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       # taz.de -- Reform des Abtreibungsrechts: Je katholischer, desto restriktiver?
       
       > Eine Kommission stellt am Montag Empfehlungen zur Reform des
       > Abtreibungsrechts vor. Wie ist die Rechtslage im europäischen Ausland?
       
   IMG Bild: Proteste gegen das strenge Abtreibungsgesetz in Polen im Mai 2023
       
       BERLIN afp | Deutschland diskutiert erneut über eine [1][Liberalisierung
       des Abtreibungsrechts]. An diesem Montag sollen Vorschläge einer Kommission
       vorgestellt werden. Berichten zufolge wollen die Experten eine generelle
       Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen innerhalb der ersten zwölf
       Wochen empfehlen. Bisher ist eine Abtreibung nach Paragraf 218 des
       Strafgesetzbuches grundsätzlich strafbar, es sei denn, sie findet in den
       ersten zwölf Wochen statt und die Frau hat sich zuvor beraten lassen. Wie
       sieht die Rechtslage anderen europäischen Ländern aus? Fünf Beispiele.
       
       ## Niederlande
       
       In den Niederlanden sind Abtreibungen bis zur 24. Schwangerschaftswoche
       möglich, bei schweren Gesundheitsproblemen während der Schwangerschaft auch
       später. Frauen können sich für eine Abtreibung direkt an eine der
       Abtreibungskliniken im Land wenden – es gibt Beratungsangebote, aber keine
       Verpflichtung, diese in Anspruch zu nehmen. Eine früher vorgeschriebene
       fünftägige Bedenkzeit gibt es seit 2023 nicht mehr. Die Kosten einer
       Abtreibung trägt der Staat beziehungsweise die Krankenkasse. Geplant ist,
       dass künftig bis zur neunten Schwangerschaftswoche auch Hausärzte eine
       medikamentöse Abtreibung (Abtreibungspille) verschreiben können. Eine
       Abtreibung ist in den Niederlanden nur dann strafbar, wenn sie nicht in
       einem Krankenhaus entsprechend den Regeln vorgenommen wird.
       
       ## Frankreich
       
       In Frankreich sind Abtreibungen bis zur zehnten Schwangerschaftswoche seit
       1975 straffrei. Mittlerweile dürfen Schwangere bis zur 14. Woche abtreiben,
       die Kosten übernimmt die Krankenkasse. Ein psychosoziales Beratungsgespräch
       ist nur für Minderjährige verpflichtend. Angesichts der Verschärfungen von
       Abtreibungsregelungen anderswo auf der Welt in den vergangenen Jahren hat
       Frankreich sich dazu entschieden, das Abtreibungsrecht zu stärken und vor
       möglichen zukünftigen Beschneidungen zu schützen. Vor gut einem Monat
       stimmte das Parlament dafür, [2][die „garantierte Freiheit“, eine
       Abtreibung durchzuführen, in die Verfassung aufzunehmen]. Paris zufolge ist
       Frankreich das erste Land, das das Abtreibungsrecht in der Verfassung
       verankert hat.
       
       ## Italien
       
       In Italien sind Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche
       grundsätzlich möglich. Ein entsprechendes Gesetz von 1978 sieht jedoch
       bestimmte Voraussetzungen vor. Vor einem Schwangerschaftsabbruch ist
       demnach eine verpflichtende Beratung nötig. Auf das Beratungsgespräch folgt
       eine Bedenkzeit von sieben Tagen. Innerhalb der ersten neun
       Schwangerschaftswochen ist eine medikamentöse Abtreibung möglich, bis zur
       zwölften Schwangerschaftswoche hingegen ein chirurgischer Eingriff mittels
       sogenannter Absaugung. Die Rechtsregierung von Ministerpräsidentin Giorgia
       Meloni in Rom hat seit Amtsbeginn immer wieder betont, keine Änderungen am
       Abtreibungsrecht vornehmen zu wollen.
       
       ## Irland
       
       Die Iren stimmten 2018 in einem Referendum für die Legalisierung von
       Abtreibungen. Seit dem 1. Januar 2019 dürfen Abtreibungen in den ersten
       zwölf Wochen einer Schwangerschaft vorgenommen werden. Falls Leben oder
       Gesundheit der schwangeren Frau gefährdet sind oder es wahrscheinlich ist,
       dass das Baby noch im Mutterleib oder in den ersten vier Wochen nach der
       Geburt stirbt, ist dies auch später noch möglich. Die Frist von maximal 84
       Tagen Schwangerschaft gilt ab dem ersten Tag der letzten Periode der Frau.
       Eine Ärztin oder ein Arzt muss bestätigen, dass die zwölf Wochen noch nicht
       vorbei sind. Drei Tage später kann die Abtreibung durchgeführt werden.
       Diese gesetzlich vorgeschriebene Zeitspanne soll der schwangeren Frau die
       Möglichkeit geben, sich ihrer Sache sicher zu sein.
       
       ## Polen
       
       Derzeit hat [3][Polen eines der strengsten Abtreibungsgesetze] in Europa.
       Seit 2020 ist ein Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche nur noch nach
       einer Vergewaltigung oder Inzest erlaubt – oder wenn das Leben der
       Schwangeren in Gefahr ist. Weist das ungeborene Kind schwere Fehlbildungen
       auf, dürfen Frauen keinen Abbruch vornehmen. In der Vergangenheit hat das
       mehrfach dazu geführt, dass Schwangere mit Komplikationen im Krankenhaus
       unter ärztlicher Aufsicht starben, weil sich die Mediziner nicht trauten,
       einen Abbruch vorzunehmen. Das Parlament in Warschau hatte sich jüngst für
       eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts ausgesprochen. Die Lockerung war
       eines der zentralen Versprechen von Regierungschef Donald Tusk im
       Wahlkampf. Seine Drei-Parteien-Koalition streitet aber noch darüber, wie
       eine Lösung konkret aussehen soll.
       
       15 Apr 2024
       
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