# taz.de -- Reformen beim Bürgergeld: Was die Veggiewurst mit der neuen Grundsicherung zu tun hat
> Symbolpolitik steht derzeit hoch im Kurs. In der Sozialpolitik in Berlin,
> wie auch bei der Schweinelobby in Brüssel.
IMG Bild: Wer sich qualifizieren will, statt einen Job als Wurstverkäufer anzunehmen, kann das wohl weiterhin
Berlin taz | Diese Woche konnte man beobachten, dass niemand die Disziplin
„identitätspolitischer Kulturkampf“ so beherrscht wie Konservative. Der
Glaube, dass man einer Sache nur einen neuen Namen geben muss, damit sie
sich in ihrem Kern ändert, ist keineswegs eine Spezialdisziplin der Linken.
Besonders wirkmächtig ist dieses magische Denken, wenn es von rechts kommt.
Da war zunächst die Entscheidung, [1][dass Veggiewürste nicht mehr Würste
heißen dürfen.] Nichts ahnende Konsumenten sollen so vor einem Tofuschock
bewahrt werden. Es war ein [2][Erfolg für die Schweinelobby], die
verpflichtende Kennzeichnungen, die Konsumenten tatsächlich helfen würden,
sonst verhindert. Wenn es nach dem EU-Parlament geht, dürfen Würste
weiterhin ungesund und krebserregend sein und für ihre Herstellung Tiere
gequält werden – Hauptsache, sie sind nicht aus Tofu. Die Wurstfinger von
Markus Söder klatschen schon.
Eine Sache umbenannt, um einen symbolischen Erfolg zu erringen – das hat
die Bundesregierung auch beim Bürgergeld getan. „Das Bürgergeld ist
Geschichte“, sagte Wurst-Söder am Donnerstag. Die Bundesregierung [3][will
Härte zeigen] gegen vermeintlich faule Arbeitslose, die, so die
Unterstellung, nur mehr Sanktionen bräuchten, dann spurten sie schon.
Aber zum Glück gilt bei der Grundsicherung wie bei der Veggiewurst: Am
Inhalt wird sich durch den neuen Namen womöglich wenig ändern – zumindest
für die meisten Bürgergeld-, pardon: Grundsicherungsempfänger. Die
Bundesregierung hat zwar härtere Sanktionen angekündigt. Aber noch ist
nicht klar, wie dies in der Praxis aussehen wird. Denn auch wenn es für
manche in der Regierung in ihrer Verachtung für Arbeitslose kein Halten
gibt, gibt es doch ein Verfassungsgericht, das Sanktionen Grenzen gesetzt
hat.
## Es ist Symbolpolitik zulasten von Schwächeren
Schon heute werden Menschen sanktioniert, wenn sie Termine beim Amt
verpassen. In Zukunft sollen die Strafen [4][höher ausfallen], mehr
Menschen wären aber nicht automatisch betroffen. Denn auch für das
Verhängen von Sanktionen gibt es Regeln: Betroffene müssen angehört werden
und können Gründe für ihr Fehlen angeben.
Keine Frage, für sie machen 10 oder 30 Prozent Sanktion einen großen
Unterschied, und es kann sein, dass die Zahl der Sanktionierten größer
wird. Aber am Stichtag Ende Dezember 2024 waren gerade einmal 0,8 Prozent
der Bürgergeldempfänger von einer oder mehreren Leistungsminderungen
betroffen, übers Jahr verteilt sind es etwa 6 Prozent. Es ist
Symbolpolitik, die auf Kosten einer kleinen Gruppe geht: Menschen, die
teils ihre Post nicht öffnen, zu krank oder kaputt sind, um Termine
wahrzunehmen. Klingt nicht nach Hängematte, sondern traurig. Fast so
traurig, wie auf dem Rücken dieser Menschen Politik zu machen.
Auch bei den geplanten Totalsanktionen muss man abwarten, wie das Gesetz am
Ende aussieht. Schon heute kann das Jobcenter Menschen den Regelsatz
streichen, wenn sie mehrfach Arbeit ablehnen. Damit die Regelung nicht
gegen die Verfassung verstößt, ist sie so kompliziert, dass sie kaum
angewandt wird. [5][Wir haben in der taz einen Experten für
Totalverweigerer gefragt], ob er schon mal einen in freier Wildbahn gesehen
hat: Hat er nicht. Weniger als 50 Fälle hat er gezählt. Selbst wenn die
Regierung einen legalen Weg finden sollte, den Regelsatz häufiger zu
streichen: Es wird die Ausnahme bleiben.
Bleibt noch ein wichtiger Punkt, in dem sich, tatsächlich, die SPD
durchgesetzt hat. Der Vermittlungsvorrang aus Zeiten von Hartz IV kommt
nicht einfach zurück, auch wenn der Kanzler das behauptet. Wer sich mit
einem Abschluss qualifizieren will, statt einen Job als Wurstverkäufer
anzunehmen, kann das wohl weiterhin. Darauf einen Bratling!
11 Oct 2025
## LINKS
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## AUTOREN
DIR Kersten Augustin
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