waren groß, als Emmanuel Macron am Dienstag
       seine zweite Rede zur Zukunft Europas hielt, dieses Mal im Europaparlament
       in Straßburg. Im Herbst 2017 hatte der französische Staatschef seine
       europapolitischen Visionen an der Sorbonne-Universität vorgestellt und
       viele EU-Politiker begeistert. „Frankreich ist zurück, Europa bekommt neuen
       Schub“, hieß es in Brüssel und Berlin.
       
       Doch bei den 751 Europaabgeordneten, von denen ein Fünftel ausgewiesene
       EU-Gegner sind, wollte der Funke am Dienstag nicht recht überspringen.
       Macron mühte sich und beschwor eine „Renaissance“ der EU. Die
       Staatengemeinschaft müsse endlich „souverän“ werden, sagte er – nicht nur
       bei Rüstung und Verteidigung, sondern auch beim Grenzschutz, in der
       Flüchtlingspolitik und beim Euro.
       
       Europa dürfe sich nicht den Sirenengesängen einer „illiberalen Demokratie“
       wie in Ungarn hingeben, sondern müsse seine Werte wahren und den
       Rechtsstaat verteidigen. Die Abkehr von diesen Grundsätzen sei „der
       schwerste Fehler“, den Europa begehen könne, warnte der liberale Franzose.
       „Die Antwort ist nicht die autoritäre Demokratie, sondern die Autorität der
       Demokratie.“
       
       Aber anders als in der Rede vor der Sorbonne klang es in Straßburg sachlich
       und nüchtern, fast schon ernüchtert. Es fehlte das Pathos, aber auch die
       Vision. „Keine roten Linien, viele neue Horizonte“, hatte Macron im Herbst
       gefordert. Doch neue Horizonte zeigte er diesmal nicht auf.
       
       Macron bekräftigte seine Forderung, den Euro mit einem eigenen Budget zu
       stabilisieren. Er forderte auch die Vollendung der Bankenunion, die Berlin
       seit Jahren blockiert. Doch wie er gemeinsam mit Kanzlerin Angela Merkel
       vorankommen will, ließ er offen. Auf andere EU-Länder ging der germanophile
       Franzose erst gar nicht ein.
       
       Die Abgeordneten klatschten nur mäßig Beifall, danach bombardierten sie
       Macron mit kritischen Fragen. Den Anfang machte EU-Kommissionschef
       Jean-Claude Juncker mit einem Seitenhieb: „Europa ist mehr als Deutschland
       und Frankreich“, hielt er dem französischen Präsidenten entgegen. Macron
       müsse auch an die anderen Länder denken.
       
       „Mit wem wollen Sie eigentlich zusammenarbeiten, wer ist Ihr Partner“,
       setzte der neue Chef der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament, Udo
       Bullmann (SPD), nach. Auf „Madame Non“ (Merkel) könne Macron nicht mehr
       setzen, und die „vielen kleinen Mini-Schäubles“ in Berlin würden ihm „das
       Geschäft“ wohl auch nicht gerade erleichtern, sagte Bullmann.
       
       Auch der Fraktionschef der EU-Konservativen, Manfred Weber (CSU), äußerte
       Kritik. Macron müsse sich endlich zu den Spitzenkandidaten für die
       Europawahl bekennen, forderte er. Der französische Staatschef hatte sich
       gegen die Pläne der EU-Parlamentarier ausgesprochen, den zukünftigen
       Kommissionspräsidenten aus dem Kreis der Spitzenkandidaten zu wählen. Es
       dürfe nicht sein, dass die Bürger einen Spitzenkandidaten wählen und Macron
       und die anderen EU-Chefs ihn dann absägen, sagte Weber.
       
       Er habe gar nichts gegen Spitzenkandidaten, gab Macron zurück. Aber bisher
       seien das nationale Politiker, die auf nationalen Listen gewählt werden.
       Wirklich europäisch würden die Europawahlen, die im Sommer 2019 anstehen,
       nur mit EU-weiten Listen – ein Seitenhieb auf Weber und die CDU/CSU, die
       transnationale Listen abgeschmettert hatten.
       
       ## Kritik von vielen Seiten
       
       Grüne und Linke warfen Macron vor, zwar wohlklingende Ankündigungen zu
       machen, in der Praxis jedoch oft das Gegenteil zu tun. „Er betreibt
       Sozialabbau und fördert Privatisierungen, während Studierende und
       Gewerkschaften aus Protest dagegen Frankreich lahmlegen“, sagte Martin
       Schirdewan von der EU-Linken. Macron sei sogar bereit, seine Ziele mit
       militärischen Mitteln durchzusetzen. Damit spielte Schirdewan auf den
       umstrittenen Militärschlag in Syrien in der Nacht zum Samstag an, den
       Frankreich gemeinsam mit den USA und Großbritannien geführt hatte.
       
       Das wollte der Präsident nicht auf sich sitzen lassen: „Frankreich hat
       niemandem den Krieg erklärt“, sagte er. Aber man könne es nicht zulassen,
       dass einige Länder das multilaterale System aushebeln und das Verbot von
       Massenvernichtungswaffen mit Füßen treten. Frankreich, Großbritannien und
       die USA hätten „die Ehre der internationalen Gemeinschaft“ verteidigt.
       
       Allerdings hat diese neue Allianz auch dazu beigetragen, die Risse in der
       EU zu vertiefen. Beim Treffen der EU-Außenminister am Montag in Luxemburg
       sträubten sich mehrere Mitgliedsländer erfolgreich dagegen, die Luftschläge
       zu unterstützen. Mehr als „Verständnis“ wollte die Mehrheit der
       Außenminister nicht bekunden.
       
       Auch in der Flüchtlingspolitik treten die Gegensätze immer offener zutage.
       Seit dem Wahlsieg von Viktor Orbán verspüren die Gegner einer gemeinsamen
       Aufnahmepolitik noch mehr Aufwind. Die für Juni geplante Asylreform kommt
       nicht voran, denn außer Polen blockieren auch Ungarn und andere
       osteuropäische Länder Fortschritt.
       
       ## Macron braucht Erfolge
       
       Die „giftige Debatte“ über den Umbau des Asylrechts und die Umverteilung
       von Flüchtlingen müsse endlich aufhören, forderte Macron. „Ich schlage
       daher ein europäisches Programm vor, das die lokalen Gebiete, die
       Flüchtlinge aufnehmen und integrieren, direkt finanziell unterstützt“,
       sagte er.
       
       Einen ähnlichen Vorstoß hat die Bundesregierung bereits im Februar gemacht.
       Merkel hatte vorgeschlagen, dass die Flüchtlingsaufnahme ein Kriterium für
       die Vergabe von Finanzmitteln aus den milliardenschweren EU-Struktur- und
       Regionalfonds wird. Dies könnte sich negativ für osteuropäische Länder wie
       Polen oder Ungarn auswirken, die bisher am stärksten von den Strukturfonds
       profitieren.
       
       Doch damit diese Reform greift, müssen alle 28 EU-Staaten zustimmen. Und
       für die Reform der Währungsunion braucht Macron auch noch grünes Licht aus
       Berlin. „Bis Ende der Legislaturperiode 2019 müssen wir spürbare Ergebnisse
       einfahren“, mahnte der Franzose am Dienstag.
       
       Bisher sieht es allerdings so aus, dass auch dieses Ziel verfehlt wird. Das
       Fenster für Reformen schließt sich, die Visionen verlieren ihren Glanz. Für
       Macron könnte dies noch gefährlich werden. Denn wenn er nicht bald
       Ergebnisse vorzeigen kann, dürften seine innenpolitischen Gegner wieder
       stärker werden. Und die sind keine Freunde der EU – ganz im Gegenteil.
       
       17 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eric Bonse
       
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